Juli 2024
Dieser Newsletter von wissensschau.de informiert im Abstand von zwei Monaten über jüngste Entwicklungen bei der Gentherapie und den CAR-T-Zellen.

 

Klinische Studien

Gentherapie lindert erstmals Hörverlust in beiden Ohren

Nature Medicine

Fünf gehörlose Kinder konnten erstmals Gespräche wahrnehmen, nachdem chinesische Forscher ein Gen in ihre Hörschnecken eingeschleust hatten. Da beide Ohren behandelt wurden, konnten die Kinder auch den Ort einer Geräuschquelle lokalisieren. Bisher wurde die Gentherapie nur an einem Ohr erprobt. Alle Kinder haben den Eingriff gut vertragen, schwere Nebenwirkungen traten nicht auf. Erste Zwischenergebnisse der Studie erschienen im Juni in Nature Medicine.

Die erbliche Taubheit DFNB9 führt spätestens im ersten Lebensjahr zu einem weitgehenden Hörverlust. Vor der Behandlung lag die Hörschwelle der Kinder über 95 dB, was etwa dem Lärmpegel eines Presslufthammers entspricht. Bis zu 26 Wochen nach dem Eingriff sank die Schwelle auf mindestens 85 dB, bei drei Kindern sogar auf rund 60 dB. Damit können bereits Gespräche in normaler Lautstärke wahrgenommen werden. Regelmäßige Untersuchungen sollen nun zeigen, wie lange die Wirkung der Gentherapie anhält.

Muskeldystrophie – entscheidende Pfizer-Studie verfehlt Ziele

Muscular Dystrophy News

Eine Gentherapie des US-Konzerns Pfizer kann die motorischen Fähigkeiten von Kindern mit einer frühen Form der Duchenne-Muskeldystrophie (DMD) nicht verbessern. Dies ergab eine Studie mit 226 betroffenen Kindern, die nach einem Jahr ausgewertet wurde. Es gab keinen signifikanten Unterschied zwischen der Gentherapie- und der Kontrollgruppe. Dies teilte der Konzern im Juni der Presse mit, weitere Details sollen auf Fachkonferenzen veröffentlicht werden.

Die DMD verursacht bei Kleinkindern eine fortschreitende Muskelschwäche mit tödlichem Ausgang. Pfizer wollte den Muskelschwund durch den Transfer eines künstlichen Gens aufhalten. Nach ersten positiven Ergebnissen galt die aktuelle Studie als entscheidend für eine mögliche Zulassung. Nach eigenen Angaben überlegt der Konzern nun, wie er auf den Misserfolg reagieren soll. Da jedoch bereits ein Konkurrenzprodukt auf dem Markt ist (siehe unten), sehen einige Analysten kaum noch eine Zukunft für die Pfizer-Therapie.

Gentherapie stärkt das Herz

Fierce Biotech

Eine Gentherapie scheint sich bei der Erbkrankheit Friedreich-Ataxie positiv auf das Herz auszuwirken. In einer Studie mit 6 Teilnehmern normalisierte sich die Dicke der Herzwand und Anzeichen von Herzschäden gingen zurück. 4 der Teilnehmer hatten zu Beginn der Studie ein vergrößertes Herz: Bei 3 von ihnen nahm die Masse der linken Herzkammer nach einem Jahr um mehr als 10 % ab. Ernste Nebenwirkungen traten nicht auf. Diese Zwischenergebnisse gab die US-Firma Lexeo Therapeutics im Juli der Presse bekannt.

Bei der Friedensreich-Ataxie führt ein Gendefekt zu Sprach- und Gehstörungen, die häufigste Todesursache ist ein Herzversagen. Die Gentherapie gleicht den Defekt im Erbgut aus und verringert so die Symptome der Herzschwäche. Ob sich auch der körperliche Zustand der Patienten verbessert, ist noch unklar. Diese Frage will die Firma im weiteren Verlauf der Studie klären. Dabei soll die Gentherapie auch in höheren Dosen eingesetzt werden.

CRISPR/Cas-Therapie – mehrfache Anwendung scheint möglich

BioPharma Dive

Die Genschere CRISPR/Cas wurde bei drei Menschen mit der Erbkrankheit Transthyretin-Amyloidose wiederholt eingesetzt: Die Wirkung der Therapie war nach dem zweiten Mal deutlich stärker. Ernste Nebenwirkungen traten nicht auf. In der Studie der US-Firma Intellia Therapeutics sind zwar keine weiteren Doppelbehandlungen geplant. Dieser Ansatz eröffnet aber in Zukunft die Möglichkeit, Krankheiten mit wiederholten Eingriffen zu behandeln. Dies gab die Firma im Juni auf einer kanadischen Fachkonferenz bekannt.

Die experimentelle CRISPR/Cas-Therapie schaltet ein defektes Stoffwechsel-Gen ab und vermindert so schädliche Ablagerungen im Körper. Die ersten drei Studienteilnehmer erhielten eine niedrige Dosis, die die Ablagerungen nur um etwa 50 % verringern konnte. Nach zwei Jahren erfolgte die zweite Behandlung mit der optimalen Dosis: Die Ablagerungen gingen dann insgesamt um 95 % zurück. Bei der Therapie kamen Lipidvesikel zum Einsatz, die vom Körper meist besser vertragen werden als die häufiger verwendeten Genfähren.

Fortschritt der Huntington-Krankheit um zwei Jahre verzögert

Fierce Biotech

Eine Gentherapie scheint den Verlauf der Huntington-Krankheit zu verlangsamen: Nach 24 Monaten bei einer hohen Dosis um etwa 80 %, bei einer niedrigen Dosis um etwa 30 %. Zudem deutete ein Biomarker bei allen Behandelten an, dass das Gehirn weniger Schäden erlitt. Schwere Nebenwirkungen traten nicht auf. Die Wirkung zeigte sich in zwei Studien mit 21 Patienten in einem frühen Krankheitsstadium. Die niederländische Firma uniQure teilte dieses Zwischenergebnis im Juli der Presse mit.

Anwendung

Infektionen sind eine häufige Todesursache nach CAR-T-Zelltherapien

Deutsches Ärzteblatt

Bis zu 1 von 10 Behandelten stirbt nach einer CAR-T-Zelltherapie an Komplikationen, die nicht durch einen Rückfall ausgelöst werden. Der häufigste Grund sind Krankheitserreger: Etwa 5 von 10 dieser Todesfälle geht auf Infektionen mit Corona-Viren, Bakterien und Pilzen zurück. Die gefürchteten Nebenwirkungen der CAR-T-Zelltherapien spielen eine deutlich kleinere Rolle: Schwere Entzündungen und Nervenschäden verursachen nur etwa 1 von 10 Todesfällen. Dies zeigte eine Metaanalyse, die im Juli in Nature Medicine erschien.

Eine internationale Forschergruppe – angeführt von einem Team aus München – analysierte in dieser Arbeit insgesamt 46 Studien mit 7600 Teilnehmern. Die Forscher betonen dabei, wie wichtig die umfassende Dokumentation und Auswertung aller Todesursachen bei CAR-T-Zelltherapien sind. Nur so konnten sie zeigen, dass die Vermeidung und wirksame Behandlung von Infektionen eine wichtige Rolle spielen sollte.

Neue Zulassungen

Zweite Gentherapie gegen Hämophilie B vor Zulassung

Deutsche Apothekerzeitung

Die europäische Arzneimittelbehörde EMA hat Ende Mai empfohlen, die Gentherapie Durveqtix für die Behandlung der erblichen Gerinnungsstörung Hämophilie B zuzulassen. In einer Studie des US-Konzerns Pfizer konnte Durveqtix die Symptome deutlich lindern: 6 von 10 Behandelte blieben mindestens zwei Jahre frei von Blutungen. Bereits seit 2023 ist mit Hemgenix eine Gentherapie für Hämophilie B in Europa verfügbar. Die endgültige Entscheidung über die Zulassung liegt bei der Europäischen Kommission, die aber in der Regel den Empfehlungen der EMA folgt.

Umstrittene Zulassung von Elevidys bestätigt – und erweitert

BioPharma Dive

Etwa 80 % aller Menschen mit Duchenne Muskeldystrophie können jetzt in den USA die Gentherapie Elevidys erhalten. Infrage kommen alle Betroffenen, die älter als vier Jahre sind und eine bestimmte Mutation aufweisen. Elevidys war bereits im vergangenen Jahr zugelassen worden, allerdings nur für Kinder im Alter von vier und fünf Jahren. Der Hersteller Sarepta muss nun keine weiteren Studien mehr vorlegen, um die Gentherapie auf dem Markt zu halten. Das gab die US-Arzneimittelbehörde FDA im Juni bekannt.

Diese Entscheidung ist jedoch innerhalb der FDA stark umstritten. Drei Arbeitsgruppen und zwei leitende Angestellte hatten sich gegen die Zulassung ausgesprochen: Eine große klinische Studie hatte keine überzeugenden Beweise geliefert, dass Elevidys den Zustand der Behandelten signifikant verbessert. Doch ein Abteilungsleiter setzte sich mehrfach über die Bedenken hinweg – um zu zeigen, dass die Behörde die Interessen der Betroffenen berücksichtigt. In Europa hingegen hat Elevidys wohl kaum Chancen auf eine Zulassung.

 
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