Embryonale Stammzelltherapie bei Querschnittslähmung

Ein Querschnittsgelähmter war der erste Mensch, den Ärzte mit embryonalen Zellen behandelten. Mittlerweile insgesamt 25 Patienten können sich nun dank dieser Therapie etwas besser bewegen.

Am 8. Oktober 2010 - nach vielen Jahren der Vorbereitung - begann die Geschichte der embryonalen Stammzelltherapie. Nur wenige Tage zuvor hatte der 21-jährige US-Amerikaner Timothy Atchison einen schweren Autounfall erlitten, der ihn von der Brust abwärts gelähmt zurückließ.

Embryonale Stammzelltherapien

Bislang wurden 25 Querschnittsgelähmte mit einer embryonalen Stammzelltherapie behandelt: Den meisten geht es etwas besser.

In einer Spezialklinik in Atlanta pflanzten Ärzte etwa zwei Millionen embryonale Zellen in sein verletztes Rückenmark ein. Es war ein Experiment mit ungewissem Ausgang: Niemand konnte mit Sicherheit ausschließen, dass die Zellen sich nicht zu Krebs entwickelten.

Vier Jahre später, als das Ergebnis veröffentlicht wurde, hatte sich der Zustand des Patienten kaum gebessert. Doch viel wichtiger war: Die embryonalen Zellen hatten - entgegen anfänglicher Befürchtungen - keine Tumore hervorgerufen. Die Studie konnte damit fortgesetzt werden, und mittlerweile wurde die Therapie an 25 Patienten getestet.

Heilende Zellen des Nervengewebes

In Deutschland erleiden etwa 1000 Menschen jährlich eine Querschnittslähmung. Die Nervenbahnen in ihrem Rückenmark sind durchtrennt und werden kaum wieder zusammenwachsen. Auf Besserung können die Betroffenen nicht hoffen, wirksame Therapien gibt es bislang nicht. Einer der wenigen Hoffnungsschimmer ist die embryonale Stammzelltherapie: Zumindest in Tierversuchen konnten sie schon ihre Wirksamkeit beweisen.

Der Pionier auf diesem Gebiet war die US-amerikanische Biotechfirma Geron. Sie fand einen Weg, embryonale Stammzellen in Zellen des Nervengewebes zu verwandeln - genauer gesagt in Oligodendrozyten. Die natürliche Aufgabe der Oligodendrozyten ist es, Nervenbahnen mit Wachstumsfaktoren zu versorgen und sie mit einer Hülle zu umgeben. Die Hoffnung ist groß, dass diese Zellen auch die Heilung von geschädigtem Gewebe unterstützen können.

Erste Versuche mit gelähmten Ratten brachten ermutigende Resultate. Doch um die Versuche auf Menschen zu übertragen, musste zuerst eine große Gefahr ausgeschlossen werden: die Entstehung von Krebs. Embryonale Stammzellen sind pluripotent - das bedeutet, sie können sich in alle menschlichen Gewebe entwickeln. Und manchmal entstehen dabei auch Tumore.

Gefahr für den Menschen?

Um eine Gefährdung der Patienten auszuschließen, muss die Therapie ausschließlich mit den spezialisierten Oligodendrozyten durchgeführt werden. Embryonale Stammzellen in ihrer ursprünglichen, pluripotenten Form dürfen nicht in den Patienten gelangen. Die amerikanische Gesundheitsbehörde hatte hier große Hürden aufgebaut. Der Antrag, mit dem Geron schließlich die Zulassung erhielt, war rekordverdächtig: Er umfasste mehr als 21 000 Seiten und 24 Studien mit Versuchstieren.

Im Jahr 2009 erhielt Geron als erste Firma weltweit die Erlaubnis, embryonale Zellen am Menschen zu testen. Ein Jahr später konnte die Studie starten, und dem ersten Patienten sollten bald vier weitere Querschnittsgelähmte folgen. Doch schon ein Jahr später, im November 2011, kam das Aus - wegen Geldmangel. Ein Umbruch an der Firmenspitze war mit einem Wechsel der Strategie verbunden, die Firma wollte sich auf die Entwicklung von Krebsmedikamenten konzentrieren.

Dies wurde weltweit als großer Rückschlag für die embryonale Stammzelltherapie gedeutet. Doch im Januar 2013 übergab Geron das gesamte Programm an Asterias Biotherapeutics, eine neu gegründete Firma, die von zwei ehemaligen Geron-Managern (und Mitgründern) geleitet wurde1.

Kleine, aber wichtige Fortschritte

Im Mai 2014 stellte Asterias die Ergebnisse der ersten Sicherheitsstudie vor: Bei keinem der fünf Patienten traten unerwünschte Nebenwirkungen auf2. Die Zellen wurden gut vertragen, und nirgendwo zeigten sich Anzeichen für die Entstehung von Krebs. Über einen Heilerfolg konnte allerdings man keine Aussagen machen - dafür war die Studie viel zu klein.

Der Fortschritt war zwar klein, aber wichtig: Der Weg war nun frei für eine Folgestudie, bei der insgesamt 25 Patienten eingeschlossen wurden. Die Zahl der Stammzellen wurde schrittweise auf das Zehnfache der Anfangsmenge erhöht, also maximal 20 Millionen. Eine weitere Änderung: Die Injektion erfolgt in den oberen Teil des Rückenmarks, während die erste Studie sich noch auf den unteren Bereich konzentrierte.

Die Studie begann im Frühjahr 2015, und die Ergebnisse sind bislang verhalten positiv3. Keiner der Patienten hatte unter nennenswerten Nebenwirkungen zu leiden, und bei fast allen bildete sich dem Anschein nach neues Gewebe im Rückenmark. Bei 21 Patienten hat sich die Bewegungsfähigkeit spürbar gebessert. Die Wirkung hält mindestens ein Jahr lang an. Ob die positiven Effekte jedoch auf die Stammzelltherapie zurückzuführen ist oder auf natürliche Selbstheilung, bleibt weiterhin unklar.

Es sind wohl noch weitere Versuche notwendig, um die Wirkung der Stammzelltherapie endgültig beurteilen zu können. Die US-Firma BioTime, die seit kurzem die Entwicklung übernommen hat, will sich im Laufe des Jahres 2019 mit der US-Arzneimittelbehörde zusammensetzen, um über das weitere Vorgehen zu beraten. Querschnittsgelähmte werden noch eine Weile warten müssen, bevor endlich klar ist, ob die Hoffnungen in die embryonale Stammzelltherapie berechtigt sind.

klinische Studien mit embryonalen Stammzellen:
Querschnittslähmung - Erblindung - Diabetes
1 Pressemitteilung der Firma BioTime, 7.1.2013 (Link)
2 K. Servick, Tests of Embryonic Stem Cell Treatment Back on Track, Science, 30. Mai 2014 (Link)
3 K. McCormack, One year later, spinal cord therapy still looks promising, The Stem Cellar, Mai 2019 (Link)

Embryonale Stammzelltherapien

Bislang wurden 25 Querschnittsgelähmte mit einer embryonalen Stammzelltherapie behandelt: Den meisten geht es etwas besser.

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Kurz und knapp

  • im Oktober 2010 erhielt erstmals ein Querschnittsgelähmter eine embryonale Stammzelltherapie
  • eine Firma hatte embryonale Zellen in Vorläufer für Nervengewebe (Oligodendrozyten) verwandelt
  • Oligodendrozyten sollen die Heilung der Nervenbahnen unterstützen
  • bei nun insgesamt 25 Patienten zeigten sich meist leichte Verbesserungen in der Bewegungsfähigkeit
  • es gab keine Anzeichen für die Entstehung von Krebs oder anderen schweren Nebenwirkungen
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