Humangenomprojekt gegen Celera – der Wettlauf um das menschliche Erbgut

Mehr als zehn Jahre Arbeit und rund drei Milliarden US-Dollar waren nötig, um (fast) alle DNA-Buchstaben des menschlichen Erbguts zu entziffern. Es war auch ein Wettlauf zwischen zwei unterschiedlichen Prinzipien – freie Forschung oder kommerzielle Verwertung?

Die Sequenz des menschlichen Erbguts wurde durch das Humangenomprojekt entziffert
Bild: Darryl Leja, NHGRI)

Mitte der 1980er Jahre entwickelten US-amerikanische Forscher den ehrgeizigen Plan, das Erbgut des Menschen vollständig zu entziffern. Für Biologen, bis dahin fast nur in kleinen Gruppen aktiv, war dies ein ungewohntes Mammutprojekt mit ungewissen Erfolgsaussichten. Dass es am Ende schneller ging als gedacht, hatte auch mit der Rivalität zwischen öffentlicher und kommerzieller Forschung zu tun.

Auf der einen Seite stand das Humangenomprojekt. Der lockere Verbund von Universitäten und Forschungsinstituten wurde durch öffentliche Gelder finanziert – daher sollten auch die Ergebnisse frei zugänglich sein. Angeführt wurde das Projekt von US-amerikanischen Instituten, auch Großbritannien leistete einen erheblichen Beitrag. Etwa 30 weitere Länder – darunter Deutschland – steuerten ebenfalls kleinere Teile dazu bei.

Acht Jahre Arbeit für drei Prozent des Erbguts

Angeführt wurde das Humangenomprojekt anfangs von James Watson, der durch seine Rolle bei der Aufklärung der DNA-Struktur weltweit bekannt war. Er wurde jedoch bald durch einen anderen prominenten Forscher abgelöst: Francis Collins hatte die Ursache der Erbkrankheit Mukoviszidose gefunden und führt noch heute die Nationalen Gesundheitsinstitute (NIH) der USA an.

Im Jahr 1990 machten sich die Forscher an die Arbeit. Sie zerteilten das menschliche Erbgut erst in Fragmente von etwa 150 000 DNA-Buchstaben auf und erstellten dann eine Karte, die die Lage dieser Bruchstücke im Genom verzeichnet1. Erst dann wurden die Fragmente einzeln sequenziert und am Ende wieder zusammengesetzt. Dieses Vorgehen versprach hohe Genauigkeit, war aber auch mühsam und zeitaufwändig: Nach acht Jahren war erst ein kleiner Bruchteil des Genoms entziffert. Das Ziel, bis 2005 mit der Arbeit fertig zu sein, schien auf diesem Weg kaum erreichbar.

Etwa zu diesem Zeitpunkt trat der US-Forscher Craig Venter mit einer vollmundigen Ankündigung ins Rampenlicht: Er wollte das menschliche Erbgut innerhalb von drei Jahren entziffern, quasi im Alleingang. Zuvor hatte er bereits das Genom eines Bakteriums sequenziert, ohne dabei die aufwändige Kartierung der Fragmente vorzunehmen. Diesen Ansatz wollte Venter auf den Mensch übertragen und viele kleine Bruchstücke von wenigen hundert DNA-Buchstaben sequenzieren, die erst später am Computer zusammengesetzt werden sollten2.

Das Erbgut als Privateigentum

Venter gründete zu diesem Zweck die Firma Celera Genomics, die mit 300 automatischen DNA-Sequenziermaschinen der neuesten Generation ausgestattet war – damals eine beeindruckende Schlagkraft. Damit sich diese Investition auch lohnt, sollten (angeblich bis zu 6500) Patente auf menschliche Gene ausreichend Einnahmen über Lizenzen und Gebühren erzeugen. Ein guter Teil der menschlichen Erbinformation wäre quasi Privateigentum geworden. Für die Forscher der öffentlichen Institute eine Horrorvorstellung.

Es begann ein intensiver Wettlauf. Das Humangenomprojekt erhöhte sein Tempo, die Forscher arbeiteten Tag und Nacht. Auch Celera Genomics erzeugte in dieser Zeit viele Daten, stieß aber auf eine große Hürde: Das Zusammensetzen der Fragmente erwies sich als extrem schwierig. Das menschliche Erbgut besteht aus vielen Wiederholungen – für einen Computer war es unmöglich, die winzigen Bruchstücke in die richtige Reihenfolge zu bringen. Celera war ohne die Daten des Humangenomprojekts aufgeschmissen.

Am Ende einigten sich die Rivalen auf einen Waffenstillstand: Am 26. Juni 2000 veröffentlichten beide Parteien ihre jeweiligen Versionen und erklärten, dass das menschliche Erbgut entziffert sei. Die wissenschaftlichen Veröffentlichungen folgten im Februar 2001 und lieferten die Grundlage für das sogenannte Referenzgenom4,5: Ein Konstrukt, das aus den Daten mehrerer Spender zusammengesetzt ist. Es umfasst etwa 3,2 Milliarden DNA-Buchstaben, die nach heutigem Stand etwa 20 000 Gene beinhalten. Die Gesamtkosten beliefen sich auf etwa drei Milliarden US-Dollar für das Humanprojekt, Celera Genomics hat ungefähr 300 Millionen US-Dollar an Investitionen erhalten.

Noch immer große Lücken

Ganz vollständig ist das Referenzgenom allerdings noch nicht: Die aktuelle Version vom März 2019 weist 875 Lücken auf, die etwa 160 Millionen DNA-Buchstaben umfassen6. Die Lücken liege vor allem an den Enden und den Mitten der Chromosomen, wo schwer zugängliche Bereiche – das sogenannte Heterochromatin – die Sequenzierung der DNA fast unmöglich machen. Dieses Problem war jedoch von Anfang an bekannt und fällt kaum ins Gewicht, da die entscheidenden Teile der Erbinformation (das Euchromatin) quasi vollständig entschlüsselt sind.

Und so gilt das Humangenomprojekt seit April 2003 als offiziell abgeschlossen. Es hatte seine zwei wichtigsten Ziele erreicht: Die Sequenz des menschlichen Erbguts zu entziffern und der Öffentlichkeit den freien Zugang zu sichern. Es hat den Weg für Folgeprojekte geebnet, die die Biologie des Erbguts weiter erforschen. Zu den wichtigsten gehört das ENCODE-Projekt, das die Funktion der einzelnen Abschnitte im Erbgut näher bestimmen soll, und die Genome Aggregation Database (gnomAD)7, die die genetische Variation des Menschen dokumentiert.

Große Auswirkungen auf die Forschung, wenig auf die Medizin

Nicht nur diese Projekte zeigen den großen Einfluss, den das Humangenomprojekt auf die Grundlagenforschung hatte. Viele Untersuchungen und Methoden, die zuvor nur wenigen Spezialisten zugänglich waren, gehören nun in vielen biologischen Labors zur Routine. Und auch im Alltag sind die Fortschritte längst angekommen. In den USA nutzen bereits Millionen von Menschen die Gentests von 23andMe und Ancestry, die ohne das Referenzgenom nicht denkbar wären.

Hinter den Erwartungen zurück blieb jedoch die Entwicklung einer personalisierten Medizin. 1999 hat Francis Collins vorhergesagt, dass die Auswertung von DNA-Analysen bis etwa 2015 zu tiefgreifenden Veränderungen in der Medizin führen werden8. Die genetischen Informationen sollten bessere Diagnose, genauere Vorhersagen und besseren Einsatz der Medikamente und wirksamere Therapien ermöglichen. Davon ist bis heute nur wenig zu spüren: Das Wechselspiel zwischen Erbgut und Krankheiten erwies sich als wesentlich schwieriger als gedacht.

Dennoch bleibt die Entzifferung des menschlichen Erbguts ein Meilenstein der Forschung, deren volle Auswirkungen wohl erst in vielen Jahren beurteilt werden können. Und den Anstrengungen des Humangenomprojekts ist es zu verdanken, dass die Öffentlichkeit ungehindert davon profitiert.

1 Wellcome Trust Sanger Institure, The Human Genome Project: a new reality, Januar 2013 (Link)
2 M. Nauerth, Das Buch des Lebens lesen und verstehen, Max-Planck-Gesellschaft, April 2020 (Link)
alle Referenzen anzeigen 4 Lander et al., Initial Sequencing and Analysis of the Human Genome, Nature, Februar 2001 (Link)
5 Venter et al., The Sequence of the Human Genome, Science, Februar 2001 (Link)
6 Genome Reference Konsortium, Human Genome Assembly GRCh38.p13, Veröffentlichung März 2019 (Link)
7 D. Church, Thousands of human sequences provide deep insight into single genomes, Nature, Mai 2020 (Link)
8 F. Collins, Medical and Societal Consequences of the Human Genome Project, New England Journal of Medicine, Juli 1999 (Link)
Die Sequenz des menschlichen Erbguts wurde durch das Humangenomprojekt entziffert
Bild: Darryl Leja, NHGRI)

Aufbau des Erbguts

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  • Das Gen - ein überholtes Konzept? mehr...
  • Nicht-codierende DNA mehr...
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Wissenswertes

Epigenetik

Genomforschung

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Kurz und knapp

  • Mitte der 1980er Jahre entwickelten US-Forscher den Plan, das gesamte menschliche Erbgut zu entziffern
  • 1990 startete die Arbeit des Humangenomprojekts, in dem sich öffentliche Institute und Universitäten locker verbanden
  • wesentliches Ziel war es, die Erbinformation öffentlich zugänglich zu machen
  • 1998 konnte das Humangenomprojekt erst drei Prozent des Erbguts entziffern
  • ebenfalls 1998 gründete Craig Venter die Firma Celera Genomics, die mit neuen Methoden und Maschinen das Humangenomprojekt überholen wollte
  • Celera Genomics wollte weite Teile des Erbguts patentieren und mit Lizenzen und Gebühren Geld verdienen
  • im Sommer 2000 verkündete das Humangenomprojekt zeitgleich mit Celera Genomics die ersten Entwürfe der menschlichen Erbinformation
  • ein Hauptziel des Humangenomprojekts – der freie Zugang zur Erbinformation – war damit gesichert
  • 2003 wurde das Humangenomprojekt für abgeschlossen erklärt
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