Mai 2019
Dieser Newsletter von wissensschau.de informiert im Abstand von zwei Monaten über jüngste Entwicklungen bei der Gentherapie und den CAR-T-Zellen.
Klinische Studien
CAR-T-Zellen gegen solide Tumore
American Association for Cancer Research
CAR-T-Zellen sind bei Blutkrebs sehr erfolgreich, in festen Geweben bleiben sie jedoch meist wirkungslos. Zwei neue Studien berichten nun von Fortschritten. Forscher aus Texas testeten CAR-T-Zellen gegen den Tumormarker HER2 an 10 Patienten, die an hartnäckigen Sarkomen litten. Bei immerhin zwei Betroffenen zeigten sich anhaltende Erfolge: Die Tumore sind seit 17 bzw. 32 Monaten nicht mehr auffindbar.
In New York entwickelten Forscher CAR-T-Zellen gegen den Tumormarker Mesothelin, der Mesotheliome und andere solide Krebsarten kennzeichnet. Um Reaktionen gegen Mesothelin auf normalem Gewebe zu unterbinden, wurden die Zellen zudem mit einem "Selbstmord-Schalter" ausgestattet. Bei ersten Tests mit 21 Patienten deutete sich häufig ein Rückzug des Tumors an - allerdings war der Beobachtungszeitraum noch zu kurz für endgültige Aussagen.
Gentherapie behebt schwere Immunschwäche
New England Journal of Medicine
Bei der seltenen Erbkrankheit SCID-X1 fehlen wichtige Immunzellen, betroffene Kinder können sich nur schwer gegen Infektionen wehren. Forscher am St. Jude Kinderkrankenhaus in Memphis haben einen lentiviralen Vektor entwickelt, der den Defekt im Erbgut behebt und den Immunzellen die Entwicklung ermöglicht. Erste Daten von acht Kindern zeigen Erfolge, die beinahe einer Heilung gleichkommen.
In den meisten Fällen hatte sich die Zahl der Immunzellen bereits nach vier Monaten normalisiert. Nach im Mittel etwa 16 Monaten weisen alle Kinder ein weitgehend funktionsfähiges Immunsystem auf, drei Kinder haben sogar erfolgreich eine Impfung erhalten. Die Resultate sind ähnlich vielversprechend wie bei der Gentherapie Strimvelis, die in Europa für die Immunschwäche ADA-SCID zugelassen ist. Die Lizenz für die SCID-X1-Therapie hat das St. Jude nun an die US-Firma Mustang Bio vergeben.
CAR-T-Zellen mit weniger Nebenwirkungen
Nature Medicine
Eine CAR-T-Zelltherapie hat oft schwere Nebenwirkungen: Die massive Freisetzung von Botenstoffen erzeugt einen "Zytokinsturm" und beschädigt viele Organe, zudem kann das Gehirn anschwellen. Die Folgen sind mitunter tödlich. Kalifornische Forscher gingen der Frage nach, ob Modifikationen am chimaeric antigen receptor (CAR), dem Herzstück der Therapie, die Nebenwirkungen lindern könnten.
Als Ausgangspunkt wählten die Forscher den CAR, den Novartis in der Therapie Kymriah einsetzt. Durch das Einfügen neuer Sequenzen entstand eine Variante, die an 25 Patienten in China getestet wurde - es traten weder ein Zytokinsturm noch Neurotoxizität auf. Dennoch ging bei sechs von elf Patienten, die eine therapeutische Dosis erhielten, das Lymphom vollständig zurück. Zur Absicherung dieser Ergebnisse sind allerdings noch längere Studien mit deutlich mehr Patienten notwendig.
Forschung
Genschere heilt tödliche Krankheit vor der Geburt
Science Translational Medicine
Gentherapien könnten die Folgen von Erbkrankheiten auf ein Mindestmaß reduzieren, wenn sie bereits im Mutterleib erfolgen. In Mäusen wird dabei auch der Einsatz der Genschere CRISPR getestet. Forscher der Universität von Pennsylvania nutzen diese bei einem seltenen Gendefekt: Das Fehlen des Proteins SP-C führt nach der Geburt zum Kollaps der Lunge, mit meist tödlichen Folgen.
Die Forscher verpackten die Genschere in einen Virus, den sie schwangeren Mäusen in die Plazenta injizierten. Über die amniotische Flüssigkeit gelangte CRISPR in die Lungen der ungeborenen Tiere und drang in die äußere Epithelschicht ein. Ein Mangel an SP-C führt bei Mäusen unweigerlich zum Tode, aber nach der Genkorrektur überlebte gut ein Fünftel der Neugeborenen. Auch bei der wesentlich häufigeren Mukoviszidose könnte dieser Ansatz hilfreich sein.
Folgen eines Herzinfarkts rückgängig gemacht
Nature
Die Folgen eines Herzinfarkts sind irreparabel, da sich die Muskelzellen weder vermehren noch das Gewebe regenerieren können. Forschern aus London gelang es nun erstmals, die Folgeschäden eines Infarkts in einem großen Säugetier zu beheben. Sie nutzten dazu ein kleines RNA-Molekül, das die Aktivität von Genen steuert und Herzzellen zum Wachstum anregt.
Die Forscher lösten bei Schweinen einen Herzinfarkt aus und transportierten anschließend die microRNA-199a mit einen AAV-Vektor direkt in das Herz. Nach einem Monat hatte sich die Herzleistung deutlich verbessert, zudem war die Muskelmasse erhöht und das Narbengewebe verringert. Allerdings vermehrten sich die Herzzellen ungebremst weiter - die meisten Schweine verstarben aufgrund gestörter Herzfunktionen. Vor einer Anwendung am Menschen muss daher ein Weg gefunden werden, die Aktivität der microRNA zeitlich zu begrenzen.
Industrie
Zolgensma in den USA zugelassen
STAT News
Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde hat der Gentherapie Zolgensma die Zulassung erteilt. Der Hersteller Novartis hat den Preis auf 2,1 Millionen US-Dollar festgelegt, zahlbar in fünf Jahresraten. Zolgensma gilt damit als teuerstes Medikament der Welt. Der Preis liegt aber gerade noch innerhalb der Spanne, die das unabhängige US-Institut ICER als kosteneffizient eingestuft hat.
Zolgensma behebt einen Gendefekt bei der spinalen Muskelatrophie, die bereits im Kleinkindalter tödlich verlaufen kann. Jüngste Daten hatten bestätigt, dass die Gentherapie das Überleben verlängert und die Entwicklung beschleunigt. Analysten erwarten einen harten Wettbewerb mit dem Konkurrenzprodukt Spinraza, das eine vergleichbare Wirkung hat - allerdings zu langfristig noch höheren Kosten.
Zynteglo in Europa vor der Zulassung
European Medicines Agency
Ein Gremium der europäischen Arzneimittel-Agentur hat empfohlen, die Gentherapie Zynteglo für die Behandlung der Erbkrankheit ß-Thalassämie zuzulassen. Die Anwendung beschränkt sich vorerst auf Patienten über 12 Jahre, die regelmäßig Bluttransfusionen benötigen und für die kein passender Stammzellspender bereit steht. Die endgültige Entscheidung liegt bei der EU-Kommission und wird für die nächsten Monate erwartet. In der Regel folgt die EU der Empfehlung des Gremiums.
Zynteglo wurde unter dem Namen Lentiglobin von der US-Firma Bluebird Bio entwickelt. Die Gentherapie beruht auf einem lentiviralen Vektor, der in Blutstammzellen einen Defekt in dem Gen ß-Globin ausgleicht. Die ersten Studien verliefen erfolgreich: Acht von zehn Patienten waren nach der Behandlung nicht mehr auf Transfusionen angewiesen. Eine Zulassung wäre jedoch an die Bedingung geknüpft, dass die Wirksamkeit noch in größeren Studien zweifelsfrei nachgewiesen wird.
Medienspiegel
Wie beziffert sich der Nutzen einer Gentherapie?
Xconomy
Hohe Kosten sorgen bei Gentherapien für kontroverse Diskussionen, und mitten drin findet sich Steven Pearson. Als Gründer des Institute for Clinical Economic Review (ICER) in Boston redet er ein gewichtiges Wort mit, wenn in den USA über die Preise von Medikamenten gestritten wird. In einem Interview mit der US-Nachrichtenseite Xconomy streift er auch die Frage, wie man den Nutzen einer Gentherapie in Zahlen fasst. Allgemein akzeptierte Maßstäbe - für den persönlichen wie auch für den gesellschaftlichen Wert - bleiben Mangelware. Und laut Pearson ist auch nicht alles quantifizierbar.