Mai 2018
Dieser Newsletter von wissensschau.de informiert im Abstand von zwei Monaten über jüngste Entwicklungen bei der Gentherapie und den CAR-T-Zellen.
Klinische Studien
Verkürztes Gen gegen Muskeldystrophie
Boston Business Journal
Das Gen Dystrophin umfasst mehr als zwei Millionen DNA-Basen, und schon kleinere Mutationen können schwere Erbkrankheiten auslösen. Darunter auch die Muskeldystrophie vom Typ Duchenne: Der fortschreitende Verlust der Muskelkraft zeigt sich zuerst bei Kleinkindern und führt dann unweigerlich im frühen Erwachsenenalter zum Tod. Eine wirksame Therapie gibt es bislang nicht.
Für einen Transport mit Genfähren ist Dystrophin viel zu groß, daher entwickelten Forscher eine verkürzte Variante, Microdystrophin genannt. Gleich drei US-Firmen testen seit diesem Jahr das Microdystrophin am Menschen: die kleineren US-Firmen Sarepta und Solid Biosciences sowie der Pharmariese Pfizer. Aussagekräftige Ergebnisse werden allerdings noch einige Jahre auf sich warten lassen.
ß-Thalassämie: Noch keine Heilung, aber kurz davor
New England Journal of Medicine
Die erbliche Blutarmut ß-Thalassämie war bislang nur durch eine Stammzelltransplantation heilbar. Da aber passende Spender schwer zu finden sind, sind viele Betroffene auf regelmäßige Bluttransfusionen angewiesen. Eine Gentherapie könnte diesen Patienten das Leben deutlich erleichtern.
Die US-Firma bluebird bio hat nun die bislang größte Studie zu ß-Thalassämie vorgestellt. 22 Patienten in Frankreich und den USA erhielten eine Gentherapie, die ein intaktes Hämoglobin-Gen in das Erbgut von Blutstammzellen einfügt. Mit Erfolg: 15 Patienten können seither vollständig auf Bluttransfusionen verzichten, die übrigen müssen spürbar seltener in die Klinik. Die Firma will den lentiviralen Vektor, der als Genfähre dient, weiter verbessern und hofft, dass zukünftig alle Patienten auf Transfusionen verzichten können.
CAR-T-Zellen mit neuartigem Rezeptor helfen AML Patienten
Haematologica
Antikörper, die Krebsproteine erkennen, bilden in der Regel das Herzstück eines chimaeric antigen receptors (CAR). Die belgische Firma Celyad geht einen anderen Weg: Sie baut auf den Rezeptor NKG2D, der an acht natürliche Oberflächenproteine im menschlichen Körper binden kann. Diese Bindungspartner finden sich nur selten in normalen Geweben, dafür aber häufig auf Zellen diverser Krebsarten.
NKG2D-CAR-T-Zellen erfordern keine vorbereitende Chemotherapie, und die Behandlung wird daher meist sehr gut vertragen, wie eine Studie bereits nachwies. Nun folgte auch der erste Hinweis auf die Wirksamkeit: Bei einem 52-jähriger Patienten mit akuter myeloischer Leukämie verschwanden die Krebszellen aus dem Knochenmark. Seine Verfassung verbesserte sich soweit, dass eine Stammzelltransplantation mit Aussicht auf Heilung möglich wurde. Weitere Patienten mit anderen Krebsarten werden folgen, darunter auch Tumore in Brust, Darm und Eierstöcken.
Forschung
Parkinson: Gentherapie mit An-Aus-Schalter
Stem Cells and Development
Der Botenstoff GDNF gehört zu den Hoffnungen der Parkinson-Therapie: In Tierversuchen half er, Nervenzellen vor dem Verfall zu schützen und ihr Überleben zu sichern. Doch beim Menschen fällt die Anwendung schwer, da das Einschleusen von GDNF ins Gehirn große Schwierigkeiten bereitet. Eine Gentherapie wäre eine Lösung, wirft aber auch ein neues Problem auf: Die ungebremste Produktion des Nervenfaktors könnte schwere Nebenwirkungen haben.
Forschern aus Texas gelang es nun in Mäusen, eine GDNF-Gentherapie mit einem An-Aus-Schalter zu versehen. Ein lentiviraler Vektor transportiert das Konstrukt in das Knochenmark, und von dort wandern veränderte Zellen in das Gehirn und versorgen es mit dem heilkräftigen Botenstoff. Die Versorgung wird jedoch unterbrochen, wenn die Tiere über das Trinkwasser einen Wirkstoff erhalten, der die Aktivität des genetischen Konstrukts hemmt. In den Mäusen hat dieser Ansatz gut funktioniert, und die Forscher hoffen, ihn langfristig auch am Menschen testen zu können.
Industrie
Frischer Schub für allogene CAR-T-Zellen
BioPharmaDive
Körpereigene Zellen bilden das Ausgangsmaterial für die bislang zugelassenen CAR-T-Zelltherapien Kymriah und Yescarta, doch die Verwendung von körperfremden (allogenen) Zellen aus gesunden Spendern könnte vorteilhafter sein - sie sind schneller einsatzbereit und günstiger herzustellen. Der Pharmakonzern Pfizer hat mehrere Jahre mit allogenen CAR-T-Zellen experimentiert, gibt seine Rechte nun aber an die neu gegründete Firma Allogene mit Sitz in San Francisco ab.
Hinter Allogene stehen zwei erfahrene Köpfe: Arie Belldegrun und David Chang haben mit ihrer alten Firma Kite Pharma bereits Yescarta zur Marktreife verholfen. Nun übernehmen sie 16 präklinische Projekte von Pfizer und die Therapie UCART19, die in Zusammenarbeit mit der französischen Firma Cellectis bereits bei Leukämie-Patienten getestet wird. Die beiden Unternehmer konnten in kurzer Zeit 300 Millionen US-Dollar einwerben, mit denen die Entwicklung von allogenen CAR-T-Zellen weiter vorangetrieben wird.
Novartis rein, GlaxoSmithKline raus
Endpoints
Novartis setzt ganz auf die Gentherapie: 8,7 Milliarden US-Dollar investiert der Schweizer Konzern in die US-Firma AveXis, obwohl deren erste Therapie (gegen spinale Muskelatrophie) frühestens 2019 auf den Markt kommt. Doch mindestens ebenso wertvoll ist der Zugriff auf die Herstellung und Handhabung der zukunftsträchtigen AAV-Genfähren. Novartis hatte vor kurzem bereits mit Kymriah die erste CAR-T-Zelltherapie etabliert und sich Marktrechte für die Gentherapie Luxturna gesichert.
GlaxoSmithKline wählt die gegenläufige Richtung: Der britische Pharmariese verlässt das Feld der Gentherapie und verkauft alle Rechte an die junge US-Firma Orchard Therapeutics. Teil des Pakets ist neben einigen klinischen Programmen auch Strimvelis, die zur Zeit einzige in Europa zugelassene Gentherapie. Deren Vermarktung verläuft bislang eher schleppend, auch weil nur eine einzige Klinik in Mailand die Therapie durchführen darf. Orchard will seine Erfahrungen bei dem Einfrieren von Zellen nutzen, um die Transport von Strimvelis in andere Länder zu erleichtern.
Methoden
CRISPR: Das Immunsystem als größte Hürde?
The Niche
Im letzten Jahr erlitt die Euphorie um CRISPR-Cas9 zwei herbe Dämpfer: Studien berichteten von hohen Fehlerraten und vorbestehender Immunität, die den Einsatz in der Gentherapie in Frage stellen. Auf beiden Felder gibt es nun Neuigkeiten - einmal gute und einmal schlechte. Das Problem der hohen Fehlerrate hat erst einmal an Dringlichkeit verloren, da die Studie zurückgezogen wurde: Ein schwerer methodischer Fehler lässt die Aussagen unglaubwürdig erscheinen.
Erhärtet hat sich allerdings der Verdacht, dass das menschliche Immunsystem eine hohe Hürde darstellt. Seit einigen Monaten ist bekannt, dass viele Menschen Antikörper gegen das Enzym Cas9 aufweisen, da es aus einem allgegenwärtigen Bakterium stammt. Forscher der Berliner Charité haben nun auch eine Aktivierung der T-Lymphozyten nachgewiesen, die in vielen Patienten eine starke Immunreaktion auslösen könnten - und damit den Erfolg einer möglichen Gentherapie gefährden. Neue Varianten von Cas9 oder eine Behandlung mit Immunsuppressiva könnten das Problem zwar lösen, aber der Weg in die Klinik wird dadurch noch einmal deutlich schwieriger.
Medienspiegel
Gentherapie bei Epilepsie
Tagesspiegel
Bei Mäusen funktioniert es schon: Eine Injektion von AAV-Genfähren direkt in das Gehirn kann epileptische Anfälle unterdrücken, über viele Monate hinweg. Der Weg in die Klinik ist jedoch noch weit, er führt vom GO-Bio-Antrag über die eigene Firma bis hin zu den ersten Studien. Regine Heilbronn von der der Charité Berlin berichtet dem Tagesspiegel von ihren Erfolgen und dem, was noch vor ihr liegt.