Januar 2024
Dieser Newsletter von wissensschau.de informiert im Abstand von zwei Monaten über jüngste Entwicklungen bei der Gentherapie und den CAR-T-Zellen.
Klinische Studien
Huntington-Studie mit zwiespältigen Ergebnissen
FierceBiotech
Eine Gentherapie scheint das Fortschreiten der Huntington-Krankheit zu verlangsamen: Motorische und neurologische Funktionen blieben bis zu 30 Monate lang erhalten, in einigen Fällen trat sogar eine Verbesserung ein. Die 39 Teilnehmer der Studie bekamen die Gentherapie direkt in das Gehirn injiziert. Dies sollte die Aktivität des Gens Huntingtin verringern und so den Verfall von Nervenzellen stoppen. Die ersten Zwischenergebnisse gab die niederländische Firma uniQure im Dezember bekannt.
Die Ergebnisse sind jedoch widersprüchlich: Eine niedrigere Dosis wirkte offenbar besser als eine höhere. Umstritten ist auch die Verwendung einer Kontrollgruppe, deren Daten aus älteren Patientenakten stammen. Dennoch bleibt uniQure optimistisch. Das Unternehmen sucht das Gespräch mit den Zulassungsbehörden, um die Entwicklung der Gentherapie weiter voranzutreiben.
CAR-T-Zellen drängen Hirntumore zurück
Endpoints News
CAR-T-Zellen können Glioblastome innerhalb von drei Tagen beseitigen, wenn sie direkt ins Gehirn injiziert werden. Das haben zwei US-Studien mit insgesamt sechs Patienten gezeigt. Bei vier Patienten sind die Tumoren bislang nicht wieder aufgetreten – allerdings war die Nachbeobachtungszeit mit maximal fünf Monaten sehr kurz. Doch auch das ist bereits ein großer Erfolg, denn das sehr aggressive Glioblastom ist kaum behandelbar. Die Ergebnisse wurden im November auf einer Fachtagung in Vancouver vorgestellt.
Die Studien verfolgten unterschiedliche Ansätze. Eine Forschergruppe der Universität von Pennsylvania verwendete CAR-T-Zellen, die gegen zwei unterschiedliche Tumormarker gerichtet waren. Die zweite Gruppe vom Massachusetts General Cancer Center entwickelte CAR-T-Zellen, die zusätzlich einen bispezifischen Antikörper freisetzten. Eine häufige Nebenwirkung war eine Gehirnentzündung, die aber nach wenigen Tagen wieder abklang. Die Studien werden fortgesetzt und sollen am Ende jeweils etwa 20 Patienten umfassen.
CAR-NK-Zellen: Schnell verfügbar und wirksam gegen Lymphome
Nature Medicine
Ein CAR-Molekül ermöglicht es den NK-Zellen des Immunsystems, schwer behandelbare B-Zell-Lymphome zurückzudrängen. CAR-NK-Zellen haben den Vorteil, dass sie tiefgefroren gelagert und bei Bedarf sofort eingesetzt werden können. In einer Studie mit 37 Patienten schlug die Therapie bei etwa 1 von 2 Behandelten an, etwa 7 von 10 waren nach einem Jahr noch am Leben. Die Nebenwirkungen waren überwiegend moderat. Forscher eines Krebszentrums in Texas veröffentlichten die Studie im Januar in Nature Medicine.
Die CAR-NK-Zellen zeigten eine ähnliche Wirksamkeit wie die etablierten CAR-T-Zellen, waren aber deutlich besser verträglich. Die NK-Zellen werden aus dem Nabelschnurblut fremder Spender gewonnen: Eine einzige Spende reicht dabei für Hunderte von Anwendungen aus. Eine optimale Auswahl der Nabelschnurproben könnte die Wirksamkeit der CAR-NK-Zellen noch einmal deutlich verbessern. Offen bleibt allerdings die Frage, wie lange die Wirkung anhält. Dies soll in weiteren Studien geklärt werden.
CRISPR-Therapie senkt Blutfettwerte
BioPharma Dive
Eine CRISPR/Cas-Variante kann den Cholesterinspiegel im Blut senken, indem sie das Leberenzym PCSK9 ausschaltet. Das haben erste Tests bei 10 Menschen mit familiärer Hypercholesterinämie gezeigt: Die höchste Dosis der Therapie konnte die Cholesterinwerte um bis zu 55 % reduzieren. Die Nebenwirkungen blieben meist moderat, zwei schwere Komplikationen traten vermutlich unabhängig von der Behandlung auf. Der Hersteller Verve Therapeutics präsentierte diese frühen Zwischenergebnisse im November auf einer Fachtagung in den USA.
Die Therapie wird – wie bei einer Covid-Impfung – als mRNA-Molekül verabreicht. Die CRISPR/Cas-Variante verändert dabei gezielt einen einzelnen DNA-Buchstaben im PCSK9-Gen (base editing). Bei 3 von10 Patienten war die Therapie ähnlich wirksam wie bereits zugelassene Medikamente, die allerdings mehrmals im Jahr gespritzt werden müssen. Allerdings beträgt die Nachbeobachtungszeit bisher maximal 6 Monate. Die langfristige Dauer, Wirksamkeit und Sicherheit der Therapie kann daher noch nicht beurteilt werden.
Anwendung
USA: Sicherheitswarnung bei CAR-T-Zelltherapien
FiercePharma
Nach einer CAR-T-Zelltherapie können Lymphome auftreten, die ebenfalls das CAR-Molekül tragen. Nach Ansicht der US-Arzneimittelbehörde FDA könnte daherein Zusammenhang zwischen der Therapie und der Folgeerkrankung bestehen. Alle sechs zugelassenen CAR-T-Zelltherapien sollen deshalb ab Januar einen prominenten Warnhinweis auf bösartige T-Zell-Erkrankungen tragen. Die FDA stellt aber auch klar, dass der Nutzen von CAR-T-Zellen immer noch größer ist als das Risiko.
Bisher sind wohl nur etwa 20 Lymphome mit CAR-Beteiligung bekannt – dem stehen mehr als 30.000 Anwendungen der Therapien gegenüber. Die Hersteller finden in ihren Daten keine Hinweise, dass CAR-T-Zelltherapien direkt zu Lymphomen führen könnten. Und führende Experten betonen, dass CAR-T-Zelltherapien weniger Risiken bergen als einige andere Behandlungsformen. Dennoch sollten nach Ansicht der FDA alle Behandelten als Vorsichtsmaßnahme lebenslang auf Lymphome untersucht werden.
Forschung
Gentherapie gegen epileptische Anfälle
Brain
Mäuse erleiden seltener epileptische Anfälle, wenn ein Gen für einen Kalziumkanal in ihr Gehirn eingeschleust wird. Die Tiere dienten als Modell für die fokale kortikale Dysplasie: Eine Fehlbildung der menschlichen Großhirnrinde, die zu kognitiven Störungen und Epilepsie führt. Die Gentherapie reduzierte die Zahl der Anfälle um mehr als 60 %, beseitigte jedoch nicht die Verhaltensstörungen der erkrankten Mäuse. Forscher aus London stellten diese Studie im Dezember in der Fachzeitschrift Brain vor.
Die fokale kortikale Dysplasie lässt sich oft nicht wirksam mit Medikamenten behandeln. Betroffene müssen sich daher häufig einer Gehirnoperation unterziehen. Die getestete Gentherapie wäre zwar ebenfalls invasiv, aber insgesamt doch deutlich risikoärmer. Die Londoner Forscher hoffen, etwa Mitte 2025 mit einer klinischen Studie beginnen zu können.
Methoden
CAR-T-Zellen im Körper von Affen erzeugt
Nature
Veränderte Viren können CAR-Gene gezielt in T-Zellen des Immunsystems einschleusen. In Affen entstanden so funktionsfähige CAR-T-Zellen gegen den Tumormarker CD20, ohne andere Gewebe zu beeinträchtigen. In einem Experiment konnten die CAR-T-Zellen bei 15 von 16 Tieren mindestens 75 Prozent der natürlichen B-Lymphozyten beseitigen, die ebenfalls den CD20-Marker tragen. Diese Ergebnisse wurden im Dezember auf einer US-amerikanischen Fachtagung vorgestellt.
Die Forschung wird von zwei US-amerikanischen Firmen vorangetrieben, die einen ähnlichen Ansatz verfolgen: Interius BioTherapeutics und Umoja Biopharma. Sollte sich die Methode bewähren, könnte die zeit- und kostenintensive Herstellung der CAR-T-Zellen im Labor überflüssig werden. Die Firmen hoffen, im kommenden Jahr mit den Vorbereitungen für Studien am Menschen beginnen zu können.
Neue Zulassungen
Casgevy: CRISPR-Therapie gegen Sichelzellanämie und ß-Thalassämie
BioPharma Dive
Zum ersten Mal wurde eine CRISPR/Cas-basierte Therapie für die Behandlung von Menschen zugelassen: Casgevy kann die Symptome von Sichelzellanämie und ß-Thalassämie deutlich lindern. Die Therapie verändert das menschliche Erbgut und aktiviert eine fetale Form des Blutfarbstoffs Hämoglobin. Die Zulassung erfolgte zunächst im November in Großbritannien, die USA folgten wenige Wochen später. In der EU hat eine Expertenkommission bereits eine positive Empfehlung ausgesprochen. Der Hersteller Vertex Pharmaceuticals verlangt für Casgevy in den USA einen Preis von 2,2 Millionen US-Dollar.
Lyfgenia: Gentherapie gegen Sichelzellanämie
BioPharma Dive
Gleichzeitig mit Casgevy wurde in den USA eine zweite Gentherapie gegen Sichelzellenanämie zugelassen: Lyfgenia schleust mit Hilfe einer Genfähre eine funktionsfähige Hämoglobinvariante in Knochenmarkzellen ein. Die meisten Patienten werden dadurch von gefährlichen Schmerzattacken befreit. Der Hersteller Bluebird bio bietet bereits eine sehr ähnliche Therapie für ß-Thalassämie an: Diese war bereits in der EU zugelassen, wurde dann aber vom Hersteller wieder zurückgezogen. Der Preis von Lyfgenia wird in den USA voraussichtlich 3,1 Millionen US-Dollar betragen.
Medienspiegel
CAR-T-Zellen – Infrastruktur als Flaschenhals?
FiercePharma
CAR-T-Zelltherapien hatten kommerziell einen schweren Start: Hohe Kosten, begrenzte Patientenzahlen und geringe Produktionskapazitäten drückten die Gewinne. Doch die anfänglichen Hürden scheinen nun überwunden, und manche Firmen sehen ihre Therapien schon auf dem Weg zum Blockbuster-Status.
Experten warnen jedoch: Menschen benötigen eine intensive Betreuung, wenn sie eine CAR-T-Zelltherapie erhalten. Viele Kliniken sind aber jetzt schon gut gefüllt – ob sie einen verstärkten Ansturm verkraften würden, ist unklar. Mehr zu diesem Thema berichtet Angus Liu im Online-Portal FiercePharma.