November 2023
Dieser Newsletter von wissensschau.de informiert im Abstand von zwei Monaten über jüngste Entwicklungen bei der Gentherapie und den CAR-T-Zellen.
Klinische Studien
Gentherapie hilft tauben Kindern
MIT Technology Review
Von Geburt an taube Kinder können erstmals Gespräche in normaler Lautstärke verstehen: Eine Gentherapie im Innenohr ermöglichte die Signalübertragung zwischen Hörsinneszellen und Nervenbahnen. Dazu wird ein intaktes OTOF-Gen in die Sinneszellen eingeschleust. Nach wenigen Monaten erreichten 4 von 5 Kindern etwa 60 Prozent des normalen Hörvermögens. Diese Ergebnisse stellten Forscher aus Shanghai im Oktober auf einer Fachkonferenz in Brüssel vor.
Defekte im OTOF-Gen verursachen bis zu 3 von 100 Fällen von angeborener Taubheit. Betroffene Kinder erhalten in der Regel ein Cochlea-Implantat, das ein eingeschränktes Hören ermöglicht. Erste Ergebnisse deuten jedoch an, dass nach der Gentherapie deutlich mehr Tonfrequenzen wahrgenommen werden. Drei westliche Firmen arbeiten an ähnlichen Therapien, darunter die US-Firma Regeneron: Diese hat ebenfalls im Oktober bekannt gegeben, dass ein erstes Kind offenbar erfolgreich behandelt wurde.
mRNA-Impfstoffe unterstützen CAR-T-Zellen
Deutsches Ärzteblatt
Die deutsche Firma BioNTech testet einen mRNA-Impfstoff, der CAR-T-Zelltherapien gegen solide Tumore unterstützen soll. Erste Ergebnisse deuten auf eine positive Wirkung hin: Die Therapie erzeugt eine Immunaktivität gegen den Krebsmarker Claudin-6, der u.a. auf Keimzelltumoren und Eierstockkrebs zu finden ist. An der Studie nahmen 44 Patienten teil, die auf andere Therapien nicht mehr ansprachen. Dies gab die Firma im Oktober auf einer Fachkonferenz in Madrid bekannt.
Eine höhere Dosis der CAR-T-Zellen konnte in 6 von 10 Fällen die Tumore verkleinern. Die Nebenwirkungen bewegten sich im erwarteten Rahmen. Allerding ist noch unklar, wie lange die Wirkung anhält. Unklar ist auch der Beitrag der mRNA: Nach Angaben der Firma konnte der Impfstoff die „Beständigkeit‟ der CAR-T-Zellen teilweise verlängern. Ob dies auch die Wirkung der Therapie verbessert, ist offen. Die Firma bereitet nun eine weitere Studie vor, die sich auf Keimzelltumore konzentriert.
CRISPR-Therapie soll HIV vollständig beseitigen
MIT Technology Review
Die US-Firma Excision BioTherapeutics will AIDS endgültig heilen: In einer kleinen Studie injizierte sie Betroffenen die Genschere CRISPR/Cas9 in den Körper, um die letzten Reste des HI-Virus in Blutzellen zu beseitigen. Der Eingriff verlief bisher bei drei Patienten ohne größere Probleme, die erste Behandlung liegt nun rund ein Jahr zurück. Dies gab die Firma im Oktober auf einer Fachkonferenz in Brüssel bekannt.
Unklar bleibt jedoch, ob die Therapie auch wirksam ist. Laut Protokoll sollen die Behandelten 12 Wochen nach dem Eingriff keine antiretroviralen Medikamente mehr einnehmen, um zu prüfen, ob das HI-Virus wieder aktiv wird. Für zwei Patienten müssten diese Daten bereits vorliegen – die Firma will die ersten Ergebnisse aber erst 2024 vorstellen. Sie hat stattdessen angekündigt, die Studie mit sechs weiteren Teilnehmern und deutlich höheren Dosen fortzusetzen.
Base Editing erzeugt verträglichere CAR-T-Zellen
BioPharma Dive
In den USA erhielt ein Patient mit aggressiver T-Zell-Leukämie körperfremde CAR-T-Zellen, deren Erbgut an vier Stellen mit der Base Editing-Methode verändert worden war. Dabei tauscht eine Variante der Genschere CRISPR/Cas gezielt einzelne DNA-Basen aus. Die Veränderungen sollen dazu beitragen, den Einsatz von körperfremden CAR-T-Zellen sicherer und effektiver zu machen. Eine ähnliche Studie in Großbritannien verwendet ähnliche CAR-T-Zellen, die allerdings nur drei Veränderungen im Erbgut aufweisen. Den Start der US-Studie gab die Firma Beam Therapeutics im September in einer Pressemitteilung bekannt.
Anwendung
Stiftung übernimmt Gentherapie Strimvelis
Nature
Die Gentherapie Strimvelis wird seit September von der italienischen Fondazione Telethon hergestellt und vertrieben. Die biomedizinische Stiftung hat alle Rechte von der britischen Firma Orchard Therapeutics übernommen. Bis 2018 gehörte Strimvelis noch dem Pharmakonzern GSK: Beide Firmen hatten das Interesse verloren, weil die Vermarktung der Gentherapie kaum Gewinne abwarf.
Die Übernahme durch Stiftungen könnte ein zukunftsweisender Weg sein, um wenig rentable Gentherapien verfügbar zu halten. In diesem Sinne plant die Fondazione Telethon, demnächst auch eine Gentherapie gegen das Wiskott-Aldrich-Syndrom zu übernehmen.
Zweifel an der Wirksamkeit von Elevidys
Deutsches Ärzteblatt
Die Gentherapie Elevidys hat in einer größeren Studie ihr Hauptziel nicht erreicht: Bei 125 Kindern mit Duchenne-Muskeldystrophie hat sich ein Score zur Beurteilung der motorischen Fähigkeiten nicht signifikant verbessert. Kleinere Fortschritte gab es nur bei sekundären Endpunkten, bei denen die Behandelten kleinere Aufgaben um Sekundenbruchteile schneller absolvieren konnten. Dies gab der Hersteller Sarepta Therapeutics auf einer Pressekonferenz im Oktober bekannt.
Elevidys wurde im Juni in den USA zugelassen, obwohl zu diesem Zeitpunkt noch keine klinischen Daten vorlagen. Der Leiter der US-Arzneimittelbehörde soll sich nachdrücklich für die Zulassung eingesetzt haben. Obwohl die Studienergebnisse enttäuschten, sieht der Hersteller Sarepta die Wirksamkeit bestätigt – und hofft sogar auf eine erweiterte Zulassung für andere Altersgruppen. Eine Behandlung mit Elevidys kostet 3,2 Millionen US-Dollar.
Forschung
CAR-T-Zellen lindern Altersbeschwerden bei Mäusen
Science Translational Medicine
CAR-T-Zellen können seneszente Körperzellen beseitigen, die entzündliche Stoffe freisetzen und so den Alterungsprozess vorantreiben. Dieser Eingriff konnte den körperlichen Zustand älterer Mäuse deutlich verbessern: Der Abbau von Knochen- und Fettgewebe wurde vermindert, die Ausdauerleistung im Laufrad dagegen gesteigert. Chinesische Forscher veröffentlichten diese Ergebnisse im August im Fachjournal Science Translational Medicine.
Seneszente Zellen treten vermehrt im Alter auf: Diese Zellen haben ihre Teilungsfähigkeit und normale Funktion weitgehend verloren, können aber das umliegende Gewebe schädigen. Die chinesischen Forscher fanden heraus, dass seneszente Zellen auf ihrer Oberfläche bestimmte Marker tragen, die von NKG2D-CAR-T-Zellen erkannt werden. Diese CAR-T-Zellen wurden auch bei Krebspatienten getestet und erwiesen sich als sicher. Ihr Einsatz bei menschlichen Alterskrankheiten ist derzeit jedoch noch zu riskant.
Medienspiegel
Wie umgehen mit der Flut neuer Gentherapien?
Signals
Derzeit laufen rund 1700 klinische Studien zu Zell- und Gentherapien. Ein Teil davon wird in den nächsten Jahren auf Zulassung und Markteintritt drängen. Das kann zu einer gewaltigen Herausforderung werden: Stehen bis dahin genügend Produktionsstätten, Fachkräfte und regulatorische Kapazitäten zur Verfügung? Im Blog „Signals‟, veröffentlicht von einer kanadischen Non-Profit-Organisation, analysieren acht Experten die anstehenden Probleme.