Februar 2021
Dieser Newsletter von wissensschau.de informiert im Abstand von zwei Monaten über jüngste Entwicklungen bei der Gentherapie und den CAR-T-Zellen.

 

Klinische Studien

Patient entwickelt Leberkrebs während Hämophilie B-Studie

Deutsches Ärzteblatt

Ein Krebsfall zwingt die niederländische Firma uniQure, eine Studie zur erblichen Gerinnungsstörung Hämophilie B zu unterbrechen. Ein älterer Patient zeigt Anzeichen eines hepatozellulären Karzinoms, wie eine Routineuntersuchung ein Jahr nach Beginn der Gentherapie ergab. Obwohl die zur Behandlung eingesetzten AAV-Genfähren als vergleichsweise sicher gelten, kann ein Zusammenhang mit der Erkrankung nicht ausgeschlossen werden. Der Patient litt allerdings bereits zuvor unter chronischer Hepatitis B und C sowie einer chronischen nicht-alkoholischen Fettleber – bekannte Risikofaktoren für Leberkrebs.

Aus Vorsicht verfügte die US-Arzneimittelbehörde FDA im Dezember 2020 einen vorläufigen Stopp der Phase-III-Studie. Eine genetische Analyse soll klären, ob die AAV-Genfähre im Erbgut der Leberzellen nachweisbar ist und als mögliche Ursache in Frage kommt. Vorerst bleiben die Folgen des verordneten Stopps überschaubar: uniQure hat bereits alle geplanten 54 Teilnehmer in die Studie eingeschlossen, der Zeitplan für die Markteinführung der Gentherapie ist daher nicht unmittelbar gefährdet.

Gentherapie gegen Duchenne-Muskeldystrophie in nächster Phase

Muscular Dystrophy News

Der US-Konzern Pfizer hat die erste Phase-III-Studie für eine Gentherapie gegen die Duchenne-Muskeldystrophie gestartet. Ende Dezember 2020 wurde in Barcelona der erste Patient behandelt, 98 weitere sollen in insgesamt 15 Ländern folgen. Die Gentherapie nutzt einen AAV-Vektor, der eine verkürzte Variante des Dystrophin-Gens in die Zellen der Skelettmuskulatur einschleust. Dies soll ein Fortschreiten der Erbkrankheit aufhalten, die einen schleichenden Muskelschwund auslöst und oft im Alter von etwa 40 Jahren zum Tod führt.

Das Alter der Studienteilnehmer wird zwischen vier und sieben Jahren liegen, zudem sollten sie anfangs noch selbständig gehen können. Zu Beginn der verblindeten Studie werden zwei Drittel der Teilnehmer mit der Gentherapie behandelt, die übrigen erhalten ein Plazebo. Nach einem Jahr erhält die Plazebo-Gruppe ebenfalls die Gentherapie. Pfizer hofft, bereits Anfang 2022 die Ergebnisse einer ersten Zwischenanalyse zu präsentieren.

Erbliche Erblindung: Ein Auge behandelt, beide verbessert

Deutsches Ärzteblatt

Die französische Firma GenSight Biologics hat eine Gentherapie gegen die seltene Augenerkrankung Lebersche Optikusatrophie an 37 Patienten getestet. Die Therapie war unerwartet erfolgreich: Obwohl nur ein Auge behandelt wurde, hat sich die Sehkraft auch auf dem anderen Auge signifikant verbessert. Versuche mit Affen fanden eine mögliche Erklärung: Die Genfähre wandert über den Sehnerv des behandelten Auges in Richtung Gehirn und wechselt an einem Kreuzungspunkt zum Sehnerv des unbehandelten Auges.

Auslöser der Lebersche Optikusatrophie ist ein defektes Stoffwechselenzym, das Nervenzellen in der Netzhaut absterben lässt. Betroffene erfahren im Alter von 30 bis 40 Jahren einen plötzlichen Sehverlust in einem Auge, der bald auf das andere Auge übergreift und innerhalb von Monaten zur völligen Erblindung führt. Bei den Teilnehmern der Studie hatte der Sehverlust bereits eingesetzt, konnte aber durch die Gentherapie mindestens 96 Wochen lang aufgehalten und teilweise sogar rückgängig gemacht werden. Die Firma hat bereits einen Antrag auf Zulassung in Europa eingereicht, über den vermutlich Ende des Jahres entschieden wird.

Forschung

Basen-Editor bremst vorschnelle Alterung

Nature

Eine Variante der Genschere CRISPR/Cas9 hat in Mäusen einen Gendefekt korrigiert, der Körperorgane vorschnell altern lässt – die Lebenserwartung der Tiere hat sich daraufhin verdoppelt. Der gleiche Gendefekt löst beim Menschen das sehr seltene Hutchinson-Gilford-Syndrom aus. Forscher um den US-Amerikaner David Liu hoffen daher, dass ihre Methode langfristig auch betroffenen Menschen helfen kann. Das Ergebnis ihrer Studie haben die Wissenschaftler im Januar im Fachjournal Nature veröffentlicht.

Ewa 400 Kinder leiden weltweit an dem Hutchinson-Gilford-Syndrom, kaum eines wird älter als 15 Jahre. Ursache der vorschnellen Alterung ist das Protein Progerin, das durch den Austausch einer einzigen DNA-Base im Erbgut entsteht. Eine kürzlich entwickelte Methode, Basen-Editor genannt, korrigiert diese Mutation gezielt und ohne größere Schäden am Erbgut. Vor der ersten Anwendung am Menschen wollen die Forscher ihre Methode in weiteren Tests verfeinern.

Industrie

Vierte CAR-T-Zelltherapie in den USA zugelassen

Endpoints

Auch der US-Konzern Bristol Myers Squibb darf nun eine CAR-T-Zelltherapie anbieten: Breyanzi soll Patienten mit großzelligen B-Zell-Lymphomen helfen, die bereits zwei erfolglose Therapieversuche hinter sich haben. Es ist bereits die dritte CAR-T-Zelltherapie gegen diese Krebsart, neben Kymriah von Novartis und Yescarta vom US-Konzern Gilead. Eine vierte Therapie, Tecartus von Gilead, richtet sich gegen Mantelzell-Lymphome.

Breyanzi erhielt anfang Februar die Zulassung für den US-Markt. Die Therapie ist ähnlich wirksam wie Kymriah und Yescarta, löst aber wohl etwas weniger Nebenwirkungen aus. Bristol Myers Squibb hofft daher, dass sich Breyanzi auch für eine ambulante Versorgung eignet - ein möglicher Vorteil gegenüber den Konkurrenten. Der Therapie soll 410 300 US-Dollar kosten und ist damit etwa 10 Prozent teurer als die Konkurrenzprodukte.

Bluebird Bio – aus eins macht zwei

BioPharmaDive

Die US-Firma Bluebird bio, Hersteller der Gentherapie Zynteglo, spaltet sich in zwei unabhängige Firmen auf. Wissenschaftlich hatte Bluebird bio lange eine Führungsposition bei Gen- und Zelltherapien inne, konnte diese aber nicht in finanzielle Erfolge ummünzen. Nach einigen Rückschlägen hat die Firma an der Börse nun viel von ihrem Wert eingebüßt.

Die eine Hälfte der Firma heißt weiterhin Bluebird bio und behält Zynteglo sowie andere Gentherapien gegen seltene Blut- und Hirnerkrankungen. Die andere Hälfte hat bislang noch keinen Namen und wird Therapien gegen Lymphome und feste Tumore entwickeln. ide-cel, eine Therapie gegen das Multiple Myelom und eine Kooperation mit Bristol Myers Squibb, könnte bereits im März in den USA zugelassen werden. Die Aufspaltung von Bluebird bio soll Ende des Jahres abgeschlossen sein.

Deutsche Gentherapie-Firma kooperiert mit US-Biotechkonzern

BioPharmaDive

Die ViGeneron GmbH bei München und der US-Konzern Biogen haben im Januar vereinbart, gemeinsam eine Gentherapie für eine erbliche Augenerkrankung zu entwickeln. ViGeneron übernimmt die Laborforschung, Biogen steuert vor allem seine Expertise bei klinischen Studien bei. Darüber hinaus ist wenig über die Vereinbarung bekannt: Die Firmen nennen weder das Ziel-Gen noch Details der Finanzierung.

ViGeneron wurde 2017 von Wissenschaftlern der Ludwig-Maximilians-Universität München gegründet, die eine neue Variante von AAV-Genfähren entwickelt hatten. Diese vgAAV-Vektoren versprechen eine bessere Wirksamkeit bei der Behandlung von Augenkrankheiten. Biogen erlitt zuletzt einige Rückschläge bei neuronalen Erkrankungen und will sich nun stärker in der Ophthalmologie und Immunologie engagieren.

Methoden

Chinin-Polymere transportieren DNA

Proceedings of the National Academy of Sciences

Ein neues Polymer-Molekül schleust DNA in menschliche Zellen ein und könnte langfristig eine Alternative zu viralen Vektoren darstellen. Forscher aus Minneapolis nutzten auch den Bitterstoff Chinin für die Erzeugung des Polymers, das wesentlich leistungsfähiger als bisherige synthetische Transportmoleküle ist. Getestet wurde es jedoch bislang nur an Zellkulturen im Labor. Die Studie erschien Ende Dezember 2020 im Fachjournal PNAS.

Bislang nutzen Gentherapien meist veränderte Viren für den Transport von Genen. Diese viralen Vektoren weisen jedoch zahlreiche Nachteile auf: Sie sind teuer und kurzlebig, besitzen oft eine geringe Transportkapazität und können schwere Komplikationen hervorrufen. Forscher arbeiten daher schon länger an synthetischen Ersatzstoffen, die allerdings meist wenig wirksam und oftmals auch toxisch waren. Die US-Forscher glauben, dass ihr neues Chinin-Polymer hier wesentliche Vorteile bringt.

Medienspiegel

Gentherapie – die Aussichten für 2021

BioPharmaDive

Todesfälle, Rückschläge und eine verweigerte Zulassung: Das Jahr 2020 gestaltete sich für die Entwicklung der Gentherapie eher durchwachsen. Wirft das auch einen Schatten auf das Jahr 2021? Ned Pagliarulo von BioPharmaDive fasst seinen Ausblick in fünf Fragen zusammen, die sich u. a. mit der US-Arzneimittelbehörde, den Börsen, jungen Start-Up-Firmen und etablierten Konzernen befassen.

Hämophilie: Gentherapie schien in Reichweite

BioPharmaDive

Die US-Firma BioMarin war sich eigentlich sicher, dass ihre Gentherapie für Hämophilie B kurz vor der Zulassung stand. Doch der US-Arzneimittelbehörde kamen Zweifel, ob die Wirkung der Therapie nicht zu schnell verfliegt - sie verlangte neue Daten. Die Einführun ist erst einmal verschoben, und die Folgen könnten auch andere namhafte Firmen spüren: Roche, Pfizer, uniQure, Freeline Therapeutics und Bayer/Ultragenyx. Ben Fidler analysiert auf BioPharmaDive den Stand der Entwicklung.

 
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