Oktober 2022
Dieser Newsletter von wissensschau.de informiert im Abstand von zwei Monaten über jüngste Entwicklungen bei der Gentherapie und den CAR-T-Zellen.
Klinische Studien
CRISPR-Therapie lindert Symptome bei hereditärem Angioödem
BioPharma Dive
Die Genschere CRISPR/Cas verändert das Erbgut von Leberzellen und verringert die Freisetzung des Plasmaproteins Kallikrein. Dies soll teils lebensgefährliche Schwellungen verhindern, die bei dem seltenen hereditärem Angioödem auftreten. Bei den ersten Behandelten sank der Plasmaspiegel deutlich, einige blieben auch vollständig frei von Symptomen. Diese Zwischenergebnisse verkündete der Hersteller Intellia Therapeutics auf einer Fachtagung im September.
Bei der Therapie wird die genetische Information von CRISPR/Cas in eine Lipidhülle verpackt und direkt in die Blutbahn injiziert. Getestet wurde sie bislang erst an sechs Personen, die Beobachtungszeit betrug höchstens vier Monate. Eine Phase-II-Folgestudie mit mehr Patienten und einem Plazebo-Arm soll 2023 beginnen. Bei Erfolg würde die Gentherapie auf große Konkurrenz treffen: Therapien mit ähnlicher Wirksamkeit sind bereits auf dem Markt – müssen allerdings regelmäßig neu verabreicht werden.
CAR-T-Zellen stoppen Autoimmunerkrankung
Deutsches Ärzteblatt
Fünf Patienten mit systemischem Lupus erythroides (SLE) sind nach einer CAR-T-Zelltherapie weitgehend beschwerdefrei. SLE wird durch autoreaktive B-Lymphozyten ausgelöst, deren fehlgeleitete Antikörper das eigene Körpergewebe angreifen. Forscher vom Universitätsklinikum Erlangen nutzten eine CAR-T-Zelltherapie gegen das Antigen CD19, um die B-Lymphozyten fast vollständig zu beseitigen. Die Ergebnisse wurden im September in der Fachzeitschrift Nature Medicine veröffentlicht.
Die behandelten Patienten waren im Durchschnitt 22 Jahre alt und hatten mehrere erfolglose Therapieversuche hinter sich. Bereits drei Monate nach der CAR-T-Zelltherapie ließen die Beschwerden nach, die Wirkung hielt bislang im Mittel acht Monate an. Bis auf ein schwach ausgeprägtes Zytokinfreisetzungs-Syndrom traten kaum Nebenwirkungen auf. Laut den Erlanger Forschern kann allerdings erst eine längere randomisierte Studie nachweisen, ob CAR-T-Zellen für die Behandlung von SLE geeignet sind.
CRISPR/Cas soll HIV restlos aus dem Körper entfernen
Excision BioTherapeutics
Nichts weniger als die Heilung von AIDS strebt die US-Firma Excision BioTherapeutics an: Die Genschere CRISPR/Cas9 soll ruhende HI-Viren aufspüren und unschädlich machen. Mit der Beseitigung des sogenannten HIV-Reservoirs wäre die lebenslange Einnahme von Medikamenten überflüssig. Der erste Patient wurde im Juli 2022 behandelt. Im September teilte die Firma mit, dass die Therapie in den ersten zwei Monaten gut vertragen wurde.
Das HIV-Reservoir besteht aus Viren, die sich direkt in das Erbgut von Immunzellen einlagern. Excision Therapeutics hat drei Zielsequenzen identifiziert, die eine Eliminierung der ruhenden Viren durch CRISPR/Cas9 ermöglichen soll. Genscheren und Zielsequenzen werden mit einer AAV-Genfähre direkt in die Blutbahn der Behandelten infundiert. Ein erster Test der Wirksamkeit soll nach drei Monaten erfolgen: Nach einem Absetzen der antiretroviralen Therapie wird untersucht, ob sich HIV wieder im Körper ausbreiten kann.
„Umschaltbare“ CAR-T-Zellen gegen Blutkrebs
pharmaphorum
CAR-T-Zellen können Antikörper nutzen, um B-Zell-Erkrankungen zurückzudrängen: Bei 6 von 9 Studienteilnehmern verschwanden die Krebszellen anfangs vollständig. Der Antikörper wirkt wie ein Schalter – die CAR-T-Zellen sind nur in seiner Gegenwart aktiv. Über die langfristige Wirksamkeit ist bislang allerdings wenig bekannt. Das gaben das US-Institut Calibr und die US-Firma AbbVie im September auf einer Fachkonferenz bekannt.
Dieser Ansatz könnte dazu beitragen, die Nebenwirkungen der Therapie zu reduzieren. Die ersten Daten scheinen dies zu bestätigen: Trotz der hohen Ansprechrate traten keine schweren Neurotoxizitäten und nur zwei Fälle von schweren Zytokinstürmen auf. Zudem waren alle Komplikationen innerhalb weniger Tage abgeklungen. Im nächsten Schritt soll die Dosis von Antikörpern und CAR-T-Zellen erhöht werden.
Gestärkter Stoffwechsel bei Morbus Fabry
Fierce Biotech
Nach einer Gentherapie konnten vier von neun Patienten mit Morbus Fabry ihre bisherige Enzymersatztherapie beenden. Bei den anderen fünf Patienten führte die Gentherapie zu einer deutlichen Erhöhung des Stoffwechselenzyms alpha-Galactosidase A. Eine AAV-Genfähre hatte das Gen für dieses Enzym in den Körper der Patienten eingebracht. Alle Patienten haben die Therapie gut vertragen. Diese frühen Zwischenergebnisse präsentierte die US-Firma Sangamo Therapeutics auf einer Fachkonferenz im Oktober.
Der erbliche Stoffwechseldefekt bei Morbus Fabry führt zu Fettablagerungen in Körpergeweben – Schlaganfälle, Nierenversagen und Herzinfarkte sind häufig die Folge. Die Gentherapie hat die Produktion des vormals fehlenden Enzyms auf das 2- bis 30-fache des Normalwerts angehoben. Die Beobachtungszeit ist jedoch noch recht kurz und beträgt höchstens 23 Monate. Bei manchen Patienten beginnt der Enzymspiegel wieder leicht zu sinken, so dass die Dauer der Wirkung noch fraglich ist. Sangamo bereitet nun eine weiterführende Phase-III-Studie vor.
Wirtschaft
Entwicklungskosten erklären nicht den Preis eines Medikaments
JAMA Network Open
Warum sind viele Medikamente so teuer? Hersteller begründen dies oft mit hohen Entwicklungskosten. Um diese Behauptung zu überprüfen, untersuchten englische und US-amerikanische Forscher 60 Medikamente, die zwischen 2009 und 2018 in den USA zugelassen wurden. Ein Zusammenhang zwischen den Entwicklungskosten und dem Preis des Arzneimittels konnten sie jedoch nicht finden. Die Studie erschien im September im Fachjournal JAMA Network Open.
Ein Beispiel aus der Studie: Im Jahr 2017 betrugen die mittleren Kosten für die Medikamentenentwicklung etwa 650 Millionen US-Dollar. Nach der Zulassung winkten jedoch Einnahmen von durchschnittlich 1,7 Milliarden US-Dollar. Manche Firmen erzielten durch ein einzelnes Medikament höhere Zusatzeinnahmen, als sie jährlich für Forschung und Entwicklung ausgaben. Die Forscher räumten allerdings ein, dass nicht alle Daten ausgewertet und nicht alle möglichen Einflussfaktoren berücksichtigt werden konnten.
Nach Rückzug vom EU-Markt – Skysona in den USA zugelassen
Endpoints
Die Gentherapie Skysona darf seit September in den USA für die Behandlung der seltenen zerebralen Adrenoleukodystrophie eingesetzt werden. Die Kosten sollen etwa drei Millionen US-Dollar betragen. Skysona hatte schon im Sommer letzten Jahres die Zulassung in der Europäischen Union erhalten, wurde dann aber kurze Zeit später vom Markt genommen, da die Preisverhandlungen mit den Krankenkassen erfolglos verliefen.
Erst im August hatte Bluebird Bio die US-Zulassung für die Gentherapie Zynteglo erhalten, die gegen ß-Thalassämie gerichtet ist. Auch diese Therapie war bereits in der EU zugelassen und dann zurückgezogen worden. Die Zulassung der beiden Gentherapien könnte das Überleben der finanziell schwer angeschlagenen Firma sichern. Skysona wird allerdings nur begrenzt dazu beitragen: Bluebird Bio rechnet nur mit etwa zehn Behandelten pro Jahr.
Methoden
B-Lymphozyten sollen Stoffwechselstörung lindern
MIT Technology Review
Eine Gentherapie will B-Lymphozyten nutzen, um ein fehlendes Stoffwechselenzym zu produzieren und die seltene Erbkrankheit Morbus Hurler zu behandeln. Ein Transposon soll das Gen für das Enzym Alpha-L-Iduronidase in die körpereigenen Immunzellen einschleusen. Im September erhielt die US-Firma Immusoft die Erlaubnis, diesen neuen Ansatz erstmals am Menschen zu testen. Die Studie soll innerhalb der nächsten sechs Monate an der Universität von Minnesota starten.
Die Stoffwechselkrankheit Morbus Hurler verursacht zahlreiche organische Veränderungen und kann die geistige Entwicklung behindern. Betroffene Kinder müssen sich bislang einer aufwendigen Enzymersatztherapie unterziehen. Die geplante Gentherapie soll ohne einleitende Chemotherapie auskommen. Da keine viralen Genfähren zum Einsatz kommen, sind auch keine Abstoßungsreaktionen zu erwarten – die Therapie kann im Bedarfsfall mehrfach wiederholt werden.
Medienspiegel
Wenn eine Revolution nicht ausreicht
The Atlantic
Wenige Methoden haben die molekularbiologische Forschung so verändert wie die Genschere CRISPR/Cas. Doch für Jennifer Doudna ist dies nicht genug. Die US-Forscherin hat für ihren Anteil an der Entwicklung der CRISPR-Methode im Jahr 2020 den Nobelpreis erhalten. Nun hofft sie, dass die Genschere Millionen von Menschen hilft: Nicht nur in der Medizin, sondern auch in der Diagnostik, Landwirtschaft und bei der Herstellung von biologischen Produkten. Im Magazin The Atlantic führt Doudna aus, was dafür nötig sein wird.