Juli 2018
Dieser Newsletter von wissensschau.de informiert im Abstand von zwei Monaten über jüngste Entwicklungen bei der Gentherapie und den CAR-T-Zellen.
Klinische Studien
Gentherapie verhindert Blutungen, aber ist sie von Dauer?
Endpoints
Die Therapie von Hämophilie A etwickelt sich weiter vielversprechend, wie neue Daten der US-Firma BioMarin belegen. Im zweiten Jahr nach der Gentherapie traten bei sechs von sieben der behandelten Patienten keine schwerwiegenden Blutungen auf, der Blutspiegel des Gerinnungsfaktors VIII stabilisierte sich auf beinahe normalem Niveau. Zum Vergleich: Bei der konventionellen Ersatztherapie blieb nur einer von sieben Patienten von Blutungen verschont.
Allerdings scheint es, dass im zweiten Jahr etwas weniger Gerinnungsfaktor produziert wurde als im ersten. Manche Analysten sehen dies als Hinweis, dass die Wirkung der Gentherapie nur eine begrenzte Zeit anhält. BioMarin hingegen interpretiert dies als eine zu erwartende Konsolidierungsphase und will die Studie um weitere 90 Patienten auf insgesamt 130 erweitern.
Duchenne Muskeldystrophie: Erste Daten übersteigen Erwartungen
Endpoints
Das ging unerwartet schnell. Erst seit kurzem wird eine Gentherapie für die Duchenne Muskeldystrophie am Menschen getestet, und nun wartet die US-Firma Sarepta bereits mit erfreulichen Daten auf. Erste biochemische Analysen haben die Erwartungen weit übertroffen: Bei drei jungen Patienten ist das transferierte Microdystrophin-Gen in 76 % der Muskelfasern nachweisbar, der Blutspiegel der Kreatinkinase, ein Biomarker für Muskelschäden, sank um 87 %.
Die Therapie erfordert eine hohe Dosis des AAV-Vektors, doch schwere Nebenwirkungen blieben aus. Allein dies ist ein Erfolg, denn der Gentherapie-Pionier James Wilson hatte hier kürzlich ernste Bedenken angemeldet. Noch ist unklar, ob es den Kindern auch körperlich besser geht, doch Sarepta plant bereits eine Folgestudie mit 24 Teilnehmern. Diese soll dann auch einen Vergleichsarm aufweisen: Als Behandlungskontrolle wird die Hälfte der Kinder ein Jahr lang beobachtet, bevor auch sie die Gentherapie erhalten.
Hoffnung auf Überwindung der extremen Muskelschwäche
DNA Science
Schon bei der Geburt macht sich die seltene Erbkrankheit X-chromosomale Myotubuläre Myopathie durch eine starke Muskelschwäche bemerkbar. Oft können die Kinder schon bald darauf nicht mehr aus eigener Kraft atmen; sie versterben meist in den ersten Lebensjahren. Angesichts der Machtlosigkeit der Ärzte gründeten die Eltern eines betroffenen Kindes im Jahr 1996 eine Stiftung, um die Entwicklung einer wirksamen Therapie voranzutreiben.
Mit Hilfe dieser Stiftung hat die US-Firma Audentes nun sechs Kinder mit einem AAV-Vektor behandelt, der das mutierte Muskel-Gen MTM1 ersetzen soll. Und obwohl die ersten Ergebnisse nach 24 Wochen nur bedingt aussagekräftig sind, geben sie Anlass zur Hoffnung. Schon vier Wochen nach der Gentherapie sind erste Verbesserungen sichtbar, ein Kind kann nach 24 Wochen schon auf die künstliche Beatmung verzichten. Angesichts der Schwere dieser Erbkrankheit eine großartiger Zwischenerfolg.
Dritte CAR-T-Zelltherapie gegen Lymphome?
BioPharmaDive
Es könnte eng werden. Nachdem bereits Kymriah und Yescarta für Lymphome zugelassen sind, drängt bald eine dritte Therapie auf dem Markt. Diese Ambition hegt zumindest der US-Konzern Celgene, der kürzlich die Firma Juno Therapeutics für neun Milliarden US-Dollar übernommen hat. Daten zum aussichtsreichsten Kandidaten von Juno wurden nun auf einer Konferenz der US-Onkologen vorgelegt.
Bei 37 Patienten mit Non-Hodgkin-Lymphomen, die die höchste Dosis der CAR-T-Zelltherapie JCAR017 erhielten, zeigte sich eine vollständige Ansprechrate von 46 % - damit wäre man ähnlich wirksam wie die beiden Konkurrenten. Einen Wettbewerbsvorteil sieht Celgene jedoch in der Sicherheit: Ihr Kandidat zeigte deutlich weniger gefährliche Nebenwirkungen. Dies könnte eine Behandlung außerhalb spezialisierter Krebskliniken ermöglichen und somit die Attraktivität für Patienten erhöhen.
Forschung
Erhöht CRISPR die Gefahr von Krebs?
Nature Medicine
Es verging zuletzt kaum ein Monat, in dem nicht vor der Genschere CRISPR gewarnt wurde. Auch der Juni machte keine Ausnahme: Eine Behandlung mit CRISPR könnte die Gefahr von Krebs erhöhen. Forscher am Karolinska Institut in Stockholm haben gezeigt, dass die Genschere den Tumorsuppressor p53 auf den Plan ruft - den "Wächter des Genoms".
Erfolgreich war CRISPR vor allem bei Zellen, in denen p53 ausgeschaltet war, und bei denen daher auch das Risiko von unkontrolliertem Wachstum erhöht ist. Allerdings ist die Aussagekraft der Studie begrenzt. Wie die Autoren selbst betonen, gilt sie nur für eine einzige Zelllinie, die zudem für die Medizin bedeutungslos ist. Außerdem können sorgfältige Kontrollen das Risiko minimieren. Fazit: Es besteht Grund zur Vorsicht, aber ein unüberwindbares Problem scheint dies nicht.
CAR-T-Zellen in den Selbstmord treiben
Scientific Reports
CAR-T-Zellen bekämpfen Krebs, bringen manchmal aber auch den Patienten selbst in Gefahr - der gefürchtete Zytokinsturm kurz nach Therapiebeginn kann tödlich enden. Zudem können die Zellen mehrere Jahre in Patienten überdauern und dabei unkontrollierte Aktivitäten entwickeln. Die Entwicklung von "Selbstmord-Schaltern", die CAR-T-Zellen im schlimmsten Fall aus dem Körper eliminieren, hat daher eine hohe Priorität.
Die französische Firma Cellectis hat nun ein CAR-Konstrukt vorgestellt, das einer Allzweckwaffe gleichkommt: Es erlaubt den Kampf gegen verschiedene Formen von Krebs, integriert einen Selbstmord-Schalter, und bietet die Möglichkeit zur Reinigung und Detektion der CAR-T-Zellen. Möglich wird dies durch den Einbau einer Bindungsstelle für den Antikörper Rituximab, der ebenfalls als Krebsmedikament eingesetzt wird. Getestet wurde dieses Konstrukt bislang jedoch erst in Mäusen.
Industrie
EMA empfiehlt Zulassung von Kymriah und Yescarta
EMA
Die erste Hürde ist genommen: Ende Juni hat die europäische Arzneimittelbehörde EMA empfohlen, die beiden CAR-T-Zelltherapien Kymriah und Yescarta für den europäischen Markt zuzulassen. Die Empfehlung gilt für ausgewählte Formen von Blutkrebs, allerdings nur bei Patienten, denen konventionelle Therapien nicht mehr helfen können. In den USA wurde die Zulassung bereits im letzten Jahr erteilt.
Bevor die ersten Patienten in Europa behandelt werden können, ist allerdings noch etwas Geduld gefragt. Die endgültige Marktzulassung muss nun durch die EU erfolgen, und dann stehen in den einzelnen Mitgliedsstaaten noch Preisverhandlungen zwischen Anbietern und Krankenversicherungen an.
CRISPR-Therapie in den USA verzögert, in Europa noch dieses Jahr?
CRISPR Therapeutics
Der erste Einsatz der Genschere CRISPR bei Erbkrankheiten ist - zumindest in den USA - ins Stocken geraten. Im April hatte die Schweizer Firma CRISPR Therapeutics beantragt, die Genschere für die Therapie von Sichelzellanämie zu testen. Die US-Arzneimittelbehörde stoppte allerdings Ende Mai das Genehmigungsverfahren, da sie noch offene Fragen sah. Um welche Fragen es sich handelt, ist noch unklar.
Die Studie in Europa hingegen, die bereits letzten November beantragt wurde, scheint davon nicht betroffen. Ziel ist hier die Erbkrankheit ß-Thalassämie, der Ansatz ist jedoch identisch mit der Sichelzellanämie: Die Genschere soll in Blutstammzellen von Erwachsenen die Produktion von funktionsfähigen fetalem Hämoglobin wieder ankurbeln. Die Firma hofft weiterhin, noch in diesem Jahr mit der europäischen Studie starten zu können.
Methoden
Deutsche Kooperation für bessere AAV-Vektoren
Sirion Biotech
Genfähren, die auf Adeno-assoziierten Viren beruhen, haben wesentlich zu den jüngsten Erfolgen der Gentherapie beigetragen. Diese AAV-Vektoren kommen in vielen experimentellen Studien zum Einsatz, aber auch in bekannten Therapien wie Glybera und Luxturna. Dennoch besteht weiterhin Entwicklungsbedarf: In manchen Körpergeweben ist die Effizienz noch verbesserungsfähig, und bei vielen Patienten kann eine vorbestehende Immunität die Wirksamkeit beeinträchtigen.
Auch in Deutschland wird an der Entwicklung besserer AAV-Vektoren gearbeitet. Die Firma Sirion Biotech aus Martinsried produziert virale Vektoren für Forschung und Industrie, und an der Universität Heidelberg beschäftigt sich der AAV-Experte Dirk Grimm mit Optimierung von Proteinen, die das Virus umhüllen. Beide Akteure haben nun eine vertiefte und langfristige Partnerschaft vereinbart, um mit vereinter Expertise die Entwicklung von AAV-Vektoren voranzutreiben.
Medienspiegel
Gentherapien retten Leben - doch bei der Früherkennung hapert es
MIT Techonology Review
Die Spinale Muskelatrophie ist eine tödliche Erbkrankheit, die bald mit einer Gentherapie wirksam behandelt werden könnte. Und je früher der Eingriff erfolgt, desto besser. Doch an diesem Punkt droht ein Engpass: Keine der seltenen Erbkrankheiten, für die momentan Therapien entwickelt werden, sind Teil des Neugeborenenscreenings. Doch eine Erweiterung des Screenings hat nicht nur Vorteile, wie der Artikel von Emily Mullin aufzeigt.