Januar 2020
Dieser Newsletter von wissensschau.de informiert im Abstand von zwei Monaten über jüngste Entwicklungen bei der Gentherapie und den CAR-T-Zellen.
Klinische Studien
Gentherapie wirksam bei Blasenkrebs
BioPharmaDive
Eine Gentherapie kann die natürliche Immunreaktion gegen eine Form des Blasenkrebs aktivieren. Nach drei Monaten waren bei der Hälfte der Patienten keine Spuren des Karzinoms mehr sichtbar, nach einem Jahr war immerhin noch knapp ein Viertel krebsfrei. Die Ergebnisse einer Phase-III-Studie mit 103 Teilnehmer wurden kürzlich von der neugegründeten US-Firma FerGene auf einer Tagung veröffentlicht.
Die Gentherapie nutzt einen Adenovirus, um das Gen für den Botenstoff Interferon alpha-2b in die Harnblase zu transportieren. Der Vektor wird alle drei Monate direkt über einen Katheter appliziert, was die Gefahr von systemischen Nebenwirkungen deutlich verringert. Getestet wurde die Gentherapie bei Patienten mit nicht-muskelinvasive Blasenkarzinome, die nicht auf Standardtherapien reagierten. FerGene plant, möglichst bald einen Antrag auf Zulassung bei der FDA einzureichen.
Kinder erhalten normales Immunsystem
Mustang Bio
Eine Gentherapie der US-Firma Mustang Bio kann die angeborene Immunschwäche X-SCID korrigieren: Kinder sind vor Infektionen geschützt und können eine normale körperliche Entwicklung durchlaufen. Langzeitdaten aus zwei Studien, die auf einer US-Konferenz vorgestellt wurden, haben diese Ergebnisse bekräftigt. Am St. Jude Kinderhospital in Memphis erhielten elf Kinder die Gentherapie im Alter unter zwei Jahren, während Forscher am NIH in Bethesda insgesamt acht ältere Kinder und Erwachsene behandelte.
Bei den kleineren Kindern wurde das Immunsystem fast vollständig wieder hergestellt, wie Beobachtungen über einen Zeitraum von durchschnittlich zwei Jahren zeigten. Der Zustand der älteren Kindern und Erwachsenen hatte sich zwar deutlich verbessert, aber viele mussten dennoch weiterhin Medikamente einnehmen. Doch auch hier besteht Hoffnung auf Besserung, da eine optimierte Anwendung der Gentherapie in den ersten Versuchen gut anschlug.
CAR-T-Zelltherapie Yescarta mit weniger Nebenwirkungen
Gilead Sciences
CAR-T-Zelltherapien sind sehr wirksam, haben aber auch starke Nebenwirkungen. Eine frühzeitige Gabe von Entzündungshemmer könnte deren Häufigkeit und Schwere verringern: Bei der Behandlung von Lymphomen mit Yescarta sank so die Zahl der schweren Zytokinstürme von 13 auf zwei Prozent, die der schweren neurologischen Komplikationen von 31 auf 17 Prozent ab. Diese Daten beruhen bislang jedoch nur auf 41 Patienten, die im Mittel neun Monate lang beobachtet wurden.
Etwas verlässlicher sind nun die Zahlen zum Langzeitüberleben geworden. Von 101 Patienten der ZUMA-1 Studie, deren hartnäckige B-Zell-Lymphome mit Yescarta behandelt wurden, sind nach durchschnittlich 39 Monaten Beobachtungszeit noch 47 am Leben. Die mittlere Überlebensdauer beträgt damit etwa 26 Monate.
Forschung
Degeneration von Motoneuronen im ALS-Modell gestoppt
Nature Medicine
Eine Gentherapie konnte in Mäusen einen Gendefekt beheben, der beim Menschen eine der Ursachen für die neurodegenerative Krankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist. Bei der ALS verlieren Motoneuronen im Rückenmark ihre Funktion, die Skelett- und Atemmuskulatur wird gehemmt und der Tod tritt meist innerhalb von 2-5 Jahren ein. In bis zu zwei Prozent der Fälle liegt die Ursache in einer Mutation des Gens für das Enzym Superoxiddismutase (SOD1).
Forscher an der Universität von San Diego haben einen adeno-assozierten Vektor, der die Aktivität von SOD1 hemmt, direkt in das Rückenmark von Mäusen mit der SOD1-Mutation injiziert. Erfolgte die Injektion vor dem Ausbruch der Krankheit, waren die Motoneuronen weitgehend geschützt und die Mäuse blieben gesund. Die Behandlung von bereits erkrankten Mäusen stoppte den weiteren Verlauf der Krankheit. Studien mit größeren Tieren sollen nun zeigen, ob eine Anwendung auch beim Menschen Erfolg verspricht.
Industrie
Wer zuerst kommt...
BioPharmaDive
Die US-Firma BioMarin kann inzwischen bis zu 10 000 Dosen von Gentherapien jährlich produzieren - genug, um alle Patienten mit Hämophilie-A in den USA innerhalb eines Jahres zu behandeln. Konkurrenten wie Roche und Pfizer/Sangamo, deren Hämophilie-A-Therapien voraussichtlich erst später zugelassen werden, fänden dann keinen Abnehmer mehr für ihr Produkt.
Auch in den kommenden Jahren bliebe BioMarin im Vorteil: Ärzte werden neue Patienten nicht mit unerprobten Therapien behandeln, wenn eine ältere nachweislich gut funktioniert. BioMarin hat seine Hämophilie-A-Therapie mit Namen Valrox im Dezember 2019 zur Zulassung in den USA eingereicht, eine Antwort könnte bereits Ende Februar erfolgen. Der Preis wird voraussichtlich zwischen einer und drei Millionen US-Dollar betragen.
Gentherapie als Lotteriegewinn
Pharmazeutische Zeitung
Novartis will jährlich 100 Dosen von Zolgensma kostenfrei abgeben. Die Gentherapie gilt als teuerstes Medikament der Welt (Preis: 2 Millionen US-Dollar), ist aber bislang nur in den USA zugelassen. Mit der Aktion will Novartis die Gentherapie auch außerhalb der USA zugänglich machen, um Kleinkindern mit der Erbkrankheit Spinale Muskelatrophie eine wesentlich verbesserte körperliche Entwicklung zu ermöglichen.
Während die Aussicht auf eine kostenfreie Abgabe allgemein begrüßt wurde, hat das geplante Vergabeverfahren heftige Kritik ausgelöst. Es ähnelt einer Lotterie: Ärzte auf der ganzen Welt können ihre Patienten anmelden, die Zuteilung erfolgt dann über eine Art Losverfahren. Es ist jedoch fraglich, ob Lotterien - bei denen es meist mehr Verlierer als Gewinner gibt - das richtige Mittel sind, um drängende medizinische Probleme zu lösen.
Zwei Milliarden US-Dollar für neue Produktionsstätten
Reuters
Seit 2018 haben elf Pharmakonzerne insgesamt zwei Milliarden US-Dollar investiert, um eigene Produktionsstätten für Gentherapien aufzubauen. Allein Pfizer hat 600 Millionen US-Dollar aufgebracht, Novartis folgt dicht dahinter mit 500 Millionen US-Dollar. Die Konzerne wollen so die Abhängigkeit von externen Kontraktfirmen überwinden.
Die viralen Vektoren, auf denen die meisten Gentherapien beruhen, stammen bislang häufig von spezialisierten Anbietern. Deren Kapazität ist jedoch begrenzt, Wartezeiten von bis zu 18 Monaten sind wohl nicht selten. Eigene Produktionsstätten sollen den Konzernen diese Verzögerungen ersparen, zudem bleiben alle Prozesse innerhalb der Firma - ein Aspekt, auf den die US-Arzneimittelbehörde FDA wohl zunehmend Wert legt.
Methoden
Genomchirurgie ohne Viren
Science Advances
Nanocontainer aus biologisch abbaubaren Polymeren können die Genschere CRISPR/Cas9 in das Gehirn von Mäusen transportieren. Die Container bestehen aus vier Arten von Molekülen, die unterschiedliche elektrische Ladungen tragen - ähnlich wie die Hülle von Viren. Entwickelt wurde das Verfahren von Forschern der Johns Hopkins Universität in Baltimore.
In ersten Tests wurden die vier Polymerkomponenten mit unterschiedlichen Proteinen vermischt - die Nanocontainer setzten sich daraufhin selbständig zusammen. Zudem wurde ein Komplex aus CRISPR/Cas9 und RNA-Molekülen verpackt und in das Gehirn von Mäusen injiziert: Die Genschere konnte dort einen implantierten Hirntumor genetisch verändern. Damit wird langfristig ein Einsatz bei verschiedenen neurologischen Krankheiten denkbar.
Medienspiegel
Dubiose Gentherapie gegen das Altern
MIT Technology Review
Viele Menschen wollen alt werden, und manche sind bereit, dafür viel Geld auszugeben. So anscheinend auch zwei ältere US-Amerikaner: Zum Preis von einer Million US-Dollar wollen sie an einer "klinischen Studie" teilnehmen, die eine Gentherapie gegen altersbedingte Krankheiten testen soll. Mitte Januar soll diese angebliche Studie in Kolumbien starten - in den USA hatten Behörden die Zulassung verweigert.
Die US-Firma Libella Gene Therapeutics verspricht, dass ihre Gentherapie die Endstücke der menschlichen Chromosomen verlängert. Und damit auch das Leben von Menschen. Der Journalist Frank Swain deckt in der MIT Technology Review zahlreiche Ungereimtheiten auf, vielleicht will die Firma auch nur mit vollmundigen Ankündigungen mediale Aufmerksamkeit erregen. Es droht eine ähnliche Entwicklung wie bei Stammzelltherapien, wo dubiose Geschäftemacher schon seit Jahren verzweifelten Menschen das Geld aus der Tasche ziehen.