September 2019
Dieser Newsletter von wissensschau.de informiert im Abstand von zwei Monaten über jüngste Entwicklungen bei der Gentherapie und den CAR-T-Zellen.
Klinische Studien
Genschere CRISPR erstmals im menschlichen Körper aktiv
Endpoints
Die US-Firmen Allergan und Editas wollen die Genschere CRISPR/Cas9 für die Behandlung einer seltenen Erbkrankheit einsetzen. Die Lebersche Kongenitale Amaurose löst einen schrittweisen Verlust der Sehfähigkeit aus, der bis zur völligen Erblindung führen kann. CRISPR/Cas9 wird dabei erstmals direkt im menschlichen Körper aktiv. Zuvor wurde nur eine andere Variante der Genscheren, eine Zinkfingernuklease, im Menschen eingesetzt, während eine weitere klinische Studie mit CRISPR/Cas9 die Zellen im Labor behandelt.
Die Genschere soll eine Mutation in dem Gen CEP290 beheben. Dazu wird sie einmalig unter die Netzhaut des Auges injiziert, um auf Photorezeptor-Zellen zu wirken. Insgesamt sollen etwa 18 Patienten zwischen drei und siebzehn Jahren an der Studie teilnehmen. Vier amerikanische Kliniken sind beteiligt, der erste Patient wird voraussichtlich noch in diesem Jahr behandelt.
AIDS mit CRISPR behandelt - erfolglos
STAT
Vor 19 Monaten wurde ein AIDS-Patient in China mit der Genschere CRISPR/Cas9 behandelt: Der Eingriff hatte keine nachteiligen Folgen, konnte die Infektion aber nicht zurückdrängen. Der 27-jährige Mann litt zusätzlich an einer Leukämie, die eine Behandlung mit körperfremden Stammzellen erforderte. Ärzte an der Universität Peking sahen die Chance, Leukämie und AIDS gleichzeitig zu bekämpfen: Sie mutierten in den Stammzellen das Gen CCR5, um die weitere Ausbreitung des HI-Virus zu verhindern.
Allerdings wurden nur 18 % der transplantierten Stammzellen von der Genschere verändert. Im Körper des Patienten sank der Anteil der veränderten Zellen weiter auf 8 % ab - deutlich zu wenig, um HIV wirksam zu bekämpfen. Der Einsatz von CRISPR/Cas9 hatte jedoch keine unerwünschten Nebenwirkungen, so dass die Behandlung wohl an bis zu vier weiteren Patienten getestet wird.
Gentherapie statt Maisstärke als einziges Medikament
University of Connecticut
Eine Gentherapie hilft Menschen mit einer seltenen Stoffwechselkrankheit, die ständig am Rand einer lebensbedrohlichen Unterzuckerung stehen. Ein Enzymdefekt verhindert bei der Von-Gierke-Krankheit, dass die Leber die Zuckerverbindung Glykogen abbauen und Glukose freisetzen kann. Wirksame Medikamente fehlen, nur die regelmäßige Zufuhr von Zucker- oder Stärkelösungen verhindert einen plötzlichen Tod. Forscher an der Universität von Connecticut gelang es nun, das fehlende Enzym mit einem adenoviralen Vektor in die Leber zu transportieren.
Bislang wurden drei Patienten behandelt, deren Stoffwechsel nach einem Jahr den Blutzuckerspiegel wesentlich besser kontrollieren kann. Zwei Patienten müssen deutlich weniger Maisstärke essen, einer kann völlig darauf verzichten. Alle überstehen nun auch längere Fastenphasen, womit erstmals längere ungestörte Schlafphasen möglich werden. Die Patienten werden noch vier weitere Jahre beobachtet, zusätzlich erhalten drei weitere Patienten eine höhere Dosis der Therapie.
Forschung
Neues Ziel für CAR-T-Zellen: Herzschwäche
Nature
Narbengewebe im Herzmuskel verringert die Pumpleistung und erhöht das Risiko von Herzrhythmusstörungen. CAR-T-Zellen können Zellen des Bindegewebes im Herz angreifen, die Narben entfernen und die Funktion des Muskels verbessern. Forscher der Universität Pennsylvania, die auch die Krebstherapie Kymriah entwickelt haben, wollen damit eine Begleiterscheinung vieler Herzerkrankungen lindern.
Die Forscher entwickelten einen Immunrezeptor (CAR) gegen ein Protein, das vor allem auf der Oberfläche dieser Bindegewebszellen vorkommt. Bei Versuchen mit Mäusen konnten diese CAR-T-Zellen das Narbengewebe innerhalb eines Monats deutlich reduzieren und die Funktion des Herzens spürbar verbessern. Vor einer Anwendung am Menschen muss allerdings ausgeschlossen werden, dass die CAR-T-Zellen auch das Bindegewebe anderer Organe angreifen.
Neues, altes Ziel für CAR-T-Zellen: HIV
Science Tanslational Medicine
Lange bevor CAR-T-Zellen ihren Durchbruch in der Krebstherapie erlebten, wurden sie gegen den HI-Virus eingesetzt. Diese Versuche scheiterten jedoch und wurden nie fortgeführt. Dreißig Jahre später nehmen US-Forscher einen neue Anlauf und statten die T-Zellen gleich mit zwei künstlichen Rezeptoren aus: Jeder CAR richtet sich gegen einen anderen Teil eines HIV-Oberflächenproteins. Diesem doppeltem Angriff kann der HI-Virus nur schwer ausweichen.
Erste Tests erfolgten in Mäusen, denen Forscher etwa zeitgleich diese "duoCAR"-T-Zellen und menschliche, HIV-infizierte Zellen verabreichten. Nach einer Woche ließen sich in fünf von sechs Mäusen keine HIV-DNA nachweisen, und auch die duoCAR-T-Zellen waren vor einer Infektion mit HIV geschützt. Die Forscher hoffen, bereits im nächsten Jahr ihren Therapieansatz an einer kleinen Zahl von AIDS-Patienten zu testen.
Industrie
Manipulierte Daten bei der Gentherapie Zolgensma
Endpoints
Die Zulassung der Gentherapie Zolgensma in den USA erfolgte zum Teil mit manipulierten Daten. Die US-Arzneimittelbehörde FDA prüft rechtliche Schritte gegen den Hersteller Novartis, sieht die Genehmigung der Gentherapie aber nicht gefährdet. Die Datenmanipulation trat bei Tierversuchen auf, mit denen der Herstellungsprozess von Zolgensma überwacht wurde. Klinische Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit sind nicht betroffen.
Novartis gibt zwei führenden Mitarbeiter der Firma AveXis die Schuld an der Manipulation. AveXis hatte Zolgensma entwickelt, bevor Novartis die Firma für 8,7 Milliarden US-Dollar übernahm. Die Mitarbeiter wurden mittlerweile entlassen. Allerdings zögerte Novartis lange mit der Benachrichtigung der US-Behörde, vermutlich um den Zulassungsprozess nicht zu gefährden.
Medienspiegel
James Wilson und die Geschichte der Gentherapie
Chemical & Engineering News
James Wilson gehörte zu den Ersten, die eine Gentherapie am Menschen ausprobierten. Im Jahr 1999 kam es dabei auch zum ersten Todesfall: Wilson verlor seine Position, sein Gentherapie-Zentrum wurde aufgelöst und er durfte zehn Jahre lang keine klinischen Studien durchführen.
Heute leitet Wilson wieder ein Labor mit 200 Wissenschaftlern. Er entwickelte neue, bessere virale Vektoren und arbeitet an Gentherapien für dutzende Krankheiten. Die Chemical & Engineering News dokumentiert seine wechselvolle Karriere, und damit auch einen wichtigen Teil der Geschichte der Gentherapie.
Fünf Paare, die auf ein CRISPR-Baby hoffen
New Scientist
Kinder, die von beiden Elternteilen eine Mutation in dem Gen GJB2 erben, entwickeln niemals die Fähigkeit zu hören. Im westlichen Sibirien, wo diese Mutationen häufiger auftreten, leben fünf Paare, bei denen beide Partner betroffen sind. Ihren eigenen Kindern möchten sie dieses Schicksal ersparen - doch mit konventionellen Methoden ist dies unmöglich.
Dies ist eine der seltenen Situationen, bei der die genetische Manipulation von menschlichen Embryonen theoretisch gerechtfertigt sein könnte. Und so will ein Mediziner aus Moskau diesen Paaren helfen, indem er mit der Genschere CRISPR das Erbgut korrigiert und den Kindern ein normales Hören ermöglicht. Dennoch handelt der Arzt verantwortungslos: Noch übersteigen die Risiken den Nutzen um ein Vielfaches.