Februar 2023
Dieser Newsletter von wissensschau.de informiert im Abstand von zwei Monaten über jüngste Entwicklungen bei der Gentherapie und den CAR-T-Zellen.
Klinische Studien
T-Zell-Leukämie mit Hilfe von Base Editing zurückgedrängt
Progress Educational Trust
Mehrfach gentechnisch veränderte CAR-T-Zellen haben eine T-Zell-Leukämie (T-ALL) bei einem 13-jährigen Mädchen zurückgedrängt. Der Zustand des Kindes verbesserte sich so weit, dass es sich einer Stammzelltransplantation unterziehen konnte. Diese Transplantation verlief erfolgreich. Um die körperfremden CAR-T-Zellen gegen T-ALL einzusetzen, musste deren Erbgut an drei Stellen durch ein Base Editing verändert werden. Forscher aus London stellten diese Studie im Dezember 2022 auf einem Fachkongress vor.
Das Base Editing nutzt die Genschere CRISPR/Cas, um gezielt einzelne DNA-Basen zu verändern. Ein Eingriff ins Erbgut war notwendig, weil die CAR-T-Zellen das Protein CD7 als Erkennungsmerkmal für Leukämiezellen nutzen. Aber auch CAR-T-Zellen tragen den CD7-Marker: Das Base Editing schaltete das Gen für CD7 aus und verhinderte so, dass sich die CAR-T-Zellen gegenseitig angreifen. Die Studie wird fortgesetzt und soll insgesamt zehn Kinder im Alter von sechs Monaten bis 16 Jahren behandeln.
Immunschwäche ART-SCID erfolgreich behandelt
Deutsches Ärzteblatt
Eine Gentherapie hilft zehn Kleinkindern mit einer seltenen Erbkrankheit, ein vollständiges Immunsystem aufzubauen. Bei der Krankheit ART-SCID verhindert der Ausfall des DNA-Reparatur-Enzyms Artemis, dass sich B- und T-Zellen entwickeln. Die Gentherapie konnte diesen Defekt mit einem lentiviralen Vektor beheben, der ein intaktes Artemis-Gen in Blutstammzellen einschleust. Die Studie wird an der Universität von Kalifornien in San Francisco durchgeführt. Die ersten Ergebnisse erschienen im Dezember 2022 in der Fachzeitschrift NEJM.
Die Kinder waren zum Zeitpunkt der Behandlung zwischen 2 und 14 Monate alt. Im Mittel erreichte die T-Zell-Immunantwort nach etwa 12 Monaten ein normales Niveau. Nach etwa 24 Monaten waren häufig auch genügend funktionsfähige B-Zellen vorhanden. Um die Wirksamkeit der Gentherapie besser beurteilen zu können, werden die Kinder noch länger beobachtet. Da Kinder mit ART-SCID eine Stammzelltransplantation meist schlecht vertragen, könnte die Gentherapie die beste Aussicht auf ein weitgehend normales Leben bieten.
Langzeitstudie bestätigt Wirkung von Roctavian
Endpoints News
Die bisher größte und längste Studie hat bestätigt, dass die Gentherapie Roctavian die Erbkrankheit Hämophilie A wirksam behandeln kann. Drei Jahre nach der Behandlung ging die Zahl der Blutungsepisoden bei den 134 Teilnehmern um 80 Prozent zurück, 92 Prozent der Behandelten konnten auf eine vorbeugende Substitutionstherapie verzichten. Allerdings sinkt ab dem zweiten Jahr die Aktivität des Gerinnungsfaktors VIII im Blut langsam, aber stetig ab. Das teilte der Hersteller BioMarin im Januar mit.
In der Europäischen Union ist Roctavian seit August 2022 zugelassen. Die US-Arzneimittelbehörde FDA hat einen möglichen Zulassungstermin jedoch mehrfach verschoben, weil sie Daten von mehr Patienten über einen längeren Zeitraum sehen will. Eine Entscheidung der FDA wird für Ende März erwartet, könnte sich aber erneut verzögern.
Anwendung
Zolgensma: Leberfunktion muss überwacht werden
Deutsches Ärzteblatt
Nach zwei Todesfällen betont die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA), dass bei Anwendung der Gentherapie Zolgensma die Leberfunktion gut überwacht werden sollte. Die behandelnden Ärzte sollen vor dem Eingriff und mindestens drei Monate danach auf mögliche Entzündungsreaktionen achten. Der Hersteller Novartis hat dazu im Februar einen Rote-Hand-Brief verschickt, der mit der EMA und den deutschen Behörden abgestimmt war. Zolgensma wird zur Behandlung der spinalen Muskelatrophie eingesetzt. Im August 2022 waren dabei zwei Kinder an akutem Leberversagen gestorben.
Forschung
CRISPR/Cas-Variante lindert Huntington bei Mäusen
Nature Neuroscience
US-Forscher können gezielt veränderte Boten-RNA entfernen, um die Symptome der Huntington-Erkrankung bei Mäusen zu lindern. Möglich ist dies mit der Genschere CRISPR/Cas13d, die nur RNA schneidet und das Erbgut unverändert lässt. Die Mäuse zeigten danach eine bessere motorische Koordination und weniger Schäden im Gehirn. Die Wirkung hielt mindestens acht Monate an. Diese Ergebnisse erschienen in der Januar-Ausgabe von Nature Neuroscience.
Menschen mit der Huntington-Erkrankung entwickeln als Erwachsene schwere Bewegungsstörungen. Ihre Körperzellen enthalten in der Regel Boten-RNA, die je zur Hälfte von einem veränderten und einem funktionsfähigen Huntingtin-Gen stammt. Die Genschere CRISPR/Cas13d kann die veränderte Variante gezielt angreifen, weil sie verlängerte Sequenzen der drei Nukleotide „CAG‟ enthält. Die Genschere wurde mit einer AAV-Genfähre in die Mäuse eingeschleust. Nebenwirkungen und Erbgutschäden waren nicht nachweisbar.
Base Editing vermindert Schäden nach Herzinfarkt bei Mäusen
Science
Mäuse überstehen einen Herzinfarkt ohne bleibende Schäden, wenn eine CRISPR-Variante gezielt ein Signalprotein verändert. Die CRISPR-Variante erzeugt keinen DNA-Doppelstrangbruch, sondern tauscht gezielt einzelne Basen aus und verhindert so die Überaktivität eines Enzyms. Drei Wochen nach dem Infarkt war die Herzleistung fast vollständig wiederhergestellt, während unbehandelte Kontrolltiere erste Anzeichen einer chronischen Herzschwäche zeigten. Forscher aus Dallas veröffentlichten diese Ergebnisse im Januar in Science.
Gewebeschäden nach einem Herzinfarkt gehen teilweise auf eine erhöhte Aktivität des Enzyms CaMKIId zurück. Die CRISPR-Variante verminderte diese Schäden, wenn sie kurz nach einem künstlich ausgelösten Infarkt in die Herzen von Mäusen eingebracht wurde. Die Forscher gehen davon aus, dass die Methode prinzipiell auch beim Menschen anwendbar ist und sich gut mit der Routinebehandlung von Herzinfarkten kombinieren lässt. Vor einem Test am Menschen muss sich die Methode aber noch in weiteren Tierversuchen als sicher erweisen.
Neue Zulassungen
Gentherapie gegen Blasenkrebs in den USA zugelassen
U.S. Food and Drug Administration
Die Gentherapie Adstiladrin kann Rückfälle bei aggressivem Blasenkrebs verhindern, indem sie den Botenstoff Interferon alfa-2b in die Blasenwand einschleust. In einer Studie mit 157 Teilnehmern erreichten etwa 50 Prozent eine komplette Remission, die im Mittel rund 10 Monate anhielt. Die US-Arzneimittelbehörde FDA hat die Gentherapie der US-Firma Ferring im Dezember 2022 zugelassen. Die Zulassung gilt für Erwachsene mit nicht-muskelinvasiven Blasentumoren, die nicht auf den Erreger Bacillus Calmette-Guérin ansprechen.
Gentherapie Hemgenix nun auch in der EU zugelassen
Hemophilia News Today
Eine Gentherapie gegen die seltene Gerinnungsstörung Hämophilie B hat im Februar eine bedingte Zulassung in der EU erhalten. Hemgenix gleicht einen Mangel des Gerinnungsfaktor IX aus. In einer Studie mit 54 Teilnehmern konnte die Therapie die Zahl der Blutungen um rund 60 Prozent senken. In den USA ist Hemgenix bereits seit November 2022 zugelassen, der Preis wurde dort auf 3,5 Millionen US-Dollar festgelegt. Über die möglichen Kosten in Deutschland ist noch nichts bekannt.