September 2024
Dieser Newsletter von wissensschau.de informiert im Abstand von zwei Monaten über jüngste Entwicklungen bei der Gentherapie und den CAR-T-Zellen.
Klinische Studien
Zweite Gentherapie erfolgreich bei Hämophilie A
Fierce Biotech
Eine Gentherapie des US-Konzerns Pfizer hat die Symptome der Blutgerinnungsstörung Hämophilie A deutlich gelindert. Bei 50 Behandelten sank die durchschnittliche Zahl der jährlichen Blutungsereignisse von 4,7 auf 1,2. Fast alle Studien-Teilnehmer konnten danach auf eine vorbeugende Substitutionstherapie verzichten. Die Gentherapie wurde überwiegend gut vertragen, auftretende Nebenwirkungen ließen sich wirksam behandeln. Dies gab Pfizer im Juli in einer Pressemitteilung bekannt.
Mit der Gentherapie Roctavian ist bereits seit 2022 ein Konkurrenzprodukt auf dem Markt. Allerdings hat Roctavian bisher nur vier Kunden gefunden (siehe unten), unter anderem weil die Wirkung bereits im zweiten Jahr leicht nachlässt. Um kommerziell erfolgreich zu sein, müsste die Pfizer-Therapie also voraussichtlich eine deutlich längere Wirkdauer nachweisen. Da die aktuelle Studie jedoch nur einen Zeitraum von durchschnittlich 15 Monaten umfasst, wird eine abschließende Beurteilung der Erfolgsaussichten noch länger auf sich warten lassen.
Forschung
CAR-T-Zellen – wirksamer ohne CD5
Science Immunology
CAR-T-Zellen können Tumore besser bekämpfen, wenn Forscher den Immunrezeptor CD5 ausschalten. Die Zellen vermehren sich schneller, überleben länger und können Krebszellen wirksamer zerstören. Bei Mäusen zeigte sich eine erhöhte Aktivität gegen verschiedene Tumore, darunter Prostata- und Bauchspeicheldrüsenkrebs. Die Nebenwirkungen veränderten sich nicht merklich. Forscher der Universität von Pennsylvania veröffentlichten diese Ergebnisse im Juli in Science Immunology.
Das Protein CD5 ist Teil eines wichtigen Signalnetzwerks, der sich auf der Oberfläche von T-Zellen befindet. Es kommt vermehrt auf T-Zell-Lymphomen und -Leukämien vor. Ursprünglich wollten die US-Forscher CD5 in den CAR-T-Zellen ausschalten, um gezielt gegen Lymphome vorzugehen. Erste Versuche zeigten jedoch, dass die CAR-T-Zellen auch gegen andere Tumore wirksamer sind. Demnächst soll die erste klinische Studie mit diesen Zellen beginnen. Teilnehmen werden Menschen mit T-Zell-Lymphomen.
Wirtschaft
Roctavian vorerst nur in drei Ländern erhältlich
BioPharma Dive
Die Gentherapie Roctavian hat die kommerziellen Erwartungen bislang nicht erfüllt: Im zweiten Quartal 2024 wurden nur fünf Patienten mit der Blutgerinnungsstörung Hämophilie A behandelt, alle aus den USA und Italien. Der Hersteller BioMarin sieht sich deshalb zu drastischen Einschnitten gezwungen. So wird Roctavian vorerst nur in Deutschland, Italien und den USA erhältlich sein. Die Produktion ruht und die klinischen Studien müssen ohne neue Teilnehmer auskommen. Das gab die US-Firma im August bekannt.
Ein Grund für den schleppenden Absatz ist die Befürchtung, dass die Wirkung der Therapie nach einigen Jahren nachlässt. Außerdem stehen seit kurzem besser wirksame Hämophilie-A-Medikamente zur Verfügung. Schließlich haben hohe Preisforderungen die Kostenverhandlungen in die Länge gezogen. Das von BioMarin angekündigte Maßnahmenpaket soll die Ausgaben für Roctavian bis 2025 auf 60 Millionen US-Dollar begrenzen. Das Unternehmen erwartet, dass Roctavian dann gegen Ende 2025 profitabel sein wird.
Investoren verlieren Interesse an Gentherapie
Nature Biotechnology
Die Investitionen in Gen- und Zelltherapien brechen deutlich ein: Im ersten Halbjahr 2024 kamen nur 500 Millionen US-Dollar zusammen. Auf das Jahr hochgerechnet wäre dies die niedrigste Summe der letzten 10 Jahre. 2023 lagen die Investitionen noch bei 3,5 Milliarden US-Dollar, im Rekordjahr 2021 sogar bei 8,2 Milliarden US-Dollar. Die Analyse der Finanzdaten wurde im August von Nature Biotechnology veröffentlicht.
Andere Bereiche der Biotechnologie verzeichneten zuletzt wieder höhere Investitionen. Die Gentherapie-Firmen leiden jedoch darunter, dass einige hartnäckige Probleme nach wie vor ungelöst sind. Die Produktion leidet unter hohen Kosten und Lieferengpässen, die Kommerzialisierung zugelassener Therapien verläuft schleppend. Mehrere klinische Studien haben die Erwartungen nicht erfüllt. Das Risikokapital bevorzugt daher derzeit Bereiche, in denen der Erfolg besser vorhersehbar ist.
Neue Zulassungen
Durveqtix gegen Hämophilie B in der EU zugelassen
European Medicines Agency (EMA)
Die Gentherapie Durveqtix des US-Konzerns Pfizer hat im August die Zulassung in der Europäischen Union (EU) erhalten. Sie ist für Erwachsene mit schwerer oder mittelschwerer Hämophilie B bestimmt, die keine Immunreaktion gegen den Faktor IX oder die Genfähre AAV entwickelt haben. Grundlage für die Zulassung war eine Studie, in der 6 von 10 Behandelten mindestens zwei Jahre lang blutungsfrei blieben. Mit Durveqtix sind nun 15 Gentherapien in der EU zugelassen.
Wie lange die Wirkung von Durveqtix anhält, ist noch unklar. Einige Teilnehmer der Zulassungsstudie mussten bereits wieder auf eine vorbeugende Faktor-IX-Therapie zurückgreifen. Die EU-Zulassung gilt daher unter der Bedingung, dass der Hersteller jährlich neue Langzeitdaten zur Wirksamkeit und Sicherheit vorlegt. Bereits seit Februar 2023 ist mit Hemgenix eine weitere Gentherapie gegen Hämophilie B in der EU verfügbar.
Tecelra gegen das Synovialsarkom
BioPharma Dive
US-Behörden haben im August die erste Gentherapie gegen einen soliden Tumor zugelassen. Tecelra hilft körpereigenen Immunzellen, den Krebsmarker MAGE-A4 zu erkennen und das seltene Synovialsarkom zurückzudrängen. In einer Studie bildete sich der Tumor bei 19 von 44 Behandelten teilweise zurück, die durchschnittliche Wirkungsdauer betrug 6 Monate. Die Nebenwirkungen waren in der Regel moderat und gut behandelbar. Der Hersteller Adaptimmune verlangt 727 000 US-Dollar für eine einmalige Behandlung.
Tecelra wirkt ähnlich wie CAR-T-Zelltherapien, allerdings mit zwei wichtigen Unterschieden: Die Gentherapie schleust keinen künstlichen Rezeptor in die Immunzellen ein, sondern eine veränderte Form des natürlichen T-Zell-Rezeptors. Und die erkannten Marker müssen nicht zwingend auf der Oberfläche der Krebszellen sitzen, sondern können im Inneren verborgen sein. Ob dieser Ansatz das Überleben der Behandelten langfristig verlängert, ist noch unklar. Eine Zulassung in der Europäischen Union ist noch nicht beantragt.