August 2020
Dieser Newsletter von wissensschau.de informiert im Abstand von zwei Monaten über jüngste Entwicklungen bei der Gentherapie und den CAR-T-Zellen.

 

Klinische Studien

Erste Gentherapie gegen Huntington

uniQure

Die niederländische Firma uniQure hofft, dass eine Gentherapie den Fortschritt der Huntington-Krankheit verlangsamt. Im Juni injizierten Ärzte dem ersten Patienten eine AAV-Genfähre direkt in das Gehirn: Sie transportiert kurze RNA-Moleküle, die die Aktivität des mutierten Huntingtin-Gens hemmen sollen. Zur Kontrolle wurde eine Scheinbehandlung durchgeführt: Ein zweiter Studienteilnehmer wurde zwar am Schädel operiert, eine Injektion der Genfähre fand jedoch nicht statt.

Die verblindete und randomisierte Studie wird in den USA durchgeführt und soll letztlich 26 Patienten einschließen. Getestet werden zwei unterschiedliche Dosen der Gentherapie, in einem Plazeboarm werden nur Scheinoperationen durchgeführt. Dieser Eingriff könnte erstmals den Verlust von Gehirnzellen mindern, der bei Huntington-Patienten im Alter von etwa 40 Jahren einsetzt. Eine weitere Biotechfirma, Voyager Therapeutics aus Massachusetts, will ebenfalls in absehbarer Zeit mit dem Test einer Gentherapie beginnen.

Begrenzter Erfolg bei Netzhautentzündung

BioPharmaDive

Eine Gentherapie der US-Firma MeiraGTx verlangsamt das Fortschreiten der Augenerkrankung Retinitis Pigmentosa: Sechs Monate nach Behandlungsbeginn ging es 5 von 10 Patienten etwas besser. Im behandelten Auge zeigten sich Verbesserungen bei der Lichtempfindlichkeit und dem zentralen Gesichtsfeld, das unbehandelte Auge diente als Kontrolle. Die Patienten litten der X-chromosomalen Form der Retinitis Pigmentosa, die in der Kindheit einsetzt und oft mit Mitte 40 zu Blindheit führt.

Die Therapie basiert auf einer AAV-Genfähre, die eine funktionsfähige Form des Gens RPGR in die Netzhaut transportiert. Es wurden drei Dosen getestet, wobei eine Wirkung nur bei niedrigen und mittleren Dosen beobachtet wurde (bei 5 von 7 Patienten). Bei 2 von 3 Patienten mit einer hohen Dosis traten Entzündungen auf, die die Wirksamkeit der Therapie möglicherweise beeinträchtigt haben. MeiraGTx startet zusammen mit dem US-Konzern Johnson & Johnson demnächst eine weitergehende Phase-III-Studie.

Multiples Myelom: Hohe Ansprechrate bei CAR-T-Zelltherapie

Deutsches Ärzteblatt

Alle 29 Patienten mit Multiplem Myelom, die CAR-T-Zellen gegen den Krebsmarker BCMA erhielten, sprachen auf die Behandlung an. Eine komplette Remission wurde bei 25 Patienten erreicht, selbst nach 9 Monaten war das Myelom bei 22 Patienten noch unter Kontrolle. Die Teilnehmer der Studie des belgischen Konzerns Janssen hatten zuvor durchschnittlich fünf, in einem Einzelfall sogar 18 erfolglose Vorbehandlungen erhalten.

Auf einer Konferenz in den USA präsentierte der Konzern zudem ein gutes Sicherheitsprofil. Häufige Nebenwirkungen wie Neurotoxizität und Zytokinsturm waren meist nur schwach ausgeprägt (obwohl ein Patient an den Folgen eines Zytokinsturms verstarb). Doch trotz der überzeugenden Daten wird diese Therapie für Janssen kein Selbstläufer: Die Konkurrenz durch andere Pharmakonzerne und Behandlungsarten ist extrem hoch.

Todesfälle durch AAV-Genfähren und CAR-T-Zellen

BioPharmaDive / FierceBiotech

Zwei Patienten mit Myotubulärer Myopathie, Teilnehmer einer Studie der US-Firma Audentes, verstarben im Mai und Juni dieses Jahres. Kurz nach der Behandlung mit hochdosierten AAV8-Genfähren entwickelten beide schwere Leberprobleme, der Tod trat durch eine nachfolgende Sepsis ein. Die Studie wurde vorläufig gestoppt. AAV-Vektoren sind schon länger in der Diskussion: Vor zwei Jahren hatte ein prominenter Wissenschaftler vorhergesagt, dass AAV-Vektoren in hohen Dosen schwer kontrollierbare Nebenwirkungen auslösen.

Im Verlauf einer CAR-T-Zelltherapie der französischen Firma Cellectis, die körperfremde Zellen gegen Multiple Myelome einsetzt, ereignete sich ebenfalls ein Todesfall. Der Patient entwickelte einen Zytokinsturm und verstarb letztlich an einem Herzstillstand, dessen Ursache bislang unklar ist. Auch diese Studie wurde gestoppt. Cellectis hatte bereits zuvor überlegt, die Studie mit einer niedrigeren Dosis an allogenen CAR-T-Zellen fortzusetzen.

Forschung

CAR-T-Zellen gegen die Folgen des Alterns

Nature

Mit den Jahren häufen sich im Körper teilungsunfähige (seneszente) Zellen an, denen eine treibende Rolle bei Alterungsprozessen zugeschrieben wird. Forschern am Memorial Sloan Kettering Center in New York ist es nun gelungen, diese seneszenten Zellen in Mäusen mit CAR-T-Zellen zu beseitigen. Im Fachjournal Nature berichten sie, dass in diesen Tieren unter manchen Bedingungen die Entwicklung einer Leberfibrose – einer häufigen Alterskrankheit – deutlich reduziert war.

Im ersten Schritt hatten die Forscher das Protein urokinase plasminogen activator receptor (uPAR) als Marker für seneszente Zellen identifiziert, bei Mäusen wie auch beim Menschen. Dann erzeugten sie CAR-T-Zellen, die gegen uPAR gerichtet sind und seneszente Zellen aus dem Gewebe entfernen. In Mäusen linderten diese CAR-T-Zellen die Folgen einer Leberfibrose, die durch eine Diät oder chemische Reize ausgelöst wurde: Das Narbengewebe war verringert und es wurden deutlich weniger Leberenzyme ins Blut abgegeben. Als nächstes soll in Mäusen untersucht werden, ob dieser Eingriff auch bei Atherosklerose, Diabetes und Osteoarthritis Wirkung zeigt.

Industrie

Dritte CAR-T-Zelltherapie in den USA zugelassen

FiercePharma

Im Juli hat die US-Arzneimittelbehörde eine neue CAR-T-Zelltherapie genehmigt: Tecartus ist auf Mantelzell-Lymphome zugeschnitten und soll Erwachsenen helfen, die auf andere Therapien nicht ansprechen oder rückfällig geworden sind. Nach Yescarta ist dies die zweite CAR-T-Zelltherapie des US-Konzerns Gilead, und mit Kymriah von Novartis die dritte auf dem US-amerikanischen Markt. Über eine Zulassung in der EU wird noch beraten.

Die Wirksamkeit belegen Daten von 60 Patienten: Bei 52 Behandelten ging das Lymphom innerhalb der ersten sechs Monate vollständig zurück, manche überleben bereits seit über zwei Jahren. Zytokinsturm und Neurotoxizität waren – wie immer bei CAR-T-Zellen – eine häufige Nebenwirkung. Der Rezeptor (CAR) von Tecartus wurde bereits bei Yescarta eingesetzt, die Produktion der CAR-T-Zellen erfolgt allerdings nach einem anderen Protokoll. Und wie bei Yescarta soll der Preis 373 000 US-Dollar betragen.

uniQure richtet sich neu aus

Endpoints

Die niederländische Firma uniQure, Anbieter der ersten Gentherapie Europas, galt zuletzt als Kandidat für ein Übernahme – nicht zuletzt wegen vielversprechender Studien bei Hämophilie B. Doch im Juni haben die Niederländer ihr Kernprojekt überraschend verkauft: Die Rechte für die experimentelle Hämophilie B-Gentherapie liegen nun bei CSL Behring, einer Tochter des australischen Konzerns CSL. Die Übernahme durch einen großen Konzern scheint nun eher unwahrscheinlich.

Es wäre uniQure wohl auch schwergefallen, auf dem hart umkämpften Hämophilie-Markt zu bestehen. Zudem spült der Verkauf kurzfristig 450 Millionen US-Dollar in die Firmenkasse, langfristig stehen weitere 1,6 Milliarden US-Dollar in Aussicht. Das schafft ein ausreichendes Polster für weitere vier eigenständige Jahre, in denen sich uniQure auf Störungen im Zentralnervensystem fokussieren möchte - darunter auch die erste Gentherapie für Huntington (siehe oben).

Methoden

CAR-T-Zellen für ein Zehntel des Preises

International Journal of Cancer

Etwa 320 000 € verlangen die Hersteller für eine CAR-T-Zelltherapie in Deutschland – langfristig könnte das zu einer erheblichen Belastung des Gesundheitssystems führen. Laut einer Analyse des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg geht es deutlich günstiger: Eine öffentliche wissenschaftliche Einrichtung könnte die Herstellungskosten unter manchen Bedingungen auf 33 000 € senken. Diese Rechnung präsentierten Forscher kürzlich im International Journal of Cancer.

Dabei monieren sie vor allem zwei Dinge: Die zentralisierte Herstellung an wenigen Zentren, die unnötige Kosten für Transport und Verarbeitung verursacht. Und ein personalintensiver Herstellungsprozess, die heute weitgehend von Maschinen übernommen werden kann. Eine öffentliche Klinik mit einem hauseigenen, automatisierten Reinraum könnte Herstellungskosten von etwa 45–60 000 Euro pro Behandlung realisieren. Wird zusätzlich eine kostengünstige Alternative für die lentiviralen Vektoren benutzt, sinken die Kosten sogar auf 33 000 Euro. Nicht darin enthalten sind allerdings die Kosten für Verwaltung und Lizenzen.

Medienspiegel

Gentherapie für DMD – die Geschichte des ersten Patienten

NPR

Ärzte diagnostizierten im Jahr 2015 beim vierjährigen Conner Curran eine schwere Erbkrankheit, die damals fast einem Todesurteil gleich kam. Sein Glück war, dass der US-Forscher Jude Samulski bereits drei Jahrzehnte zuvor begonnen hatte, eine Gentherapie für die Duchenne Muskeldystrophie (DMD) zu entwickeln.

Im Jahr 2018 trafen die beiden zusammen und Conner wurde der erste Patient von Samulskis Therapie. Auch wenn der Behandlungserfolg von einer vollständigen Heilung weit entfernt ist, hat sie doch dem Kind die Chance auf ein halbwegs normales Leben eröffnet. Der Reporter Jon Hamilton erzählt diese Geschichte für die US-Medienorganisation NPR.

 
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