Zynteglo – Gentherapie gegen ß-Thalassämie

Die Gentherapie Zynteglo behandelt schwere Formen der Erbkrankheit ß-Thalassämie. Nach der Therapie können die meisten Betroffenen vollständig auf Bluttransfusionen verzichten.

Die Erbkrankheit ß-Thalassämie verursacht eine Blutarmut, die in schweren Fällen regelmäßige Bluttransfusionen notwendig macht. Die Gentherapie Zynteglo behebt den ursächlichen Gendefekt und macht die meisten Betroffene unabhängig von Transfusionen.

Im Juni 2019 wurde die Gentherapie von der EU-Kommission zugelassen, im August 2022 auch in den USA. Die Kosten auf dem US-Markt sollen 2,8 Millionen US-Dollar betragen8 – Zynteglo gehört damit zu den teuersten Therapien der Welt.

In Deutschland ist die Therapie nicht verfügbar: Die Krankenkassen wollten die Preisforderung von knapp 1,6 Millionen Euro nicht übernehmen, obwohl dieses Angebot deutlich niedriger lag als in den USA verlangt6.

Gentherapie Zynteglo

Die Krankheit – tranfusionsabhängige ß-Thalassämie

Die ß-Thalassämie ist eine Erbkrankheit, bei der die Bildung des roten Blutfarbstoffs Hämoglobin gestört ist1. Die Ursache ist ein genetischer Defekt in dem Gen für ß-Globin, einem der beiden Hauptbestandteile von Hämoglobin. In schweren Fällen führt der Mangel an Hämoglobin zu einer stark verringerten Zahl an roten Blutkörperchen oder Erythrozyten, wodurch der Körper nur unzureichend mit Sauerstoff versorgt wird. Ohne Behandlung würden die Betroffenen in früher Kindheit versterben.

Schwere Fälle von ß-Thalassämie werden mit regelmäßigen Bluttransfusionen behandelt, die ein bis zweimal im Monat erfolgen müssen. Die Transfusionen sichern das Überleben, überladen aber auch den Stoffwechsel mit dem Spurenelement Eisen.

Das Eisen lagert sich in vielen Organen ab und verursacht Komplikationen, die die Lebensdauer verkürzen können. Bei einer langjährige Behandlung mit Bluttransfusionen müssen daher zusätzliche Maßnahmen erfolgen, um die schädlichen Auswirkungen der Eisenüberladung zu lindern.

Der Nutzen – Transfusionen werden überflüssig

Eine Behandlung mit Zynteglo kann in vielen Fällen weitere Bluttransfusionen überflüssig machen. Allerdings wurde bislang erst eine kleine Zahl von Patienten behandelt, so dass die Erfolgsaussichten und die Dauer der Wirkung noch nicht sicher beurteilt werden können.

Eine internationale Studie aus dem Jahr 2022 testete Zynteglo an 22 Teilnehmern, die an unterschiedlichen Formen der ß-Thalassämie litten2. Sieben der Teilnehmer waren jünger als 12 Jahre, die übrigen Teilnehmer waren zwischen 12 und 50 Jahre alt.

Die wichtigsten Ergebnisse der Studie lauten:

  • 20 von 22 Behandelten benötigen nach der Therapie keine Blutransfusionen mehr
  • 6 von 7 Kindern unter 12 Jahren benötigen nach der Therapie keine Blutransfusionen mehr
  • die Wirkung hielt bei allen Patienten mindestens 16 Monate an (also bis zum Ende des Beobachtungszeitraums)
  • die meisten Nebenwirkungen waren auf die einleitenden Chemotherapie zurückzuführen
  • in vier Fällen war vermutlich Zynteglo die Ursache der Nebenwirkungen; die Folgen waren moderat, nur ein Teilnehmer hatte einen schweren Mangel an Blutplättchen

Die Therapie – veränderte Blutstammzellen

Zynteglo (betibeglogene autotemcel, beti-cel) ist eine Gentherapie, die das Erbgut von Blutstammzellen verändert. Die Zellen stammen aus dem Körper der Patienten und werden im Labor mit einer Genfähre behandelt, einem lentiviralen Vektor. Dieser Vektor schleust eine funktionstüchtige Genvariante, das ßA-T87Q-Globin-Gen, in die Zellen ein und ermöglicht die Produktion ausreichender Mengen von funktionstüchtigem Hämoglobin. Der genetische Defekt wird damit behoben, im besten Fall käme der Eingriff einer Heilung gleich.

Die veränderten Blutstammzellen werden direkt in das Blut gegeben, es erfolgt nur eine einmalige Gabe. Die Patienten werden zuvor mit einer Chemotherapie behandelt, um die Aufnahme neuer Stammzellen im Knochenmark zu erleichtern. Für eine Behandlung kommen nur Patienten in Frage, die an einer transfusionsabhängigen Form von ß-Thalassämie leiden und folgende Vorbedingungen erfüllen:

  • älter als 12 Jahre
  • kein passender Spender für eine Stammzelltransplantation
  • die Krankheit beruht nicht auf dem ß00 Genotyp

In der Europäischen Union leiden etwa 51 000 Menschen an schwereren Formen der ß-Thalassämie3, also etwa einer von 10 000. Aufgrund der strengen Vorbedingungen wird jedoch nur ein Teil für eine Behandlung mit der Gentherapie Zynteglo in Frage kommen.

Die Nebenwirkungen – meist in einem vertretbaren Rahmen

Die Nebenwirkungen von Zynteglo halten sich – angesichts der Schwere der Erkrankung – in einem vertretbaren Rahmen. Unerwünschte Reaktionen waren meist auf die einleitende Chemotherapie zurückzuführen. Zynteglo selbst löste vermutlich bei vier Patienten Nebenwirkungen aus, in drei Fällen blieben die Folgen moderat. Als einzige lebensbedrohliche Reaktion trat bei einem einzigen Patienten eine Thrombozytopenie auf, eine schwere Störung der Blutgerinnung.

Weitere ernste Nebenwirkungen waren Bauch- und Brustschmerzen, Schmerzen in den Extremitäten, Atemnot und Rötungen der Haut4.

Die Alternativen – Stammzelltransplantation und Bluttransfusionen

Blutransfusionen

Regelmäßige Bluttransfusionen können das Überleben sichern, aber die Krankheit selbst nicht heilen. Es handelt sich also um eine symptomatische Therapie. Die Transfusionen werden notwendig, wenn der Hämoglobinwert im Blut unter eine kritische Schwelle sinkt (meist unter 8 Gramm pro Deziliter). Je nach Schwere der Erkrankung erhalten die Betroffenen etwa ein bis zwei Transfusionen in der Woche.

Die häufigen Transfusionen können langfristig dazu führen, dass der Körper mit Eisen überladen wird. Das Eisen stammt aus dem Abbau des Blutfarbstoffs Hämoglobin. Eine Eisenüberladung kann die Leber und das Herz schwer schädigen. Unbehandelt können die Folgen tödlich sein.

Der menschliche Körper hat keine Möglichkeit, Eisen aktiv auszuscheiden. Betroffene erhalten daher Medikamente, die an das Eisen binden (Eisenbinder oder Eisenchelatoren). Das gebundene Eisen kann dann über den Urin oder Stuhl ausgeschieden werden.

Stammzelltransplantation

Eine Transplantation von Blutstammzellen kann die ß-Thalassämie im besten Fall vollständig heilen, Im ersten Schritt wird dabei das Knochenmark der Erkrankten vollständig zerstört. Im zweiten Schritt wird das Knochenmark mit den Stammzellen eines gesunden Spenders wieder aufgebaut. Das erneuerte Knochenmark kann dann rote Blutkörperchen bilden, die normales Hämoglobin enthalten und den Körper komplikationslos mit Sauerstoff versorgen können.

Eine Stammzelltransplantation ist jedoch mit hohen Risiken verbunden. In manchen Fällen bildet das gespendete Knochenmark besondere Immunzellen, die sich gegen den Körper des Empfängers richten. Dabei können Entzündungsreaktionen auftreten, die im schlimmsten Fall einen tödlichen Verlauf nehmen.

Zudem ist bei vielen Betroffenen eine Transplantation nicht möglich, da kein passender Spender zur Verfügung steht. Bevorzugt werden Geschwister, deren Blutmerkmale fast vollständig mit denen des Betroffenen übereinstimmen. Möglich ist auch eine Stammzellspende von Nicht-Familienmitgliedern, die sich in internationalen Spenderdatenbanken registriert haben.

Luspatercept

Das Medikament Luspatercept ist ein künstliches Protein, das die Kommunikation zwischen Zellen im Knochenmark hemmt. Es schwächt die Wirkung von Botenstoffen des Immunsystems ab. Dadurch kann die Bildung roter Blutkörperchen im Knochenmark angeregt werden.

Lustacerpt kann dazu beitragen, dass die Behandelten weniger Bluttransfusionen erhalten müssen. Allerdings können auch starke Nebenwirkungen auftreten. Das Medikament ist seit 2020 für die Behandlung von Erwachsenen zugelassen.

Die Entwicklung – das Unternehmen Bluebird Bio

Die Entwicklung der Gentherapie erfolgte durch die US-amerikanische Firma Bluebird Bio. Anfangs lautete der Name noch LentiGlobin, die Umbenennung Zynteglo erfolgte erst kurz vor der möglichen Zulassung. Der erste Patient wurde im Jahr 2010 behandelt. Im Jahr 2015 wurde die erste klinischen Studie veröffentlicht, in der die Wirksamkeit aber stark schwankte: Einigen Patienten ging es besser, anderen nicht.

Bluebird Bio veränderte daraufhin den Herstellungsprozess des lentiviralen Vektors und die vorbereitende Behandlung der Patienten. Eine Studie aus dem Jahr 2018 ergab daraufhin konsequent gute Resultate, die eine wesentliche Grundlage für den Zulassungsversuch bildeten. Weitere Studien dauern zu diesem Zeitpunkt noch an.

Die Zulassung in Europa ist mit einer Einschränkung verbunden: Weitere Daten müssen die Wirksamkeit von Zynteglo belegen, bevor die Genehmigung endgültig wird. Die Entwicklung der Gentherapie geht weiter und soll in Zukunft auch die Behandlung des ß00-Genotyps der ß-Thalassämie und der Sichelzellanämie ermöglichen.

Im Februar 2021 trat in einer klinischen Studie, die sich mit der Therapie von Sichelzellanämie beschäftigte, ein Krebsfall auf: Ein Patient erkrankte an akuter myeloischer Leukämie (AML). Laut Bluebird Bio ist ein Zusammenhang mit der Gentherapie sehr unwahrscheinlich (ein zweiter Verdachtsfall erwies sich als Fehldiagnose). Da diese Studie die gleiche Genfähre wie Zynteglo angewendet hatte, wurde die Vermarktung von Zynteglo jedoch vorsichtshalber für einige Monate eingestellt7.

Die Kosten – 2,8 Millionen US-Dollar

In den USA soll Zynteglo 2,8 Millionen US-Dollar kosten und gehört damit – zusammen mit Zolgensma und Libmeldy – zu den teuersten Therapien der Welt. Allerdings will der Hersteller Bluebird Bio 80 % der Kosten erstatten, wenn die Betroffenen zwei Jahre nach der Behandlung weiterhin Bluttransfusionen benötigen8.

In Europa sollten die Kosten von Zynteglo knapp 1,6 Millionen € betragen, zahlbar in fünf jährlichen Raten. Zudem wollte der Hersteller alle noch ausstehenden Zahlungen erlassen, wenn die Wirkung von Zynteglo weniger als fünf Jahre anhält5. Die deutschen Krankenkassen waren jedoch nicht bereit, diese Kosten zu übernehmen – der Hersteller zog Zynteglo daraufhin vom europäischen Markt zurück6.

Wichtiger Hinweis
Dieser Artikel gibt den aktuellen Stand des Wissens wieder. Er enthält jedoch nur allgemeine Hinweise, die nicht für eine Selbstdiagnose oder Selbstbehandlung geeignet sind. Einen Arztbesuch kann er auf keinen Fall ersetzen.

1 H. Cario, Beta (ß)-Thalassämie, kinderblutkrankheiten.de, Stand April 2024 (Link)
2 Locatelli et al., Betibeglogene Autotemcel Gene Therapy for Non–β0/β0 Genotype β-Thalassemia, New England Journal of Medicine, Februar 2022 (Link)
alle Referenzen anzeigen 3 European Medicines Agency, Zynteglo (autologous CD34+cells encoding βA-T87Q-globin gene), EMA/205979/2019, Mai 2019 (Link)
4 A. Mende, β-Thalassämie: Grünes Licht für Gentherapie, Pharmazeutische Zeitung, März 2019 (Link)
5 A. Liu, Bluebird prices gene therapy Zynteglo at €1.575M in Europe, to be paid over 5 years, FiercePharma, Juni 2019 (Link)
6 N. Pagliarulo, Bluebird to withdraw gene therapy from Germany after dispute over price, BioPharma Dive, April 2021 (Link)
7 J. Bell, Bluebird resumes marketing gene therapy in Europe, BioPharma Dive, Juli 2021 (Link)
8 Z. Brennan, FDA approves one of the priciest new treatments of all time — bluebird's gene therapy for beta thalassemia, Endpoints News, August 2022 (Link)

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Zynteglo ist die erste Gentherapie gegen Blutarmut, weitere werden vermutlich bald folgen.

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Kurz und knapp

  • die Erbkrankheit ß-Thalassämie kann eine schwere Blutarmut verursachen
  • die Gentherapie Zynteglo unterstützt die Produktion des Blutfarbstoffs Hämoglobin
  • Zynteglo kann Bluttransfusionen überflüssig machen, der Nutzen steht jedoch noch nicht endgültig fest
  • als Nebenwirkung können Thrombozytopenie und Schmerzen auftreten
  • Zynteglo ist seit Juni 2019 in der EU und seit 2022 in den USA zugelassen
  • da u. a. die deutschen Krankenkassen die geforderten Kosten nicht übernahmen, zog der Hersteller die Therapie aus der EU zurück
  • in den USA soll Zynteglo 2,8 Millionen US-Dollar kosten
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