CRISPR/Cas verändert das Erbgut – in Bakterien und Menschen

Die Genschere CRISPR/Cas schützt Bakterien vor dem Befall durch Viren. Forscher nutzen sie, um das Erbgut von Menschen und Tieren fast beliebig zu verändern.

Gen-Schere CRISPR/Cas9

Mit Hilfe eines RNA-Moleküls schneidet die Cas9-Nuklease den DNA-Strang an einer definierten Stelle

Im Jahr 1987 machten japanische Forscher eine merkwürdige Entdeckung: Im Erbgut von Bakterien stießen sie auf Bereiche, die voller Wiederholungen steckten. Daraus entstand eine Methode, die bald große Bekanntheit erlangte – die Bereiche, nun CRISPR genannt, erlauben die präzise Manipulation des Erbguts1.

Die Wissenschaftlerinnen Jennifer Doudna und Emanuelle Charpentier wurden dabei weltberühmt – und im Jahr 2020 mit Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet2. Sie begriffen als erste, dass die CRISPR-Sequenzen – zusammen mit einem Enzym namens Cas9 – die Manipulation des Erbguts erlauben. Jedes Gen kann damit auf fast beliebige Weise verändert werden: Einzelne DNA-Buchstaben werden ausgetauscht, Teile des Gens gelöscht oder durch neue Bereiche ergänzt. Und das mit einer Effizienz und Leichtigkeit, von der Forscher zuvor nur zu träumen wagten.

Seltsame DNA-Sequenzen

Anfangs hatte nur wenig auf diesen Durchbruch hingedeutet. In den 1980er Jahren konnten die Forscher noch nicht ahnen, dass sie auf eine Art Immunsystem der Bakterien gestoßen waren3. Sie wunderten sich nur über den seltsamen Aufbau dieser DNA-Sequenzen, die sie mit den Worten „clustered regularly interspaced short palindromic repeats“ beschrieben – abgekürzt CRISPR.

Erst im Jahr 2005 fiel auf, dass Teile der CRISPR-Sequenzen nicht aus den Bakterien selber, sondern offenkundig aus Viren stammten. Teile der Viren-Gene mussten Eingang in das Erbgut der Bakterien gefunden haben. Der Zufall war aber sicher nicht im Spiel: Dazu wiesen die viralen Sequenzen eine viel zu regelmäßige und geordnete Struktur auf.

Immunsystem der Bakterien

Im Jahr 2006 kamen Forscher auf den Gedanken, dass die CRISPR-Sequenzen eine Erinnerung an zurückliegende Viren-Infektionen darstellen könnten4. Bei erneutem Befall würden die Sequenzen aktiviert und in RNA-Moleküle umgeschrieben, die dann das Erbgut der eingedrungenen Viren aufspüren können.

Doch RNA-Moleküle allein reichen nicht aus, um einen wirkungsvollen Schutz vor Viren aufzubauen. Sie benötigen die Unterstützung eines Enzyms namens Cas9, das als sogenannte Nuklease fungiert: Es schneidet DNA-Stränge in kleinere Stücke. Mit der Hilfe der RNA kann Cas9 das Erbgut der Viren aufspüren und zerstückeln – der Angriff der Viren ist damit abgewehrt. 2007, also 20 Jahre nach der Entdeckung der seltsamen Sequenzen, gelang erstmals der Nachweis, dass das CRISPR/Cas9 System ein Immunsystem der Bakterien ist5.

Der große Vorteil von CRISPR/Cas9

An diesem Zeitpunkt kamen die Wissenschaftlerinnen Doudna und Charpentier auf eine bahnbrechende Idee6: Warum nicht dieses System für eigene Zwecke nutzen? Das Prinzip der Genscheren war zwar bereits verwirklicht, und die ersten beiden Varianten ZFN und TALEN fanden schon rege Anwendung. Doch das System aus CRISPR und Cas9 hatte einen großen Vorteil: Es war in zwei Komponenten aufgeteilt. Das Protein Cas9 war universell einsetzbar, und RNA-Moleküle – die an Stelle von CRISPR das Ziel definieren – können schon für wenig Geld bei spezialisierten Firmen bestellt werden.

Eine wichtige Frage blieb noch offen: Funktioniert das bakterielle CRISPR/Cas9 auch in menschlichen Zellen? Anfang 2013 erschienen drei Studien, die dies eindeutig zeigten – mit dabei waren erneut Doudna und Charpentier7-9. Damit war der Damm gebrochen – CRISPR/Cas9 zog seinen Siegeszug durch Labore in aller Welt an. Folgerichtig wählte das renommierte Wissenschaftsmagazin Science diese Technologie – deren Name mittlerweile meist zu CRISPR verkürzt ist – zum Durchbruch des Jahres 201510.

Kontroverse Anwendungen

CRISPR/Cas9 steht jedoch auch im Zentrum vieler ethischer Kontroversen. Die Technologie ermöglicht etwa die Verwirklichung eines Gene Drive, mit dem ganze Populationen von wildlebenden Tieren genetisch verändert werden können. Und auch die Ängste vor der Manipulation des menschlichen Erbguts sind wieder aufgeflammt: Das Designer-Baby wird – zumindest in technischer Hinsicht – eine reelle Möglichkeit.

Doch die Genschere kann auch zu neuen Therapien führen, die nicht nur einen Notbehelf, sondern eine wirkliche Reparatur ermöglichen11. Ein erster Schritt dahin ist bereits erfolgt: Seit November 2023 ist in Großbritannien die CRISPR-Therapie Casgevy zugelassen, die die Symptome der Sichelzellkrankheit und ß-Thalassämie fast vollständig unterdrücken kann.

Teil 1/3: Drei Genscheren schneiden das Erbgut – CRISPR, TALEN, ZFN
Teil 2/3: CRISPR/Cas verändert das Erbgut – in Bakterien und Menschen
Teil 3/3: Genscheren gegen AIDS und Blutkrebs
1 W. Brent Derry, CRISPR: development of a technology and its applications, FEBS Journal, Januar 2021 (Link)
2 Chemie-Nobelpreis für Gen-Forscherinnen, tagesschau.de, Oktober 2020 (Link)
alle Referenzen anzeigen 3 Ishino et al., Nucleotide sequence of the iap gene, responsible for alkaline phosphatase isozyme conversion in Escherichia coli, and identification of the gene product, J. Bacteriol. 1987 (Link)
4 Makarova et al., A putative RNA-interference-based immune system in prokaryotes: Computational analysis of the predicted enzymatic machinery, functional analogies with eukaryotic RNAi, and hypothetical mechanisms of action, Biol. Direct 2006 (Link)
5 Barrangou et al., CRISPR provides acquired resistance against viruses in prokaryotes, Science 2007 (Link)
6 Jinek et al., A programmable dual-RNA–guided DNA endonuclease in adaptive bacterial immunity, Science 2012 (Link)
7 L. Cong et al., Multiplex genome engineering using CRISPR/ Cas systems, Science 2013 (Link)
8 M. Jinek et al., RNA-programmed genome editing in human cells, eLife 2013 (Link)
9 P. Mali et al., RNA-guided human genome engineering via Cas9, Science 2013 (Link)
10 M. McNutt, Breakthrough to genome editing, Science 2015 (Link)
11 J. Doudna, The promise and challenge of therapeutic genome editing, Nature, Februar 2020 (Link)

Gen-Schere CRISPR/Cas9

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Durchbruch: Mit CRISPR/Cas9 können Forscher das Erbgut verändern.

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Genomforschung

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Kurz und knapp

  • die Gen-Schere CRISPR/Cas9 kann das Erbgut auf vielfältige Weise verändern
  • CRISPR/Cas9 besteht aus zwei Komponenten
  • Komponente I: Das Enzym Cas9 schneidet den DNA-Strang
  • Komponente II: Ein RNA-Molekül definiert die Stelle, an der die DNA geschnitten wird
  • CRISPR/Cas9 stammt aus Bakterien, die es vor einer Infektion mit Viren schützt
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