Strimvelis – Gentherapie hilft bei tödlicher Immunschwäche

Die Gentherapie Strimvelis hilft Kindern mit der schweren Erbkrankheit ADA-SCID. Die Behandlung ermöglicht oft ein weitgehend normales Leben, kann aber nur in Italien durchgeführt werden.

Gentherapie gegen Immunschwäche

Ein Retrovirus schleust das fehlerfreie ADA-Gen in die Zellen ein

Kinder mit der seltenen Immunkrankheit ADA-SCID können Infektionen nur schlecht abwehren. Seit Mai 2016 ist in Europa die Gentherapie Strimvelis zugelassen, die ein fehlendes Enzym in den Körper einschleust und die Funktion des Immunsystems wieder herstellt. Und dies so erfolgreich, dass selbst offizielle Stellen das ansonsten verpönte Wort „Heilung“ verwenden1.

Ein kommerzieller Erfolg ist die Therapie jedoch nicht – bis Ende 2020 wurden erst 16 zahlende Patienten mit Strimvelis behandelt. Ein Engpass erschwert die Anwendung: Die Behandlung ist zwar in der gesamten Europäischen Union zugelassen, darf aber nur in einer einzelnen Klinik in Mailand durchgeführt werden.

Zwei Firmen sind an dem Versuch gescheitert, mit Strimvelis Gewinne zu erwirtschaften. Nun liegen die Vermarktungsrechte bei der gemeinnützigen Fondazione Telethon, einer biomedizinischen Stiftung in Italien2.

Die Krankheit – angeborene Immunschwäche ADA-SCID

Die Erbkrankheit ADA-SCID ist eine sehr seltene Immunkrankheit, mit der in Europa jährlich etwa 15 Kinder zur Welt kommen. Ein kleiner Defekt im Erbgut sorgt dafür, dass die Betroffenen fast wehrlos gegen Viren und Bakterien sind. Der Verlust des Enzyms Adenosin-Desaminase (ADA) blockiert die Entwicklung von weißen Immunzellen und lähmt die Abwehrkräfte des Immunsystems (engl. severe combined immunodeficiency, SCID)3. Ohne Behandlung würden die meisten dieser Kinder innerhalb von zwei Jahren sterben.

Vor Strimvelis galt die Transplantation von Knochenmark als Standardtherapie für ADA-SCID, doch eines von zehn Kindern überlebt diesen Eingriff nicht3. Zudem steht nicht für jedes Kind ein passender Spender bereit. Die einzige Alternative war bislang eine Enzymersatz-Therapie. Die Injektion des fehlenden Enzyms ADA ist jedoch langfristig extrem teuer und ebenfalls höchst riskant – ein bis zwei von zehn Kindern sterben trotz der Behandlung.

Der Nutzen – ein fast optimaler Heilerfolg

Die Erfahrungen mit Strimvelis beschränken sich bislang auf eine einzelne Studie, deren Erfolg jedoch die europäische Arzneimittelbehörde restlos überzeugte. Die Studie bewertete den Nutzen der Gentherapie bei 18 Kindern, die bei der Behandlung durchschnittlich 19 Monate alt waren und danach im Mittel sieben Jahre lang beobachtet wurden4. Alle Kinder sind noch am Leben – die Überlebensrate liegt bei optimalen 100 %. Die Zahl der Immunzellen stieg, die Häufigkeit von schweren Infektionen nahm hingegen deutlich ab. 14 Kinder brauchten danach keine weitere Behandlung mehr. Und bislang gehen die Forscher davon aus, dass diese Wirkung ein Leben lang anhält.

Die Therapie – genetische Korrektur von Stammzellen

Die Gentherapie gleicht einen Fehler im Erbgut aus: Ärzte entnehmen den betroffenen Kindern Knochenmark, reinigen die Stammzellen des Bluts auf und behandeln diese im Labor mit einem harmlosen Virus. Dieser virale Vektor schleust eine korrekte Version des ADA-Enzyms in das Erbgut der Zellen ein und behebt den genetischen Defekt. Im Körper der Patienten entwickeln sich die Stammzellen zu B- und T-Lymphozyten, die ein schlagkräftiges Immunsystem aufbauen.

Die Nebenwirkungen – Fieber und Autoimmunreaktionen

Wie jede Therapie löst auch Strimvelis unerwünschte Nebenwirkungen aus5. Fieber gehört zu den häufigsten Problemen, und zwei Drittel der Kinder entwickelten – zumindest zeitweise – ernsthafte Autoimmunreaktionen. Dennoch: Gemessen an der Schwere der Krankheit und der Komplexität des Eingriffs gilt Strimvelis als gut verträglich.

Ein schwerer Zwischenfall wurde im Oktober 2020 gemeldet: Bei einem einzelnen Patienten, der im Jahr 2016 behandelt wurde, wurde Leukämie diagnostiziert. Ein Zusammenhang mit der Strimvelis-Behandlung kann anscheinend nicht ausgeschlossen werden, die Europäische Arzneimittelbehörde EMA empfiehlt daher gründliche Nachuntersuchungen6.

Die Entwicklung – jahrzehntelange Arbeit

Die Entwicklung von Strimvelis blick auf jahrzehntelange Vorarbeiten zurück. Ashanthi DeSilva, ein vierjähriges Mädchen mit ADA-SCID, war der erste Mensch, der sich einer Gentherapie unterzog7. Der Versuch war erfolgreich – die Wirkung der Behandlung ließ jedoch nach einigen Jahren nach.

Kurz darauf, im Jahr 1992, entwickelten Forscher am San Raffaele Telethon Institut in Mailand8 einen Ansatz, der sich als langlebiger erwies. Über die Jahre behandelten sie insgesamt 22 Kinder, die alle noch leben und meist ihre Immunschwäche überwunden haben. Im Mai 2016 wurde diese Gentherapie schließlich unter dem Namen Strimvelis in Europa zugelassen9. Der erste kommerzielle Patient wurde dann im März 2017 behandelt10.

Die italienischen Forscher haben lange Zeit mit dem Pharmakonzern GlaxoSmithKline zusammengearbeitet, doch seit März 2018 ging die Lizenz für Strimvelis an die britische Firma Orchard Therapeutics über. Orchard hat eine Zeitlang versucht, eine transportable Version von Strimvelis zu entwickeln, die auch an anderen Standorten als Mailand anwendbar ist. Dieses Projekt, wie auch alle anderen Investitionen in Strimvelis, wurde 2022 eingestellt11.

Seit September 2023 wird Strimvelis von der italienischen Fondazione Telethon hergestellt und vertrieben. Die biomedizinische Stiftung verfolgt keine Gewinnabsichten und kann so die wenig rentable Gentherapie weiterhin auf dem Markt halten2.

Die Kosten – 594 000 Euro pro Anwendung

Die einmalige Anwendung von Strimvelis kostet 594 000 Euro12. Langfristig ist die Gentherapie damit wesentlich günstiger als die Ersatztherapie mit dem ADA-Enzym, für die jährlich bis zu 400 000 Euro aufgebracht werden müssen13. Zudem werden die Kosten für Strimvelis in jährlichen Raten beglichen, im Falle eines Misserfolges wird ein Teil des Geldes zurückerstattet.

1 Europäische Arzneimittelagentur (EMA), Strimvelis, Zusammenfassung des EPAR für die Öffentlichkeit, Mai 2016 (Link)
2 M.C. Valsecchi, Rescue of an orphan drug points to a new model for therapies for rare diseases, Nature, Oktober 2023 (Link)
alle Referenzen anzeigen 3 Ritterbusch und Ehl, Schwerer kombinierter Immundefekt (SCID), Centrum für chronische Immundefizienz Freiburg, Stand Mai 2017 (Link)
4 Cicalese et al., Update on the safety and efficacy of retroviral gene therapy for immunodeficiency due to adenosine deaminase deficiency, Blood 2016 (Link)
5 Europäische Arzneimittelagentur (EMA), Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels, Stand Januar 2022 (Link)
6 Europäische Arzneimittelagentur (EMA), Strimvelis: Long-term follow-up due to risk of cancer, Februar 2021 (Link)
7 M. Lange, 25 Jahre nach der ersten Gentherapie, Deutschlandradio Kultur, September 2015 (Link)
8Aiuti et al., Gene therapy for ADA-SCID, the first marketing approval of an ex vivo gene therapy in Europe: paving the road for the next generation of advanced therapy medicinal products , EMBO Molecular Medicine 2017 (Link)
9 A. Mende, Ex-vivo-Gentherapie erhält EU-Zulassung, Pharmazeutische Zeitung, Mai 2016 (Link)
10 E. Mullin, A Year After Approval, Gene-Therapy Cure Gets Its First Customer, MIT Technology Review, Mai 2017 (Link)
11 N. Pagliarulo, Orchard turns to layoffs in cutting gene therapy research, BioPharma Dive, März 2022 (Link)
12 A. Regalado, Gene-Therapy Cure Has Money-Back Guarantee, MIT Technology Review, August 2016 (Link)
13 K. Gokhale, Glaxo's `Bubble Boy' Gene Therapy Wins EU Drug Agency Nod, Bloomberg April 2016 (Link)

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Für die Therapie mit Strimvelis müssen Zellen aus dem Knochenmark entnommen werden. Nach dem Gentherapie werden sie dem Patienten zurückgegeben.

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Kurz und knapp

  • die Erbkrankheit ADA-SCID schwächt das Immunsystem und macht Betroffene höchst anfällig gegenüber Infektionen
  • die Gentherapie Strimvelis kann den genetischen Effekt ausgleichen und die Immunabwehr stärken
  • bei ersten Studien mit Strimvelis lag die Überlebensrate bei 100 Prozent, die Zahl der schweren Infektionen nahm stark ab
  • im Mai 2016 wurde Strimvelis für den europäischen Markt zugelassen, im März 2017 der erste Patient behandelt
  • die Kosten für eine Behandlung mit Strimvelis wurden auf 594 000 Euro festgesetzt
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