März 2018
Dieser Newsletter von wissensschau.de informiert im Abstand von zwei Monaten über jüngste Entwicklungen bei der Gentherapie und den CAR-T-Zellen.
Klinische Studien
China ist unangefochtener Vorreiter bei CRISPR-Studien
Wall Street Journal
Chinesische Ärzte haben bereits 86 Patienten mit der Genschere CRISPR behandelt, berichtet das Wall Street Journal. Zum Vergleich die entsprechende Zahl aus den westlichen Ländern: Null. Erst Ende dieses Jahres werden die ersten Studien in den USA anlaufen. China scheint damit in einer guten Position, den zukunftsträchtigen Markt der CRISPR-Therapie zu dominieren.
Die behandelten Patienten litten meist unter Krebs und AIDS: Zur Therapie wurden ihnen Immunzellen entnommen, im Labor mit der Genschere behandelt und schließlich wieder in den Körper zurückgegeben. Laut den chinesischen Ärzten soll es einigen Patienten besser gehen. Zwar gab es auch 15 Todesfälle zu beklagen, die aber wohl auf die Vorerkrankungen zurückzuführen sind.
Gentherapie gegen AIDS?
STAT
AIDS muss nicht mehr tödlich sein, der Preis dafür ist jedoch hoch - die lebenslange Einnahme von Medikamenten. Ein Patient in Berlin hat vor Jahren gezeigt, dass auch eine Heilung möglich ist: Dazu muss ein Bindungspartner des HI-Virus ausgeschaltet werden. Der Berliner Patient erhielt eine Stammzelltransplantation, aber Genscheren könnten die gleiche Wirkung erzielen.
Die US-Firma Sangamo startet bereits 2009 mit Studien, bei denen Zinkfinger-Nukleasen - eine Variante der Genscheren - den HIV-Bindungsfaktor ausschalten sollten. Die Fortschritte waren mühsam, aber nun kann ein kleiner Teil der Patienten seit über drei Jahren auf Medikamente verzichten. Ein Artikel im STAT beschreibt die ersten Versuche und die neueste Hoffnung: die genetische Manipulation von Blutstammzellen.
Erster Schritt für Therapie von Chorea Huntington
RNAi Therapeutics Blog
Die Chorea Huntington führt zur vollständigen Degeneration der geistigen Fähigkeiten, eine wirksame Therapie fehlt bislang. Die US-amerikanische Firma Ionis testete nun ihre Antisense-Technologie an 46 Patienten: Kleine DNA-Stücke sollen die Produktion des schädlichen Protein Huntingtin verhindern. Kliniken in Berlin, Bochum und Ulm nehmen an dieser Studie teil, deren erste Ergebnisse Anlass zu vorsichtiger Hoffnung geben.
Die Teilnehmer, die bereits unter den ersten Symptomen der Krankheit litten, erhielten drei Injektionen des Wirkstoffs IONIS-HTTRx. Nach drei Monaten zeigten sich bei den höchsten Dosen, dass die Menge des mutierten Huntingtins in der Zerebrospinalflüssigkeit um 40 % verringert war. In Tierversuchen kann eine derartiger Erfolg bereits den Verlauf der Krankheit lindern. Da keine signifikanten Nebenwirkungen auftraten, wechselten alle Patienten in eine Phase-II-Studie, die bis September 2019 laufen soll.
Natürliche Killerzellen mit CAR gegen Hirntumor
Goethe-Universität, Frankfurt
Ein CAR ohne T-Zellen - natürliche Killerzellen (NK-Zellen) bieten sich als Alternative an. Forscher in Frankfurt am Main entwickelten derartige CAR-NK-Zellen, die das Tumorantigen HER2 erkennen und Krebszellen mit zytotoxischen Substanzen bekämpfen. In Zusammenarbeit mit der US-Biotechfirma NantKwest werden sie nun bei Hirntumoren getestet, die durch eine sehr schlechte Überlebensrate gekennzeichnet sind.
Der erste Patient wurde Mitte Februar behandelt. Bei einer Hirnoperation entfernten Ärzte das Tumorgewebe und injizierten zugleich die CAR-NK-Zellen, die übrig gebliebene Krebszellen beseitigen sollen. Der Patient überstand den Eingriff erst einmal gut. An der Phase-I-Studie sollen insgesamt 30 Patienten teilnehmen, das Ende ist für Juni 2020 vorgesehen.
Forschung
In Mäusen: Gentherapie hilft kurzzeitig bei Typ-I-Diabetes
Cell Stem Cell
Typ-I-Diabetes entsteht, wenn Immunzellen den eigenen Körper angreifen: Die Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse werden zerstört und die Produktion von Insulin bricht zusammen. Die umliegenden Alpha-Zellen hingegen bleiben unberührt. Ein Gentherapie könnte Alpha-Zellen dazu anregen, die Insulinproduktion zu übernehmen - in der Hoffnung, dass diese Zellen vor der Autoimmunreaktion geschützt sind.
Der erste Teil dieses Plans scheint realisierbar: In Mäusen mit experimenteller Diabetes konnte ein AAV-Vektor die Alpha-Zellen umprogrammieren und die Insulinproduktion wieder ankurbeln. Die zweite Hoffnung erfüllt sich jedoch nicht - nach vier Monaten setzte die Immunreaktion wieder ein und der Diabetes kehrte zurück. Die Forscher von der Universität Pittsburgh hoffen nun darauf, dass Immunsuppressiva die Wirkung der Gentherapie verlängern können.
Eine stumpfe Genschere für die Therapie
Cell
Genscheren sollen Erbkrankheiten heilen, doch die Nebenwirkungen sind gefürchtet: Unbeabsichtigte Schnitte können das Erbgut schädigen und den Erfolg zunichte machen. Forscher am kalifornischen Salk Institut experimentieren nun mit einer CRISPR-Variante, die nicht mehr schneiden kann. Die DNA bleibt intakt und die Gene unverändert, stattdessen wird deren Aktivität gezielt an- oder ausgeschaltet.
In ersten Versuchen mit Mäusen offenbarte diese "stumpfe" CRISPR-Variante ihr Potenzial. Ein AAV-Vektor schleuste Faktoren ein, die die Genaktivität steuern, und ein CRISPR-Komplex positionierte sie zielgenau im Erbgut. Nierenschäden, Diabetes und Duchenne Muskeldystrophie - bei diesen Krankheitsmodellen erwies sich der Ansatz bereits als erfolgreich. Noch gibt es keine konkreten Pläne für eine Anwendung beim Menschen, doch scheint dies nur noch eine Frage der Zeit.
Industrie
CAR-T-Zellen: China hat die Nase vorn
CellTrials
Zwei CAR-T-Zelltherapien sind bereits zugelassen, viele weitere sollen folgen. Das zumindest hoffen weltweit etwa 115 Firmen, die auf diesem Gebiet arbeiten. Eine aktuelle Analyse von Alexey Bersenev, Blogger und Zellforscher an der Yale Universität, identifizierte darunter viele kleinere Unternehmen, aber auch mindestens 14 Schwergewichte wie Pfizer, Amgen und Johnson & Johnson. Zwei Ländern engagieren sich besonders stark: China hat mit 48 Firmen eindeutig die Nase vorn, gefolgt von der USA mit 38. In Deutschland konnte Bersenev nur eine einzige Firma ausmachen.
Novartis vermarktet Gentherapie in Europa
BioPharmaDive
Gentherapien bewegen sich auf einem komplexen Markt - da ist es gut, einen großen Pharmakonzern mit an Bord zu haben. Sagte sich zumindest die US-Firma Spark, der neulich die erste Zulassung für eine Gentherapie gegen angeborene Blindheit gelang. Die Herstellung und die Zulassungsanträge bleiben in den Händen von Spark, der Verkauf auf dem US-Markt ebenfalls.
Alle Rechte außerhalb der USA wurden aber an den Schweizer Pharmagiganten Novartis abgegeben. Uneigennützig war das natürlich nicht: Spark erhält 105 Millionen US-Dollar im Voraus, und nach Zulassung in der EU und den ersten Verkäufen werden weitere 65 Millionen fällig.
Methoden
Ist der AAV-Vektor eine unterschätzte Gefahr?
MIT Technology Review
James Wilson spielt eine zentrale - und zuweilen tragische - Rolle in der Gentherapie. Als Leiter einer Studie der Universität Pennsylvania verantwortete er 1999 einen verhängnisvollen Todesfall, der das Feld um Jahre zurückwarf. In der Folge engagierte sich Wilson bei der Entwicklung sicherer Alternativen, allen voran des bislang als eher unproblematisch angesehenen AAV-Vektors. Doch ausgerechnet vor diesem Vektor warnt er nun.
In sehr hohen Dosen scheint der AAV-Vektor eine toxische Reaktion auszulösen. Wilson testete dies an je drei jungen Affen und Schweinen, die alle schwere Schäden davontrugen: Ein Affe starb an Leberschäden, die Ferkel mussten mit Nervenschäden eingeschläfert werden. Entsprechend hohe Dosen wurden bereits bei Kindern mit Spinaler Muskelatrophie eingesetzt, ähnliche Studien für die Duchenne Muskeldystrophie sind in Vorbereitung. Wilson rät vor einer Fortführung ab, zuerst sollte die Sicherheit in Tierversuchen nachgewiesen werden.
Medienspiegel
Ein Biohacker traktiert sich mit CRISPR - und bereut die Folgen
The Atlantic
Im Oktober letzten Jahres injizierte sich der Biohacker Josiah Zayner während eines Kongresses die Genschere CRISPR, um seine Muskeln zu stärken. Auf offener Bühne, ein Live-Stream übertrug die Aktion in die ganze Welt. Heute bereut er seine Tat. Allerdings nicht wegen der medizinischen Folgen, sondern wegen der ungebetenen Nachahmer: "Ohne jeden Zweifel wird sich am Ende jemand verletzten". Lesenswertes Interview mit einem unkonventionellen, aber durchaus nachdenklichem Aktivisten.