Drei Genscheren schneiden das Erbgut – CRISPR/Cas, TALEN, ZFN

Forscher haben natürliche Proteine zu Werkzeugen geformt, die zielgenau in das Erbgut eingreifen. Diese Genscheren sollen Erbkrankheiten heilen, Seuchen bekämpfen und Lebewesen mit besonderen Merkmalen ausstatten.

Zielgenaue Schnitte

genscheren_gentherapie.php

Für neue Erkenntnisse benötigt die Wissenschaft oft auch neue Methoden und Werkzeuge. Dazu zählen die „Genscheren“: Zuerst TALEN und ZFN, etwas später dann CRISPR/Cas1,2. Diese umgewandelten Enzyme verändern das Erbgut – fast nach Belieben und in allen lebenden Zellen.

Eine Reparatur mit Folgen

Etwa seit den 1970er Jahren nutzen Forscher Enzyme, die den DNA-Strang an einer festgelegten Stelle schneiden. Doch erst seit wenigen Jahren können sie auch die Schnittstelle frei wählen. Die neuen Genscheren setzen dabei einen komplizierten, mehrstufigen Prozess in Gang3:

  • die Genscheren schneiden das Erbgut an einer definierten Stelle
  • sie trennen den DNA-Strang dabei vollständig durch (double strand break, DSB)
  • ein DSB aktiviert natürliche DNA-Reparaturmechanismen
  • die Reparatur fügt den DNA-Strang – meist mit kleinen Veränderungen – wieder zusammen

Die Genscheren starten den Prozess – doch letztlich sind es die Reparaturmechanismen, die das Erbgut verändern. Das Ergebnis ist zumindest in Säugetierzellen schwer vorherzusehen, da sie über zwei Arten der DNA-Reparatur verfügen:

Homology-Directed Repair (HDR)

Die HDR-Reparatur nutzt eine homologe Vorlage, um den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen. Unter natürlichen Bedingungen dient meist das Partnerchromosom als Vorlage, da es in der Regel die identische DNA-Sequenz aufweist. Forscher können aber auch künstliche Vorlagen anbieten und so die DNA auf beliebige Weise verändern.

Grundsätzlich lassen sich auf diese Weise einzelne DNA-Basen austauschen, größere Teile des Gens entfernen oder neue Sequenzen einfügen. In der Praxis sind diese Möglichkeiten jedoch nur eingeschränkt verfügbar: Der HDR-Mechanismus ist meist nur während der Zellteilung aktiv. Und auch dann konkurriert er noch mit dem zweiten Reparaturprozess (siehe unten). Die präzise Manipulation von Genen ist mit dem HDR-Mechanismus zwar möglich, aber nur wenig effizient.

Non-Homologous End Joining (NHEJ)

Auch der NHEJ-Mechanismus fügt freie DNA-Enden wieder zusammen, allerdings in der Regel mit zahlreichen Fehlern: An der Schnittstelle gehen einzelne DNA-Basen verloren, manchmal werden auch neue eingefügt. Diese Kombination von Einfügungen (Insertionen) und Verlusten (Deletionen) wird als „Indel“ bezeichnet. Treten Indel-Mutationen in der Sequenz von Genen auf, verlieren diese anschließend häufig ihre Funktion. Diese Form der DNA-Reparatur ist in den meisten Zelltypen dominant. Der Einsatz von Genscheren hat daher meist zur Folge, dass die Aktivität von Genen ausgeschaltet wird.

CRISPR/Cas – anpassungsfähig und unkompliziert

Von den drei Genscheren ist CRISPR/Cas sicherlich der bekannteste Vertreter, spätestens seit dem Nobelpreis für die Entdeckerinnen Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier im Jahr 2020. Die Bezeichnung CRISPR/Cas beschreibt ein System, das aus zwei variablen Teilen besteht.

Den ersten Bestandteil bildet ein Enzym, das zur Gruppe der Cas-Proteine gehört. Häufig handelt es sich dabei um die Variante Cas9 aus dem Bakterium Streptococcus pyogenes. Cas-Proteine besitzen eine Nuklease-Aktivität – sie schneiden den DNA-Strang des Erbguts vollständig durch.

Der zweite Bestandteil von CRISPR/Cas ist ein RNA-Molekül. Dieses bindet an eine genau definierte Stelle des Erbguts und zeigt der Cas-Nuklease, wo der Schnitt erfolgen soll. Das RNA-Molekül ist austauschbar und wird für jede Anwendung neu hergestellt.

Die RNA-Moleküle sind billig und lassen sich leicht in jeder beliebigen Form erzeugen. Das ist ein entscheidender Vorteil: Jede Forschergruppe auf der Welt kann mit CRISPR/Cas arbeiten, auch wenn sie nur über geringe Vorkenntnisse und bescheidene Mittel verfügt.

In den letzten Jahren wurde das CRISPR/Cas-System stetig weiterentwickelt. Manche Varianten lassen die Gene unverändert, beeinflussen aber deren Aktivität – sie wirken wie epigenetische Faktoren4. Andere Cas-Varianten erzeugen keinen Bruch im DNA-Strang, sondern tauschen einzelne Basen (base editing) oder längere Sequenzen (prime editing) aus. Erst base und prime editing lösen das ursprüngliche Versprechen der Genscheren ein: Sie können das Erbgut nach Belieben verändern.

ZFN – klein, aber arbeitsintensiv

Obwohl CRISPR/Cas die meiste Aufmerksamkeit erhält, ist es nicht die erste Genschere, die Forscher entwickelt haben. Diese Ehre gebührt einem synthetischen Protein, das als Zinkfingernuklease (ZFN) bezeichnet wird. Eine ZFN ist ein Molekül, das aus der Fusion zweier natürlicher Proteine entsteht: einem Zinkfinger-Protein und der Nuklease FokI. Zinkfinger-Proteine binden an die DNA und regulieren häufig die Aktivität von Genen. Die Nuklease FokI stammt aus dem Bakterium Flavobakcerium okeanokoites und kann einen DNA-Strang vollständig durchtrennen.

Im Gegensatz zu CRISPR/Cas besteht die ZFN-Genschere also nur aus einem Teil: Das Protein erkennt sein Ziel im Erbgut und schneidet es auch direkt. Es ist sehr klein, was für manche Anwendungen von Vorteil ist. Allerdings muss das Protein für jede Anwendung neu konstruiert werden – ein erheblicher Aufwand an Zeit und Geld. Der Einsatz der ZFN bleibt daher meist wenigen Speziallabors vorbehalten.

TALEN – präzise, aber groß

Die dritte Variante der Genscheren wird TALEN (transcription activator-like effector nucleases) genannt. Es ist ebenfalls ein synthetisches Molekül, das Teile zweier natürlicher Proteine enthält. Die Erkennung der DNA-Zielsequenz erfolgt durch das TAL-Protein aus dem Pflanzenpathogen Xanthomonas. Der Schnitt durch den DNA-Strang erfolgt – genau wie bei den ZFN – durch die FokI-Nuklease.

Im Vergleich zu ZFN haben TALEN den Vorteil, dass die Bindungsstelle für DNA deutlich länger ist. TALEN arbeiten daher in der Regel auch präziser und vermeiden unerwünschte Schnitte außerhalb der Zielsequenz (off-target). Aber auch ihre Herstellung ist so aufwendig, dass sie nur in wenigen Labors zum Einsatz kommen..

Genscheren haben viele Anwendungen.

Genscheren sind ein Produkt der Grundlagenforschung, und in diesem Bereich haben sie auch die größte Wirkung erzielt. Ihr Einsatz hat dazu beigetragen, die Funktion und das Zusammenspiel der Gene wesentlich besser zu verstehen. Genscheren werden aber auch in vielen Anwendungen erprobt, die unser tägliches Leben betreffen.

Behandlung von Erbkrankheiten und Krebs

Genscheren können das menschliche Erbgut dauerhaft verändern. Ihr Einsatz hat daher das Potenzial, zahlreiche Erbkrankheiten, Krebs und die Infektionskrankheit AIDS zu behandeln. Einige Studien laufen bereits, vor allem mit CRISPR/Cas. Der Eingriff ins Erbgut kann entweder im Labor über Stammzellen erfolgen, oder die Genschere wird direkt im Körper des Behandelten aktiv.

Umstritten ist hingegen ein Einsatz in der Keimbahntherapie. Genscheren sollen hier das Erbgut von Ei- und Samenzellen verändern. Die Folgen betreffen nicht nur die behandelte Person, sondern auch alle nachfolgenden Generationen. Ein chinesischer Forscher hatte 2018 im Alleingang versucht, zwei Kinder dauerhaft vor einer HIV-Infektion zu schützen. Der letztlich gescheiterte Versuch hatte weltweit für Empörung gesorgt.

Pflanzen und Tiere mit erwünschten Eigenschaften

Ein weiteres wichtiges Anwendungsgebiet ist die Herstellung gentechnisch veränderter Pflanzen. Im Gegensatz zu bisherigen Verfahren hinterlässt der Eingriff mit einer Genschere nur geringe Spuren, die Pflanzen unterscheiden sich kaum von natürlich gezüchteten5. Die Hersteller von Saatgut hoffen, dass diese Pflanzen auf eine höhere Akzeptanz stoßen. Viele Sorten stehen kurz vor der Zulassung, in Japan sind mit CRISPR/Cas veränderte Tomaten bereits im Handel erhältlich1.

Genscheren können auch in Tieren Eigenschaften verstärken, die für die Haltung oder Zucht von Vorteil sind. Bereits weiter fortgeschritten sind beispielsweise Versuche, Kühe mit einem dickeren Fell auszustatten, um sie widerstandsfähiger gegen niedrige Temperaturen zu machen6.

Gene Drive zur Ausrottung der Malaria

Sehr umstritten ist ein bisher unerprobter Ansatz, das Erbgut freilebender Tiere zu verändern. Ziel dieses sogenannten gene drive kann die vollständige Ausrottung einer Tierart sein. CRISPR/Cas soll auf diese Weise dazu beitragen, den Kampf gegen Malaria-Erreger zu unterstützen. Die Vorbereitungen laufen bereits, erste Vorversuche könnten zumindest theoretisch bald beginnen.

1 Wang und Doudna, CRISPR technology: A decade of genome editing is only the beginning, Science, Januar 2023 (Link)
2 Dobner et al., Genome Editing in Translational Medicine: An Inventory, Frontiers in Bioscience, August 2022 (Link)
alle Referenzen anzeigen 3 Zhou et al., Current landscape of gene-editing technology in biomedicine: Applications, advantages, challenges, and perspectives, MedComm, Juni 2022 (Link)
5 Forum Bio- und Gentechnologie e.V., CRISPR, TALEN, Zinkfinger: Genome Editing im Überblick, transgen.de, Stand Oktober 2021 (Link)
4 Gjaltema und Rots, Advances of epigenetic editing, Current Opinion in Chemical Biology, Juni 2020 (Link)
6 Federal Drug Agency (USA), FDA Makes Low-Risk Determination for Marketing of Products from Genome-Edited Beef Cattle After Safety Review, Pressemitteilung, März 2022 (Link)

Zielgenaue Schnitte

genscheren_gentherapie.php
Genscheren verändern Gene fast nach Belieben.

Genscheren: CRISPR & Co

  • Drei Genscheren schneiden das Erbgut – CRISPR, TALEN, ZFN mehr...
  • CRISPR/Cas verändert das Erbgut mehr...
  • In-vivo-Therapien: CRISPR/Cas im menschlichen Körper mehr...
  • Therapien mit CRISPR/Cas – außerhalb des Körpers mehr...
  • Genscheren gegen AIDS und Blutkrebs mehr...
Genscheren: CRISPR & Co
  • Drei Genscheren schneiden das Erbgut – CRISPR, TALEN, ZFN mehr...
  • CRISPR/Cas verändert das Erbgut mehr...
  • In-vivo-Therapien: CRISPR/Cas im menschlichen Körper mehr...
  • Therapien mit CRISPR/Cas – außerhalb des Körpers mehr...
  • Genscheren gegen AIDS und Blutkrebs mehr...
Gentherapie

⇒ Allgemein

  • Gentherapie – hartnäckige Probleme gefährden den Erfolg mehr...
  • Warum sind Gentherapie so teuer? mehr...
  • Warum dauert die Entwicklung so lange? mehr...
  • Genfähren: Viren ermöglichen die Gentherapie mehr...

⇒ Zugelassene Therapien

  • Zolgensma – spinale Muskelatrophie mehr...
  • Strimvelis – tödliche Immunschwäche ADA-SCID mehr...
  • Luxturna – frühkindliche Erblindung mehr...
  • Libmeldy – metachromatische Leukodystrophie mehr...
  • Upstaza – AADC-Mangel mehr...
  • Roctavian – Hämophilie A mehr...
  • Hemgenix – Hämophilie B mehr...

⇒ Mögliche Anwendungen

  • Elevidys – Duchenne Muskeldystrophie mehr...
  • Casgevy – Sichelzellkrankheit und ß-Thalassämie mehr...
  • Vyjuvek – Schmetterlingskrankheit mehr...
  • Lumevoq gegen erbliche Erblindung mehr...
  • Gentherapien sollen das Herz stärken mehr...
  • Gentherapie für Parkinson und Alzheimer mehr...
  • Genscheren gegen AIDS und Blutkrebs mehr...

⇒ Zurückgezogene Therapien

  • Zynteglo – ß-Thalassämie mehr...
  • Skysona – zerebrale Adrenoleukodystrophie mehr...
  • Glybera – die erste Gentherapie scheiterte rasch mehr...
Genomforschung

⇒ Aufbau des Erbguts

  • Chromosomen und Chromatin mehr...
  • Das Gen - ein überholtes Konzept? mehr...
  • Nicht-codierende DNA mehr...
  • Das Genom als RNA-Maschine mehr...
  • Das ENCODE-Projekt mehr...
  • Der genetische Code mehr...
  • Evolution des genetischen Codes mehr...
  • Single Nucleotide Polymorphism (SNP) mehr...

⇒ Wissenswertes

⇒ Epigenetik

Kurz und knapp

  • Genscheren schneiden DNA-Stränge an genau definierten Stellen
  • der Schnitt löst Reparatur-Mechanismen aus, die die DNA-Sequenz verändern
  • Genscheren bewirken meist, dass ein Gen abgeschaltet wird
  • das CRISPR/Cas-System ist sehr flexibel und unkompliziert
  • die Herstellung von ZFN und TALEN ist sehr aufwendig
  • neue Varianten von CRISPR/Cas ermöglichen die zielgerichtete Veränderung der DNA
OK

Diese Webseite verwendet Cookies, die für das Bereitstellen der Seiten und ihrer Funktionen technisch notwendig sind.    Info