April 2021
Dieser Newsletter von wissensschau.de informiert im Abstand von zwei Monaten über jüngste Entwicklungen bei der Gentherapie und den CAR-T-Zellen.

 

Klinische Studien

CAR-Makrophagen gegen solide Tumore

Endpoints

Im März wurde erstmals ein Patient mit genmodifizierten Fresszellen behandelt, die gezielt einen soliden Tumor bekämpfen sollen. Diese CAR-Makrophagen erhielten einen künstlichen Rezeptor gegen den Krebsmarker HER2, der auf vielen schwer behandelbaren Tumoren zu finden ist. Die Zellen sollen den Tumor direkt angreifen und zugleich eine spezifische Immunantwort in Gang setzen. Entwickelt wurde die Therapie von der US-Firma Carisma Therapeutics, einer Ausgründung der Universität von Pennsylvania.

Die neue Behandlungsform ähnelt grundsätzlich einer CAR-T-Zelltherapie, mit dem Unterschied, dass Makrophagen aus dem Blut als Ausgangsmaterial dienen. Die CAR-Makrophagen sollen in unzugängliche Tumore einwandern, kurzfristig eine schützende Entzündungsreaktion auslösen und langfristig die körpereigene Immunantwort in Gang setzen. In Tierversuchen erwies sich dieser Ansatz als vielversprechend. Insgesamt sollen die Studie 18 Teilnehmer umfassen und Anfang 2023 beendet sein.

Sichelzellanämie-Studien pausieren wegen Krebsverdacht

Deutsches Ärzteblatt

Aus Sicherheitsgründen hat die US-Firma bluebird bio zwei Studien gestoppt, die eine Gentherapie gegen Sichelzellanämie testen. Ein Teilnehmer dieser Studien erkrankte an einem myelodysplastischen Syndrom, ein weiterer an einer akuten myeloischen Leukämie (AML). Noch kann nicht sicher ausgeschlossen werden, dass der verwendete lentivirale Vektor die Erkrankungen ausgelöst hat. Die in Europa bereits zugelassene Gentherapie Zynteglo verwendet den gleichen Vektor, ihre Vermarktung wurde daher ebenfalls vorerst ausgesetzt.

Lentivirale Vektoren lagern sich in das Erbgut ein und können theoretisch die Aktivierung von Krebsgenen auslösen. Laut bluebird bio ergab eine gründliche genetische Analyse, dass bei dem AML-Patienten ein Zusammenhang zwischen Gentherapie und Krebs sehr unwahrscheinlich ist. Noch ungeklärt ist diese Frage beim Patienten mit dem myelodysplastischen Syndrom, das eine Vorstufe der AML darstellt. Die zuständigen Arzneimittelbehörden haben sich noch nicht geäußert, so dass die Studien und die Vermarktung von Zynteglo weiterhin pausieren.

Kymriah bis zu fünf Jahre wirksam

New England Journal of Medicine

Die CAR-T-Zelltherapie Kymriah kann das Fortschreiten von B-Zell-Lymphomen bis zu fünf Jahre lang aufhalten. Eine Langzeitstudie fand bei 6 von 10 Patienten eine anhaltende Antwort, 3 von 10 blieben sogar frei von Krebszellen. Dies sind die bislang längsten Studiendaten einer zugelassenen CAR-T-Zelltherapie (Kymriah wurde im Jahr 2018 zugelassen). Die Studie von Forschern der Universität von Pennsylvania wurde im Februar veröffentlicht.

Insgesamt umfasste die Studie 38 Teilnehmern, 24 mit einem diffusen großzelligen B-Zell-Lymphoms (DLBCL) und 14 mit einem follikulären Lymphom. Die Wirkung von Kymriah war beim follikulärem Lymphom tendenziell etwas stärker. Wenn die Patienten ein Jahr nach Behandlungsbeginn noch in Remission waren, hatten sie gute Chancen, auch nach fünf Jahren krebsfrei zu sein.

Forschung

Genscheren dämpfen Schmerzempfinden

Science Translational Medicine

Mäuse sind unempfindlicher gegen Schmerzen, wenn ein Kanalprotein auf Nervenzellen gehemmt wird. Forscher aus dem kalifornischen San Diego erzeugten dazu Varianten zweier Genscheren, CRISPR/Cas9 und der Zinkfinger-Nuklease. Diese Varianten können die DNA nicht mehr schneiden, aber die Aktivität von Genen mithilfe eines gekoppelten Repressor-Proteins eine Zeitlang unterdrücken. Der Eingriff hemmte das Kanalprotein Nav1.7, das auch beim Menschen starken Einfluss auf das Schmerzempfinden hat.

Beide Varianten der Genscheren erwiesen sich als wirksam, wenn sie in AAV-Vektoren verpackt und den Mäusen direkt in die Wirbelsäule injiziert wurden. Die Tiere reagierten danach deutlich weniger empfindlich auf Schmerzreize, während andere sensorische oder motorische Fähigkeiten nicht offenkundig beeinträchtigt wurden. Die Wirkung hielt bis zur 44 Wochen an. Eine Anwendung beim Menschen liegt noch in weiter Ferne, könnte aber die Therapie von schweren chronischen Schmerzen ermöglichen.

Stammzellen verschwunden, Gentherapie weiterhin wirksam

Nature Communications

Selbst wenn transplantierte Blutstammzellen aus dem Knochenmark verschwinden, kann die Wirkung einer Gentherapie noch viele Jahre anhalten. Zu dieser Erkenntnis kamen britische und US-amerikanische Forscher, die fünf Patienten mit der Immunschwäche SCID-X1 für 3 bis 18 Jahre nach einer Gentherapie beobachteten.

Da die Therapie nicht mit einer Chemotherapie eingeleitet wurde, konnten sich die transplantierten Zellen nicht langfristig im Knochenmark durchsetzen und sind vermutlich innerhalb der ersten zwei Jahre verschwunden. In dieser Zeit hatte sich jedoch anscheinend eine Population von Zellen im Thymus gebildet, die weiterhin T-Lymphozyten und NK-Zellen mit der genetischen Korrektur erzeugen konnte. Forscher hoffen, diese langlebige Vorläuferpopulation im Thymus zukünftig für neue Gen- und Krebstherapien nutzen zu können.

Industrie

Rückblick auf 2020

Alliance for Regenerative Medicine

Trotz der Corona-Pandemie kann das Feld der Gentherapie auf ein erfolgreiches Jahr 2020 zurückblicken. Die Zahlen dazu finden sich im Jahresbericht der Alliance for Regenerative Medicine, einem internationalen Verband von Industrie, Forschung und Stiftungen. Die wichtigsten Eckdaten lauten:

Erste CAR-T-Zelltherapie gegen Multiples Myelom zugelassen

BioPharmaDive

Der US-Konzern Bristol Myers Squibb darf die CAR-T-Zelltherapie Abecma für die Behandlung von hartnäckigem Multiplem Myelom anbieten. In einer ersten Studie ging der Krebs bei fast 3 von 10 Patienten vollständig zurück, die mittlere Überlebensdauer betrug dann 19 Monate. Bisherige Therapien bieten kaum eine Chance auf Heilung und enden häufig in Rückfällen. Die Zulassung erfolgte bislang nur in den USA, in der Europäischen Union steht die Entscheidung noch aus.

Die von der US-Firma bluebird bio entwickelte Therapie richtet sich gegen den Krebsmarker BCMA. Die Nebenwirkungen sind oft schwerwiegend, in der Studie kam es zu einigen Todesfällen. Wie bei allen CAR-T-Zelltherapien sind Zytokinstürme und Neurotoxizität sind ein häufiges Problem, zusätzlich kann Abecma in seltenen Fällen eine lebensbedrohliche Entzündungsreaktion hervorrufen. Der veranschlagte Preis von 419 500 US$ wurde von der unabhängigen Organisation ICER als zu hoch kritisiert.

Novartis schließt Produktionsstätte für Zolgensma

FiercePharma

Der Schweizer Konzern Novartis hat offenbar den Bedarf für seine Gentherapie Zolgensma überschätzt. Eine erst kürzlich modernisierte Produktionsstätte in der Nähe von Denver, Colorado soll im Juli geschlossen werden, 400 Mitarbeiter stehen vor der Kündigung. Zwei ältere Produktionsstätten sollen nun die Versorgung in den USA sicher stellen. Ganz so schlecht sind die Verkaufszahlen dennoch nicht: Im Jahr 2020 erzielte Zolgensma einen Umsatz von 920 Millionen US-Dollar.

Methoden

CAR-T-Zellen mit eingebautem Sensor

Science

Ein biologischer Schaltkreis erlaubt es CAR-T-Zellen, die Menge eines Krebsmarkers auf Zellen abzuschätzen. Wichtig ist dies etwa bei dem Krebsmarker HER2, der auf Krebszellen und gesundem Gewebe gleichermaßen vorkommt – allerdings in unterschiedlicher Menge. Der Schaltkreis besteht aus zwei Komponenten: Ein Rezeptor mit Namen Notch reagiert auf hohe Mengen von HER2 und aktiviert einen CAR, der die HER2-Zellen wirksam beseitigt. Bei gesunden Geweben mit wenig HER2 bleibt Notch jedoch stumm und die CAR-T-Zellen werden nicht aktiviert.

Die Forscher aus San Francisco testeten diesen Schaltkreis an Mäusen, denen zwei unterschiedliche Tumore transplantiert wurden: Die CAR-T-Zellen konnten den Tumor mit viel HER2 wirksam bekämpfen, während der Tumor mit wenig HER2 unbehelligt weiter wuchs. Beim Menschen stellt sich dieses Problem bei vielen soliden Tumoren, deren Krebsmarker auch in gesunden Geweben ist. Der Schaltkreis könnte hier die Gefahr von Immunangriffen auf das eigene Gewebe deutlich reduzieren.

Medienspiegel

Stoffwechselstörungen – Gentherapien unter dem Radar

BioPharmaDive

Viele Stoffwechselerkrankungen sind so selten, dass deren Namen kaum jemand kennt. Wirksame Therapien gibt es nur selten. Was ebenfalls nur wenigen bewusst ist: Beinahe ein Viertel aller Gentherapien, die momentan in der Entwicklung sind, richten sich gegen diese Erkrankungen. Oft handelt es sich um eine der etwa 50 verschiedene Formen von lysosomalen Speicherkrankheiten, die alle auf einem einzelnen Gendefekt beruhen. Über die Fortschritte berichtet Ned Pagliarulo im Online-Journal BioPharmaDive.

 
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