Oktober 2020
Dieser Newsletter von wissensschau.de informiert im Abstand von zwei Monaten über jüngste Entwicklungen bei der Gentherapie und den CAR-T-Zellen.

 

Klinische Studien

Neuer Krebsmarker gegen Hodgkin-Lymphome

Journal of Clinical Oncology

CAR-T-Zelltherapien helfen bei dem seltenen Hodgkin-Lymphom: Die erste größere Studie deutete eine hohe Ansprechrate und relativ geringe Nebenwirkungen an. Die Therapie richtete sich gegen den bislang wenig erprobten Krebsmarker CD30 und wurde von der US-Firma Tessa Therapeutics und Krebskliniken in Texas und North Carolina entwickelt. Die Daten wurden Ende Juli von der Fachzeitschrift Journal of Clinical Oncology publiziert.

Besonders wirksam erwiesen sich CAR-T-Zellen, wenn die einleitende Chemotherapie den Wirkstoff Fludarabin nutzte: Diese 32 Patienten zeigten eine Ansprechrate von 72 %, die Überlebensrate lag nach einem Jahr bei 94 %. Nebenwirkungen gingen vor allem von der Chemotherapie aus. Der für CAR-T-Zellen typische Zytokinsturm war nur schwach ausgeprägt, Neurotoxizität wurde nicht beobachtet. Eine weitergehende Phase-II-Studie soll Ende dieses Jahres starten.

Gentherapie stoppt tödliche Hirnkrankheit

BioPharmaDive

Um mindestens zwei Jahre verzögerte eine Gentherapie die Folgen der Zerebralen Adrenoleukodystrophie (CALD) – angesichts des meist tödlichen Verlaufs dieser Erbkrankheit ein großer Erfolg. 20 von 23 behandelten Patienten blieben schwere Behinderungen erspart. Die Gentherapie der US-Firma Bluebird Bio mit Namen eli-cel verändert Blutstammzellen der Patienten, um einen Stoffwechseldefekt zu beheben. Die vorläufigen Daten wurden im August auf der Jahrestagung der Fachgesellschaft EBMT vorgestellt.

Bei der CALD sammeln sich Fettmolekülen in Nervenzellen an, die zwei bis vier Jahre nach den ersten Symptomen zu schwersten Behinderungen führen. Der Tod tritt meist nach fünf bis zehn Jahren ein. Helfen konnte bislang nur eine Transplantation von körperfremden Blutstammzellen, die allerdings mit erheblichen Risiken verbunden ist. Die Nebenwirkungen von eli-cel scheinen sich im Wesentliche auf die Folgen der einleitenden Chemotherapie zu beschränken. Die Zulassung in Europa wurde im Oktober beantragt.

Dreifacher Schlag gegen Lymphome

Deutsches Ärzteblatt

Zwei Krebsmarker plus Immuntherapie: Diese Kombination erwies sich bei B-Zell-Lymphomen als vielversprechend. Britische und US-amerikanische Forscher setzten duale CAR-T-Zellen ein, die Rezeptoren gegen die Krebsmarker CD19 und CD22 aufwiesen. Zusätzlich sollte der Checkpoint-Inhibitor Pembrolizumab die Ansprechdauer der Therapie verlängern. Erste vorläufige Daten wurden im September auf der Krebstagung ESMO 2020 vorgestellt: Die Ansprechraten waren hoch, die Verträglichkeit sehr gut.

Auswertbare Daten lagen für 28 Patienten mit diffus-großzelligen B-Zell-Lymphom (DLBCL) vor: 19 bzw. 68 % der Patienten sprachen auf die Behandlung an, bei 15 bzw. 54 % ging der Krebs vollständig zurück. Typische Nebenwirkungen von CAR-T-Zelltherapien wie Zytokinsturm oder Neurotoxizität blieben verhältnismäßig moderat. Unklar bleibt jedoch die langfristige Wirkung, bislang beträgt die Beobachtungszeit im Mittel nur sechs Monate. Die Studie rekrutiert nun weitere Patienten.

Forschung

Doppelschlag gegen solide Tumore

Endpoints

Ein Virus markiert den Tumor, CAR-T-Zellen eliminieren ihn - in Mäusen hat dieser Ansatz erste Erfolge erzielt. Er könnte ein zentrales Problem der Krebstherapie lösen: Tumore in festen Geweben weisen nur selten Marker auf, die eine wirksame CAR-T-Zelltherapie ermöglichen. Das Journal Science Translational Medicine hat die Studie von Forschern am kalifornischen City of Hope im September veröffentlicht.

Die Forscher nutzten einen onkolytischen Vaccinia-Virus, der eine verkürzte Variante des Markers CD19 in Krebszellen transportierte. Die Experimente erfolgten mit unterschiedlichen Krebsarten, darunter auch triple-negativer Brustkrebs menschlichen Ursprungs. In Mäusen wurde diese Tumoren mit CAR-T-Zellen gegen CD19 behandelt, die seit einigen Jahren in der Klinik Anwendung finden. Der Krebs wurde wirksam zurückgedrängt. Spätestens Anfang 2022 sollen erste Tests am Menschen beginnen.

Krebsmarker auf Blut-Hirn-Schrank: Ursache von Nebenwirkungen?

Cell

US-amerikanische Forscher entdeckten den Krebsmarker CD19 auf Gefäßzellen, die die Funktion der Blut-Hirn-Schranke aufrecht erhalten. In der jüngsten Ausgabe des Journals Cell widerlegen sie die bisherige Annahme, dass CD19 nur auf B-Zellen und verwandten Lymphomen zu finden ist. Vermutet wird auch ein Zusammenhang mit häufigen Nebenwirkungen: CAR-T-Zelltherapien gegen Lymphome verursachen häufig Schäden im Gehirn, die bislang nur schwer zu erklären waren.

Die neuen Erkenntnisse weisen auf Wege hin, derartige Nebenwirkungen zukünftig zu vermeiden. Denkbar wäre der Austausch von CD19 mit einem anderen Krebsmarker, der ebenfalls die Therapie von Lymphomen ermöglicht. Eine weitere Alternative wären CAR-T-Zellen, die neben Krebsmarkern auch menschliche Gewebe unterscheiden können: Eine Aktivierung erfolgt dann nur, wenn CD19 auf Lymphomen sitzt – aber nicht auf den Gefäßzellen der Blut-Hirn-Schranke.

Industrie

Gentherapie gegen Hämophilie A – Zulassung überraschend verweigert

BioPharmaDive

Die US-Arzneimittelbehörde FDA fordert für die Gentherapie Roctavian weitere Langzeitdaten, um Zweifel an der Wirkungsdauer auszuräumen. Für ihren Zulassungsantrag hatte die US-Firma BioMarin im Januar 2020 zwei Studien aufgeführt: eine Phase-I-Studie mit drei Jahren Beobachtungszeit und eine Phase-III-Studie mit Anfangsdaten. Alle Studienteilnehmer sollen nun mindestens zwei Jahre lang beobachtet werden – eine Zulassung für die Therapie der Gerinnungsstörung Hämophilie A kann daher frühestens Mitte 2022 erfolgen.

Dabei hatte die erste Studie überzeugende Daten geliefert: Eine hohe Dosis verringerte bei 13 Patienten die Blutungsepisoden um 90 Prozent, die Wirkung hielt bis zu vier Jahre an. Die Produktion des eingeschleusten Gerinnungsfaktors VIII nahm allerdings über die Zeit ab, die langfristige Wirksamkeit bleibt daher fraglich. In der zweiten Studie ist die Abnahme anscheinend noch ausgeprägter – die FDA will daher die weitere Entwicklung abwarten.

Methoden

Virale Vektoren gegen COVID-19

Sirion Biotech

Genfähren können passive Impfstoffe in den Körper einschleusen, um Infektionen mit Viren zu verhindern. Die Universität Erlangen und die Münchner Firma Sirion Biotech wollen diesen Ansatz für die Abwehr von SARS-CoV-2 nutzen. Im August wurde das Gemeinschaftsprojekt in den Förderschwerpunkt "COVID-19-Forschung" der Bayerischen Forschungsstiftung aufgenommen.

US-amerikanische Wissenschaftler haben mit diesem Ansatz bereits Antikörper gegen HIV erzeugt, die bis zu zwei Jahre im Blut von Probanden nachweisbar waren. Die bayerischen Forscher haben sich zum Ziel gesetzt, mit einer einmaligen Injektion von AAV-Genfähre einen Schutz aufzubauen, der mindestens sechs Monate anhält.

Medienspiegel

Gentherapie und Keimbahn - grundsätzlich ja, praktisch fast nie

Endpoints

Im Jahr 2018 verkündete der chinesische Wissenschaftler He Jiankui die Geburt der ersten CRISPR-manipulierten Kinder - und wähnte sich ethisch auf der sicheren Seite. Zwei Jahre später veröffentlicht die US-amerikanische National Academy of Sciences eine neue Version ihres Berichts, der laut Jason Mast vom Online-Magazin Endpoints deutlich weniger Raum für kreative Interpretationen lässt.

Die US-Akadamie erklärt die Manipulation der Keimbahn nicht grundsätzlich für unethisch, zählt allerdings zentrale Einschränkungen auf: In der Praxis sollte die Keimbahntherapie damit auf extrem seltene Ausnahme beschränkt bleiben. Vorausgesetzt natürlich, dass sich auch in Zukunft jeder daran hält.

 
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