Juni 2023
Dieser Newsletter von wissensschau.de informiert im Abstand von zwei Monaten über jüngste Entwicklungen bei der Gentherapie und den CAR-T-Zellen.
Klinische Studien
Hereditäres Angioödem: CRISPR/Cas verhindert Schwellungen
Fierce Biotech
Die Genschere CRISPR/Cas kann teils lebensgefährliche Schwellungen unterdrücken, die bei einer seltenen Erbkrankheit auftreten. Bei 10 Teilnehmern einer Studie sank die Zahl der monatlichen Anfälle um durchschnittlich 95 %, die Wirkung hielt bis zu 13 Monate an. Die Therapie war weitgehend gut verträglich. Der Hersteller Intellia Therapeutics präsentierte diese Zwischenergebnisse im Juni auf einem deutschen Fachkongress.
Das hereditäre Angioödem wird durch einen Gendefekt verursacht, der das Kallikrein-Kinin-System stört. Die Genschere CRISPR/Cas verringert die Produktion des Proteins Kallikrein in Leberzellen: Je nach Dosis werden 67 bis 95 % weniger Kallikrein in das Blutplasma abgegeben. Bei 9 der 10 Studienteilnehmern verschwanden damit die Schwellungen vollständig. Die Firma hat bereits damit begonnen, weitere Teilnehmer in eine Folgestudie einzuschließen.
CAR-T-Zellen drängen Neuroblastome zurück
Deutsches Ärzteblatt
CAR-T-Zellen mit neuen Eigenschaften wirken gegen schwer behandelbare Hirntumore, die vor allem bei Kindern auftreten. Bei 9 von 27 behandelten Kindern bildete sich der Tumor vollständig zurück, bei 8 Behandelten teilweise. Andere Therapien waren zuvor erfolglos geblieben. Nach drei Jahren waren noch 11 Kinder am Leben – deutlich mehr als erwartet. Forscher aus Rom veröffentlichten diese Ergebnisse in der April-Ausgabe des New England Journal of Medicine.
Die CAR-T-Zellen waren mit einer zusätzlichen Aktivierungs-Domäne ausgestattet, um den schwer zugänglichen Tumor wirksam zu bekämpfen. Da damit auch die Gefahr einer zu starken Aktivierung bestand, wurde den Zellen zusätzlich eine Notbremse eingebaut. Bei einem Patienten wurde diese vorsorglich aktiviert: Ein Selbstmordgen sorgte dafür, dass innerhalb eines Tages fast alle CAR-T-Zellen aus dem Körper verschwanden. Nach sechs Wochen erholten sich die CAR-T-Zellen wieder – und der Patient erzielte eine komplette Remission. Nun sind weitere Studien geplant, um die Wirksamkeit zu bestätigen und andere Hirntumore einzubeziehen.
CRISPR/Cas9 nicht schuld am Tod von DMD-Patient
medRxiv
Ein 27jähriger Mann mit Duchenne Muskeldystrophie starb nach einer experimentellen Gentherapie, weil er eine starke Immunreaktion gegen die Genfähre entwickelt hatte. Er war der einzige Teilnehmer einer Studie, die speziell auf ihn zugeschnitten war. Forscher hatten versucht, mit einer Variante von CRISPR/Cas9 den fortschreitenden Muskelschwund aufzuhalten. Der Mann entwickelte jedoch ein akutes Lungenversagen und starb acht Tage nach dem Eingriff. Die Ergebnisse der Biopsie wurden im Mai als Preprint bei medRxiv veröffentlicht.
Die Gentherapie basierte auf einer inaktiven Variante der Genschere Cas9. Diese sollte eine natürliche Variante des Dystrophin-Gens anschalten, um das Fortschreiten der Krankheit zu stoppen. Der Transport in den Körper erfolgte mit einer hoch dosierten AAV-Genfähre, die letztlich eine tödliche Immunreaktion auslöste. Zuvor gab es Spekulationen, dass die Aktivität von CRISPR/Cas zum Tod des Mannes geführt haben könnte. Die Biopsie zeigte jedoch, dass zum Zeitpunkt des Todes nur sehr geringe Mengen der Cas9-Variante vorhanden waren.
Huntington-Studie mit gemischten Resultaten
BioPharma Dive
Eine Gentherapie scheint den Verlauf der Huntington-Krankheit zu verlangsamen, obwohl die messbaren Auswirkungen auf die Genaktivität widersprüchlich sind. Die Betroffenen haben einen vererbbaren Defekt im Huntingtin-Gen, der schwere Nervenschäden verursacht. Eine niedrig dosierte Therapie konnte die Aktivität des Gens senken, eine hoch dosierte Therapie hingegen erhöhte die Aktivität meist deutlich. Dennoch scheinen fast alle Behandelten im Alltag von der Therapie zu profitieren, zumindest im Beobachtungszeitraum von 12 bis 24 Monaten. Die niederländische Firma uniQure hat diese Zwischenergebnisse im Juni veröffentlicht und sucht nun den Dialog mit den Behörden.
Enttäuschung bei CAR-NK-Zellen
Evaluate Pharma
Genetisch veränderte NK-Immunzellen können Lymphome zwar anfänglich zurückdrängen, haben aber bislang keine dauerhafte Wirkung. Das musste der US-Hersteller Nkarta in einer Pressemitteilung einräumen. Die Firma hatte vor einem Jahr für Aufsehen gesorgt, als bei drei Studienteilnehmern ein aggressives Lymphom komplett verschwand. Doch später erlitten alle drei einen Rückfall: Zwei sind inzwischen verstorben, der dritte musste sich einer Transplantation unterziehen. Schlimmer noch – in einer Folgestudie sprach von 13 Teilnehmern nur noch einer auf die Therapie an.
Ähnlich negative Erfahrungen musste auch ein Konkurrent von Nkarta machen, die Firma Fate Therapeutics. Dabei haben NK-Zellen durchaus Vorteile: Ein künstlicher Rezeptor kann ihnen ähnliche Eigenschaften verleihen wie den bewährten CAR-T-Zellen. Im Vergleich zu CAR-T-Zellen sind CAR-NK-Zellen aber deutlich besser verträglich und kostengünstiger herzustellen. Nkarta hat daher bereits einen neuen Versuch gestartet: Veränderungen in der einleitenden Chemotherapie sollen die Wirkung der CAR-NK-Zellen verstärken.
Neue Zulassungen
USA: Gentherapie gegen Duchenne Muskeldystrophie zugelassen
Spektrum
Kinder im Alter von vier bis fünf Jahren können die Gentherapie Elevidys erhalten, wenn erste Symptome der Erbkrankheit Duchenne-Muskeldystrophie (DMD) auftreten. Die Therapie basiert auf einem verkürzten Dystrophin-Gen, das den Abbau von Muskelzellen aufhalten soll. In ersten Studien konnte dieses Mikro-Dystrophin erfolgreich in den Muskeln aktiviert werden. Unklar ist jedoch, ob die Gentherapie auch das Fortschreiten der Krankheit verhindert. Obwohl einige Experten dagegen stimmten, hat die US-Arzneimittelbehörde die Gentherapie im Juni zugelassen.
DMD ist eine fortschreitende Muskelschwäche, die häufig im Alter von etwa 30 Jahren zum Tod führt. Elevidys wurde bisher an etwa 80 Kindern getestet: Hinweise auf eine Wirksamkeit gab es vor allem bei jüngeren Kindern. Die Gentherapie wurde meist gut vertragen, kann aber bei Kindern mit bestimmten Genmutationen zu schweren Nebenwirkungen führen. Ende dieses Jahres werden erste Daten einer Phase-III-Studie erwartet, die weiteren Aufschluss über die Wirksamkeit geben sollen. In der EU ist eine Entscheidung über die Zulassung von Elevidys noch nicht absehbar.
Herpesviren im Hautgel – USA lassen Gentherapie von Schmetterlingskrankheit zu
European Pharmaceutical Review
Die Gentherapie Vyjuvek fördert die vollständige Heilung von Hautwunden bei der seltenen Erbkrankheit Epidermolysis bullosa dystrophica („Schmetterlingskrankheit‟). Ursache der Hautwunden ist ein defektes Gen für Collagen: Der obersten Hautschicht fehlt eine feste Verankerung und sie löst sich schon bei geringer Belastung ab. Die Gentherapie behebt diesen Defekt, indem sie ein intaktes Collagen-Gen mit Hilfe von Herpesviren in die Hautzellen transportiert. Die US-Arzneimittelbehörde hat die Therapie des Herstellers Krystal Biotech im Mai zugelassen.
Die Therapie wird in Form eines Gels direkt auf die Haut aufgetragen. Die Herpesviren transportieren das Gen in die Hautzellen, bauen es aber nicht in deren Erbgut ein. Dieser Ansatz verringert das Krebsrisiko, hat allerdings auch zur Folge, dass die Wirkung mit der Zeit nachlässt. Die Therapie wird daher wiederholt angewendet: In einer Studie mit 31 Teilnehmern konnte die Gentherapie so 2 von 3 Wunden innerhalb weniger Monate vollständig verschließen. Eine Zulassung in der EU könnte im nächsten Jahr erfolgen.
Methoden
Konsortium will Entwicklung von 8 Gentherapien vorantreiben
Foundation for the National Institutes of Health
Ein Zusammenschluss von mehr als 30 US-Behörden, Unternehmen und gemeinnützigen Organisationen will die Entwicklung von Gentherapien erleichtern. Ziel ist es, Hürden bei der präklinischen Entwicklung von AAV-Genfähren abzubauen. Einheitliche Standards für die Herstellung und Testung sollen es ermöglichen, erste Studien am Menschen schneller auf den Weg zu bringen. Die ersten acht Krankheiten wurden im Mai auf einem US-Kongress bekannt gegeben: Je drei betreffen die Augen und das Nervensystem, zwei weitere den Stoffwechsel. Für die Finanzierung stehen knapp 100 Millionen US-Dollar zur Verfügung.
Medienspiegel
„Die RNA-Technologie könnte das Versprechen der Gentherapie erfüllen‟
Deutsches Ärzteblatt
Katalin Karikó ist in der Öffentlichkeit eher unbekannt, hat aber maßgeblich zur Überwindung der Corona-Pandemie beigetragen: Als Pionierin der RNA-Technologie unterstützte sie BioNTech bei der Entwicklung der COVID-19-Impfstoffe.
In einem Interview mit dem Deutschen Ärzteblatt spricht sie nun über die Zukunft der RNA-basierten Therapien. Dazu gehören personalisierte Impfstoffe, die Krebs zurückdrängen. Oder kodierte Wachstumsfaktoren, die die Heilung nekrotischer Wunden fördern. Und bereits 2015 war Karikó Koautorin eines Artikels, der die Möglichkeiten bei genetischen Erkrankungen aufzeigte. Die aktuelle Entwicklung bestätigt ihre damalige Einschätzung: Die Erbkrankheit Transthyretinamyloidose scheint heute mit RNA-Medikamenten heilbar zu sein.