Krebs – eine Krankheit der Gene

Mutationen im Erbgut können Krebs erzeugen: Sie setzen Kontrollen außer Kraft und bringen Zellen dazu, sich ungebremst zu vermehren.

Genmutationen und Krebs

Im menschlichen Körper herrschen klare Regeln – jede Zelle hat ihren Platz und ihre Aufgabe. Doch manche Zellen halten sich nicht daran und beginnen, sich auf Kosten anderer zu vermehren. Die Ursache findet sich fast immer im Erbgut. Wissenschaftler sind sich heute einig: Krebs ist eine Krankheit der Gene.

Das Erbgut legt die Regeln fest, die das Zusammenleben im Körper bestimmen. Gene kontrollieren die Aktivität von Zellen, organisieren deren Zusammenarbeit und sorgen dafür, dass sich jede dem Wohl des Körpers unterordnet. Mutationen können diese Regeln außer Kraft setzen: Gene schalten sich zu unpassenden Zeit­punkten an oder aus, und als Folge gerät das empfindliche Gleichgewicht der Körperzellen ins Wanken.

Onkogene und Tumorsuppressoren

Diese Vorgänge wurden erstmals bei einem Gen namens ras beobachtet. 1982 konnten Forscher in einem Experiment nachweisen, eine Mutation von ras menschliche Zellen in Krebszellen verwandelt. Sie prägten dabei den Begriff Onkogen (lat. für Krebsgene). Robert Weinberg1, einer dieser Forscher, entwickelte kurz darauf die ersten umfassenden Theorien zur Entstehung von Krebs2. Mittlerweile sind hunderte Krebsgene bekannt7.

Eine Genmutationen den Krebs auf zwei verschiedenen Wegen vorantreiben: durch die Aktivierung von Wachstums-Genen oder das Abschalten von Kontroll-Genen. Meist werden beide Wege gleichzeitig benutzt. Onkogene sind in der Regel potente Wachstums-Gene, und alle Mutationen, die ihre Aktivität verstärken, fördern auch die Entstehung von Krebs.

Kontroll-Gene hingegen hindern die Zellen normalerweise an übermäßigem Wachstum. Als Gegenspieler zu den Onkogenen werden sie daher Tumorsuppressorgene genannt. Sie müssen abgeschaltet werden, bevor ein Krebs wachsen kann. Das Gen p53 – auch Wächter des Genoms genannt – ist das bekannteste Beispiel: In etwa der Hälfte aller Tumore ist es mutiert und kann seine Wächter-Funktion nicht mehr ausüben.

Bevor es durch eine Mutation aus der Bahn geworfen wird, ist ein Onkogen ein Gen wie andere auch – es erfüllt seine Funktion zum Vorteil der Zelle und des ganzen Körpers. Fachlich korrekt wird es in diesem Zustand Proto-Onkogen genannt, was soviel wie Vor-Krebsgen bedeutet. Wird ein Proto-Onkogen jedoch durch eine Mutation zum Onkogen, kann dies das Gleichgewicht zwischen Zelle und Körper empfindlich stören: Die Zelle setzt zu unkontrolliertem Wachstum an und schädigt dabei Gewebe und Organe.

Fahrer und Passagiere

Eine einzige Mutation macht noch keinen Tumor. Begrenzte Ausfälle kann eine Zelle gut verkraften, und im schlimmsten Fall opfert sie sich durch eine Art 'Selbstmord', um den Körper zu schützen. Grobe Schätzungen besagen, dass mindestens fünf verschiedene Gene mutiert sein müssen, um alle Kontrollen außer Kraft zu setzen und dem Krebs das Wachstum zu ermöglichen3.

Im Durchschnitt weist ein Tumor aber 100-1000 Mutationen in seinem Genom auf. Die meisten Mutationen entstehen im Verlauf der Erkrankung – sie sind Folge des Krebs, nicht dessen Ursache. Krebszellen können ihr Erbgut nur schlecht reparieren, die Schäden häufen sich daher fast zwangsläufig an.

Ein großer Teil der Krebs-Mutationen ist harmlos; in der englischen Fachliteratur werden sie passenger – Passagier – genannt. Mutationen hingegen, die den Krebs entscheidend vorantreiben, werden driver genannt – also Fahrer. Eine der größten Herausforderungen der Tumorforschung besteht darin, aus der Vielzahl der passenger-Mutationen die wenigen driver herauszupicken4.

Auch wenn die Forschung sich im Moment stark auf die Genmutationen konzentriert, so schließt das andere Faktoren nicht aus. Krebs ist eine sehr komplexe Krankheit, die viele Ursachen hat. Viren und Bakterien können die Entwicklung von Krebs begünstigen. Epigenetische Mechanismen sind beteiligt: Das Gen wird dabei nicht mutiert, verändert aber dennoch seine Aktivität5. Physikalische Kräfte innerhalb der Körpergewebe beeinflussen das Verhalten der Krebszellen6. Letztlich spielen auch Lebens- und Essgewohnheiten, soziales Umfeld und vieles mehr eine Rolle.

Trotzdem bleibt festzuhalten: Genmutationen spielen eine zentrale Rolle bei der Entwicklung von Krebs, und diese Rolle wird mit jedem Tag besser verstanden. Fortschritte bei der Krebstherapie hängen stark davon ab, dass die personalisierte Medizin diese neuen Erkenntnisse auch nutzen kann. Es besteht Grund zur Hoffnung, dass aus der Erforschung der Krebsmutationen bald neue Möglichkeiten für die Diagnose, Prognose und Therapie erwachsen.

1 J. Schlütter, Der Krebs-Erklärer, Tagesspiegel vom 4.6.2012 (Link)
2 Hanahan und Weinberg, The hallmarks of cancer, Cell 2000, vol. 100, pp. 57-70 (Link)
alle Referenzen anzeigen 3 M.R. Stratton, Exploring the Genomes of Cancer Cells: Progress and Promise, Science 2011, vol. 331, pp. 1553-8 (Link)
4 Collison et al., What are we learning from the cancer genome?, Nature Reviews Clinical Oncology 2012, vol. 9, pp. 621-30 (Link)
5 V. Brower, Unravelling the cancer code, Journal 2011, vol. 471, pp. S12-3 (Link)
6 E. Jonietz, The forces of cancer, Nature 2012, vol. 491, pp. s56-7 (Link)
7 COSMIC, Catalogue of somatic mutations in cancer, Stand 4. Januar 2016 (Link)

Genmutationen und Krebs

Krankheit der Gene: Gene, die nach einer Mutation ein unkontrolliertes Wachstum von Zellen auslösen können, heißen Onkogene.

Wichtige Begriffe

  • Proto-Onkogen (lat. Vor-Krebsgen): Unverändertes Gen, das eine wichtige Funktion in gesunden Zellen erfüllt und oftmals das Wachstum oder die Zellteilung vorantreibt. Eine Mutation, welche die Aktivität dieses Gens erhöht, kann gefährliche Auswirkungen haben.
  • Onkogen (lat. Krebsgen): Mutierte Variante eines Proto-Onkogens, die wesentlich dazu beiträgt, dass das Wachstum einer Zelle außer Kontrolle gerät und so die Entstehung von Krebs begünstigt.
  • Tumorsuppressorgen: Ein Gen, dass in gesunden Zellen das Wachstum kontrolliert. Eine Mutation, welche die Aktivität dieses Gens hemmt, kann zur Entstehung von Krebs beitragen.
  • Driver (engl. Fahrer): Genmutation, die eine der Ursachen für die Entstehung eines Tumors ist. Onkogene und mutierte Tumorsuppressorgene gehören immer zu den driver-Mutationen.
  • Passenger (engl. Passagier): Genmutation, die in Krebszellen auftritt, aber keine wichtige Rolle für das Wachstum des Tumors spielt. Krebszellen weisen meist sehr viele passenger-Mutationen auf, da sie Schäden am Erbgut nicht mehr gut reparieren können.

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Kurz und knapp

  • Genmutationen können unkontrolliertes Wachstum auslösen und so Krebs erzeugen
  • bei Krebsgenen unterscheidet man Onkogene und Tumorsuppressorgene
  • etwa fünf verschiedene Genmutationen sind notwendig, um die Kontrollmechanismen einer gesunden Zellen zu überwinden
  • Genmutationen können erblich sein, bei einer fehlerhaften Zellteilung auftreten oder durch Umwelteinflüsse entstehen
  • Genmutationen spielen zwar eine zentrale Rolle, sind aber nicht die einzigen Faktoren bei der Krebsentwicklung
  • eine personalisierte Medizin könnte Genmutationen als Ansatzpunkt für Krebstherapien nutzen
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