April 2023
Dieser Newsletter von wissensschau.de informiert im Abstand von zwei Monaten über jüngste Entwicklungen bei der Gentherapie und den CAR-T-Zellen.
Klinische Studien
CAR-T-Zellen lindern seltene Autoimmunerkrankung
Deutsches Ärzteblatt
Ein 41-jähriger Mann mit dem seltenen Antisynthetase-Syndrom ist nach einer CAR-T-Zelltherapie vollständig genesen. Der Zustand des Mannes war zuvor kritisch: Er litt unter starker Muskelschwäche und Atemnot. Die CAR-T-Zellen beseitigten die B-Lymphozyten des Immunsystems und stoppten so die Autoimmunreaktion. Wie das Universitätsklinikum Erlangen berichtet, ist der Mann auch 180 Tage nach der Behandlung noch beschwerdefrei. Die Ergebnisse wurden im März im Fachjournal Lancet veröffentlicht.
Beim Antisynthetase-Syndrom richtet sich das Immunsystem gegen wichtige Stoffwechselenzyme. Das Erlanger Team hatte CAR-T-Zellen bereits bei einer anderen Autoimmunerkrankung, dem Lupus erythematodes, erfolgreich eingesetzt. Auch im aktuellen Fall gelang dies: Die Symptome kehrten nicht zurück, selbst als sich die Zahl der B-Lymphozyten nach einigen Wochen wieder normalisierte. Eine längere Beobachtung soll nun die Frage klären, ob die Autoimmunerkrankung dauerhaft unterdrückt wird.
Langzeitstudie: Abecma verlängert progressionsfreies Überleben
Deutsches Ärzteblatt
Die CAR-T-Zelltherapie Abecma kann das Fortschreiten des Multiplen Myeloms deutlich verlangsamen. Ein Langzeitüberleben scheint aber eher unwahrscheinlich: Die berechnete Überlebenskurve deutet an, dass der Krebs spätestens nach 33 Monaten sein Wachstum wieder aufnimmt. Dies ergab eine Studie mit 386 Teilnehmern, in der die Wirkung von Abecma mit der von konventionellen Therapien verglichen wurde. Eine internationale Studiengruppe hat die Ergebnisse im März im New England Journal of Medicine veröffentlicht.
Abecma führte bei 71 % der Behandelten zu einem deutlichen Rückgang des Multiplen Myeloms, bei 39 % verschwand der Krebs vollständig. Bei konventioneller Behandlung waren die entsprechenden Werte mit 42 % bzw. 5 % deutlich niedriger. Das mittlere progressionsfreie Überleben betrug bei Abecma etwa 13 Monate, bei Standardtherapien nur etwa 4 Monate. Die mittlere Beobachtungszeit lag bei knapp 19 Monaten, das Ende der Studie ist für 2027 geplant.
Anwendung
Roctavian: Zusatznutzen schwer zu bestimmen
Gemeinsamer Bundesausschuss
Die Gentherapie Roctavian reduziert die Blutungsneigung bei Hämophilie A – aber wie groß ist der Vorteil gegenüber anderen Therapien? Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) gab im März bekannt, dass er den Zusatznutzen nicht quantifizieren kann: Die vom Hersteller BioMarin vorgelegten Daten wiesen erhebliche methodische Schwächen auf. Der Zusatznutzen an sich wird jedoch nicht in Frage gestellt, da Roctavian als Orphan Drug ein seltenes Leiden behandelt und damit einen gesetzlichen Sonderstatus genießt.
Langzeitstudien des Herstellers hatten zuvor gezeigt, dass Roctavian die Blutungsneigung bei dem erblichen Faktor-VIII-Mangel um 80 Prozent verringert. Zudem konnten 9 von 10 Teilnehmern nach der Behandlung auf eine vorbeugende Substitutionstherapie verzichten. Allerdings gibt es auch Hinweise, dass die Wirkung von Roctavian mit der Zeit nachlässt. Der G-BA hat BioMarin aufgefordert, weitere Daten aus der klinischen Routineversorgung zu erheben.
Wirtschaft
Gentherapie für Sichelzellanämie – bis zu 2 Millionen US-Dollar noch kosteneffizient
Endpoints News
In diesem Jahr könnten in den USA gleich zwei Gentherapien gegen die Sichelzellanämie zugelassen werden. Beide Therapien sind anscheinend sehr wirksam – doch bis zu welchem Preis sind sie auch kosteneffizient? Das unabhängige Institute for Clinical and Economical Review (ICER) hat dazu im April eine erste Kosten-Nutzen-Analyse veröffentlicht: Im Rahmen des US-Gesundheitssystems wird eine Preisspanne zwischen 1,5 und 2 Millionen US-Dollar als vertretbar angesehen.
Einen bindenden Charakter hat der ICER-Bericht jedoch nicht. Es ist daher unklar, ob sich die beteiligten Firmen – Vertex/CRISPR-Therapeutics und Bluebird Bio – davon beeinflussen lassen. Vor allem bei der finanziell angeschlagenen Bluebird Bio sind Zweifel angebracht: Für die sehr ähnliche Gentherapie Zynteglo gegen ß-Thalassämie verlangt die Firma bereits 2,8 Millionen US-Dollar. Im Jahr 2021 war Zynteglo vom europäischen Markt genommen worden, weil Bluebird den angebotenen Preis von 1,6 Millionen Euro nicht akzeptieren wollte.
Gentherapie gegen Blindheit – Zulassungsantrag zurückgezogen
BioPharma Dive
Eine Gentherapie gegen die Lebersche Optikusatrophie kann laut einer Studie das Sehvermögen verbessern, doch für eine Zulassung reichen die Daten wohl nicht aus. Das machten Experten der Europäischen Arzneimittelagentur bei einer Anhörung im April deutlich. Die französische Firma GenSight Biologics zog daraufhin ihren Zulassungsantrag aus dem Jahr 2020 zurück. Möglicherweise ist eine weitere Studie nötig – ob die Firma das nötige Kapital dafür aufbringen kann, ist unklar.
Die seltene Lebersche Optikusatrophie führt im schlimmsten Fall zu einer fast vollständigen Erblindung. Eine Studie mit 252 Teilnehmern zeigte zwar, dass die Gentherapie Lumevoq die Sehleistung deutlich verbessern kann. Allerdings verbesserte sich die Sehleistung auch im unbehandelten Auge: Die Aussagekraft der Daten bleibt daher unklar. GenSight kämpft derzeit mit akuten finanziellen Schwierigkeiten und ist auf der Suche nach einem kapitalstarken Investor.
Methoden
Molekulare Spritze transportiert Cas9-Enzym in menschliche Zellen
Nature
Eine „molekulare Spritze‟ kann die Oberfläche menschlicher Zellen durchdringen und Proteine in deren Inneres einschleusen. Ursprünglich stammt dieses extracellular Contractile Injection System (eCIS) aus einem Bakterium, das in Fadenwürmern lebt. Eine Arbeitsgruppe um den US-Forscher Feng Zhang hat das eCIS an den Menschen angepasst: Es kann nun u.a. das Enzym Cas9 in menschliche Zellen transportieren und gezielte Veränderungen am Erbgut auslösen. Die Studie ist Ende März in der Online-Ausgabe von Nature erschienen.
Kontraktile Injektionssysteme sind bei Bakterien und Viren weit verbreitet. Nun könnten sie auch in der Medizin zum Einsatz kommen: Die US-Forscher haben das bakterielle Vorbild in ein anpassungsfähiges Werkzeug verwandelt, dessen Zielstruktur und transportierte Fracht weitgehend frei wählbar sind. Allerdings eignet es sich noch nicht für den Transport von RNA-Molekülen, die für die CRISPR/Cas-Technik unerlässlich sind. Die Forscher arbeiten nun daran, auch diese Hürde zu überwinden.
Medienspiegel
Sichelzellanämie scheint heilbar. Afrika hat nichts davon.
STAT News
Zwei Gentherapien gegen Sichelzellanämie stehen kurz vor der Zulassung – in den USA. Doch die Krankheit trifft vor allem Afrika, dessen Gesundheitssystem für derartige Therapien nicht ausgelegt ist. So gibt es südlich der Sahara insgesamt nur drei Zentren, die einen Eingriff in das Knochenmark vornehmen können – in den USA sind es über 200. Megan Molteni von STAT News zeigt mögliche Lösungen auf.
Wenn die Gentherapie versagt
USA Today
Medien berichten gerne, wenn Gentherapien schwerkranken Menschen ein neues Leben schenken. Was aber, wenn es nicht so gut läuft? Karen Weitraub von USA Today erzählt die Geschichte eines Elternpaares, dessen kleine Tochter eine experimentelle Gentherapie erhält. Über die Freude, als sich der Zustand des Kindes zunächst bessert. Und über die Trauer, als das Mädchen mit drei Jahren stirbt.