November 2024
Dieser Newsletter von wissensschau.de informiert im Abstand von zwei Monaten über jüngste Entwicklungen bei der Gentherapie und den CAR-T-Zellen.
Klinische Studien
Parkinson: Gentherapie verbessert Lebensqualität
Parkinson's News Today
Die vermehrte Produktion des Botenstoffs GABA im Gehirn kann moderate Parkinson-Symptome lindern. Eine Studie mit 14 Personen zeigte, dass nach 6 Monaten die motorischen Probleme nachließen und die Lebensqualität stieg.
Eine Gentherapie schleuste dafür ein Enzym-Gen direkt in eine Hirnregion ein, die an der Steuerung der Motorik beteiligt ist. Schwere Nebenwirkungen traten nicht auf. Dies gab die britische Firma MeiraGTx im Oktober in einer Pressemitteilung bekannt.
Muskelsteifheit und Zittern sind typische Symptome der Parkinson-Krankheit. Ursache ist eigentlich ein Mangel des Botenstoffs Dopamin, doch der Botenstoff GABA kann die Folgen lindern. Die Studienteilnehmer sollen nun fünf Jahre lang beobachtet werden. Darüber hinaus plant MeiraGTX eine größere Studie in den USA, Europa und Japan.
Erste Schritte bei Alzheimer
Neurology Live
Eine Gentherapie konnte das Gen APOE2 in das zentrale Nervensystem einschleusen: Bei einer schweren Form der Alzheimer-Krankheit sank daraufhin die Menge des Biomarkers Tau. Die Amyloid-Ablagerungen im Gehirn veränderten sich dagegen nicht.
Die Genfähre mit dem APOE2-Gen wurde 15 Menschen direkt in die Nervenflüssigkeit gespritzt. Der Eingriff wurde in der Regel gut vertragen, die Teilnehmer wurden bisher etwa ein Jahr lang nachbeobachtet. Dies berichtete die Firma Lexeo Therapeutics im Oktober auf einer Fachkonferenz.
Bei der früh einsetzenden Form der Alzheimer-Krankheit enthält das Erbgut zwei Kopien des Gens APOE4, aber keine Kopien der Gene APOE2 und APOE3. Vor diesem Hintergrund könnte die Gentherapie eine lindernde Wirkung haben. Allerdings wurde nach dem Eingriff nur eine geringe Menge des APOE2-Proteins gebildet. Ob dies den langfristigen Verlauf der Krankheit beeinflussen kann, ist noch unklar.
Canavan-Krankheit: Abbau von Hirnsubstanz gestoppt
Inside Precision Medicine
Der Transfer eines Enzym-Gens kann die motorische Entwicklung von Kindern fördern, die an der Canavan-Krankheit leiden. Ein Jahr nach der Behandlung konnten 11 Kleinkinder selbstständig sitzen oder mit Hilfe gehen – ein für diese Krankheit ungewöhnlicher Fortschritt.
Die Therapie gleicht einen erblichen Stoffwechseldefekt aus, der zum Abbau der Myelinscheiden um die Nervenzellen führt. Die Menge eines giftigen Stoffwechselprodukts nahm danach um etwa 70 Prozent ab. Die kalifornische Firma BridgeBio stellte ihre Studie im Oktober auf einer Fachkonferenz vor.
Die extrem seltene Canavan-Krankheit führt zu schweren Entwicklungsstörungen und zum Tod im frühen Kindesalter. Bislang gibt es keine wirksame Therapie. BridgeBio will die Studie um 15 Kinder erweitern und strebt eine baldige Zulassung in den USA an.
CRISPR-Therapie lindert lebensbedrohliche Schwellungen
New England Journal of Medicine
Die Genschere CRISPR/Cas kann Schwellungen in Gesicht und Atemwegen verhindern, die beim hereditären Angioödem auftreten können. In den ersten 16 Wochen nach der Behandlung ging die Zahl der Anfälle um rund 75 Prozent zurück.
Die In-vivo-Therapie der US-Firma Intellia schaltet die Produktion eines Plasmaproteins aus. 12 von 21 Behandelten sprachen so gut auf den Eingriff an, dass die Schwellungen überhaupt nicht mehr auftraten. Die Nebenwirkungen beschränkten sich meist auf infusionsbedingte Reaktionen und Müdigkeit. Die Ergebnisse wurden im Oktober im New England Journal of Medicine veröffentlicht.
Bei der seltenen Erbkrankheit führt eine erhöhte Aktivität des Plasmaproteins Kallikrein zu plötzlichen Wassereinlagerungen im Gewebe. Die CRISPR-Therapie gelngt über das Blut in die Leber und schaltet dort das Gen für Kallikrein aus. Intellia bereitet nun eine Phase-III-Studie mit 60 Patienten vor und strebt damit eine Zulassung im Jahr 2026 an.
Methoden
Erstmals CAR-T-Zellen im menschlichen Körper erzeugt
Inside Precision Medicine
Australische Ärzte testen eine CAR-T-Zelltherapie, die ohne aufwendige Vorarbeiten auskommt: Eine Genfähre soll das CAR-Gen direkt in die Immunzellen der Krebskranken einschleusen.
Die In-vivo-Anwendung soll Wartezeiten verkürzen und Kosten senken. Zudem entfällt die Notwendigkeit einer einleitenden Chemotherapie. Der erste Mensch wurde laut der US-Firma Interius BioTherapeutics im Oktober behandelt.
Die Therapie beruht auf einem Lentivirus, das bevorzugt an den Marker CD7 andockt. CD7 kommt vor allem auf T-Zellen und NK-Zellen vor: Beide Zelltypen können wirksam gegen Krebs vorgehen. Nach Angaben der Firma besteht nur ein geringes Risiko, dass dabei unbeabsichtigt Krebsgene aktiviert werden.
Unklar ist jedoch, ob die In-vivo-Therapie ähnlich wirksam ist wie die bisherigen CAR-T-Zelltherapien. Erste Daten zur Wirksamkeit werden im Laufe des Jahres 2025 erwartet.
Wirtschaft
CRISPR-Vorreiter richtet sich neu aus
Fierce Biotech
Die US-Firma Editas Medicine konzentriert sich in Zukunft auf In-vivo-Therapien. Die Genschere CRISPR/Cas wird dabei im menschlichen Körper aktiv, um Erbkrankheiten wie die Sichelzellanämie zu lindern.
Bisher kann Editas auf diesem Gebiet nur Tierversuche vorweisen. Eine weit fortgeschrittene Studie am Menschen wird hingegen zurückgestuft: Editas will das Programm entweder abgeben oder nur noch in Kooperation weiterführen. Dies gab die Firma im Oktober in einer Pressemitteilung bekannt.
Editas gehörte zu den ersten Firmen, die den medizinischen Einsatz der Genscheren vorantreiben wollten. Zu den Gründern zählten bekannte CRISPR-Forscher wie Feng Zhang und Jennifer Doudna (die Editas allerdings bald wieder verließ). Von der Zulassung einer selbst entwickelten Therapie ist Editas jedoch weit entfernt.
Die angestrebte Neuausrichtung auf die In-vivo-Therapie ist nicht der erste Kurswechsel: Bereits vor zwei Jahren hatte Editas eine fortgeschrittene Studie zu einer Augenerkrankung abgebrochen.
Neue Zulassungen
Dritte CAR-T-Zelltherapie gegen Leukämie in den USA zugelassen
BioPharma Dive
Die CAR-T-Zelltherapie Aucatzyl ist seit November in den USA zur Behandlung der akuten lymphatischen Leukämie (ALL) zugelassen. Sie steht damit in direkter Konkurrenz zu den bereits länger zugelassenen Therapien Kymriah und Tecartus.
Der Listenpreis liegt bei 525 000 US-Dollar: Damit ist Aucatzyl gut 10 Prozent teurer als der Hauptkonkurrent Tecartus. Der Hersteller, die britische Firma Autolus, begründet den höheren Preis mit einer vergleichsweise geringen Zahl von Nebenwirkungen. Die Zulassung in der Europäischen Union ist beantragt, die Entscheidung steht aber noch aus.
Gentherapie gegen Stoffwechselstörung zugelassen
Fierce Pharma
Ebenfalls im November wurde in den USA die Therapie Kebilidi zugelassen. Die Gentherapie kann bei Säuglingen den angeborenen AADC-Mangel lindern, der zu schweren Entwicklungs- und Bewegungsstörungen führt.
Kebilidi schleust das Gen für ein Stoffwechsel-Enzym direkt in das Gehirn ein, um einen Mangel des Botenstoffs Dopamin auszugleichen. In einer Studie konnte der Eingriff bei 8 von 12 behandelten Kindern die motorische Entwicklung deutlich verbessern. In der Europäischen Union ist die Therapie bereits seit 2022 unter dem Namen Upstaza zugelassen.
Medienspiegel
Die Gentherapie war erfolgreich. Was dann?
Nature
Gentherapien befreien viele Betroffene von den akuten Schmerzattacken der Sichelzellanämie. Aber sind damit alle Probleme gelöst?
Heidi Ledford hat für die Zeitschrift Nature nachgefragt. Zwar berichten alle Behandelten von einer stark verbesserten Lebensqualität, doch nicht alles wird schlagartig besser. Denn die jahrelange Krankheit hat Körper und Psyche schwer geschädigt. Und die Ärzte wissen oft nicht, wie sie darauf reagieren sollen.