Gentherapie – hartnäckige Probleme gefährden den Erfolg

Fünfzehn Gentherapien sind in Europa zugelassen, weitere drängen auf den Markt. Doch einige Probleme bleiben – das Risiko von Krebs, eine begrenzte Wirksamkeit und hohe Kosten.

Wie wirkt eine Gentherapie?

Ein Virus schleust fehlerfreie Gene in Körperzellen ein und korrigiert Fehler im Erbgut

Die Namen sind ungewohnt, die Erkrankungen selten. Doch der Eingriff ins Erbgut hat sich in der Medizin etabliert, wie die steigende Zahl der in der EU zugelassenen Gentherapien zeigt:

  • Strimvelis heilt die Immunschwäche ADA-SCID
  • Luxturna lindert angeborene Blindheit
  • Zolgensma bremst den erblichen Muskelschwund SMA
  • Libmeldy behebt die Entwicklungsstörung MLD
  • Upstaza lindert die Folgen eines AADC-Mangels
  • Roctavian verhindert Blutungen bei Hämophilie A
  • Hemgenix verhindert Blutungen bei Hämophilie B
  • Durveqtix verhindert Blutungen bei Hämophilie B
  • die CRISPR-Therapie Casgevy lindert Sichelzellanämie und ß-Thalassämie
  • sechs CAR-T-Zelltherapien bekämpfen Leukämien, Lymphome und Myelome

Weitere Therapien befinden sich in der Endphase der Entwicklung und könnten bald die Zulassung erhalten. Dennoch ist die Lage nicht durchweg rosig: Drei Gentherapien sind bereits kurz nach ihrer Zulassung wieder vom Markt verschwunden. Auch ein Blick auf die Geschichte der Gentherapie mahnt zur Vorsicht1.

1. Die Risiken der Genfähren

In den 1990er Jahren hofften einige Forscher, mit Gentherapien die Medizin zu revolutionieren. Krankheiten sollten nicht mehr notdürftig behandelt, sondern von Grund auf geheilt werden2. Doch bereits 1999, mitten in der Euphorie der Anfangsjahre, ereignete sich ein tragischer Unfall: Der 18-jährige Jesse Gelsinger starb, weil Forscher die Entwicklung zu schnell vorangetrieben hatten3. Schlagartig wurde jedem bewusst, dass Gentherapien mit erheblichen Risiken verbunden sind. Verschärfte Sicherheitsbestimmungen und mangelndes Vertrauen der Geldgeber warfen das Feld um Jahre zurück.

Verfügbare Gentherapien

Seit 2012 wurde in der EU 18 Gentherapien zugelassen, drei wurden bereits wieder zurückgezogen
Fünfzehn Gentherapien sind aktuell in der Europäischen Union zugelassen, drei wurden bereits wieder vom Hersteller zurückgezogen.

Die Risiken gehen von den Genfähren aus, mit denen die fehlerfreien Gene in den Körper eingeschleust werden. Sie beruhen auf Viren, die Forscher tiefgreifend verändert haben. Im Grunde sind diese Genfähren Grunde harmlos, doch das menschliche Immunsystem hält sie weiterhin für eine Bedrohung – und reagiert mit teils massiven Abwehrmaßnahmen. Auch Jesse Gelsinger starb an einer solchen Überreaktion.

Andere Genfähren werden zur Gefahr, wenn sie ihre Fracht an der falschen Stelle im Erbgut absetzen. Im schlimmsten Fall wird die Erbinformation so verändert, dass Krebszellen entstehen. Immer wieder sind Teilnehmer von Gentherapie-Studien an Blutkrebs erkrankt, einige auch daran gestorben.

Mit der Entwicklung neuer Genfähren ist das Risiko zwar deutlich gesunken, aber nicht ganz verschwunden. Die heute weit verbreiteten AAV-Genfähren können in hoher Dosierung schwere Abwehrreaktionen und Todesfälle verursachen4. Probleme gibt es auch mit den lentiviralen Vektoren, die mit Krebsfällen in Verbindung gebracht werden. Allein im Jahr 2021 mussten drei vielversprechende Studien wegen Sicherheitsbedenken zeitweilig unterbrochen werden (auch wenn sich der Verdacht letztlich nicht bestätigte)5.

2. Eher Linderung statt Heilung

Auch das zweite große Problem hält sich hartnäckig: die oft eingeschränkte Wirksamkeit. Bestes Beispiel ist Glybera, die im Jahr 2012 als erste Gentherapie der westlichen Welt zugelassen wurde. Sie sollte eine seltene Stoffwechselkrankheit behandeln, die schwere Entzündungen der Bauchspeicheldrüse verursacht.

Studien mit Gentherapien

Zwischen 1989 und 2020 wurden über 3000 Gentherapie-Studien durchgeführt
Zugelassene Gentherapie-Studien 1989-2020 (Quelle: The Journal of Gene Medicine)

Glybera konnte zwar die Symptome der Krankheit lindern, von einer Heilung war die Therapie jedoch weit entfernt. Am Ende fand Glybera nur eine einzige Patientin – viel zu wenig für einen wirtschaftlichen Erfolg. Der Hersteller uniQure hat Glybera deshalb im Oktober 2017 wieder vom Markt genommen.

Auch einige aktuelle Gentherapien zeigen nur eine begrenzte Wirkung. Die 2018 zugelassene Therapie Luxturna lindert eine angeborene Form der Erblindung, die Sehfähigkeit bleibt aber weiterhin stark eingeschränkt. CAR-T-Zelltherapien helfen meist nur der Hälfte der Behandelten. Zynteglo kann die ß-Thalassämie zwar fast vollständig heilen, ist aber nicht wirksamer als die seit langem etablierte Knochenmarktransplantation.

3. Hohe Kosten erschweren die Anwendung

Selbst die begrenzte Wirksamkeit ist nur zu einem hohen Preis zu haben. Schon Glybera kratzte bereits im Jahr 2012 an der Grenze von einer Million Euro, Zolgensma zur Therapie der spinalen Muskelatrophie kostet heute gut das Doppelte.

Als Begründung für die hohen Preise wird oft angeführt, dass Gentherapien langfristig Kosten sparen. Das ist zwar meist richtig, aber die Kosten werden auf einen Schlag fällig: Es entstehen kurzfristig hohe finanzielle Belastungen, für die unser Gesundheitssystem nicht ausgelegt ist6.

Neue Finanzierungsmodelle sollen Abhilfe schaffen, etwa die Verteilung der Kosten auf mehrere Jahre oder eine erfolgsabhängige Vergütung7. Doch das allein scheint das Problem nicht zu lösen, wie ein jüngeres Beispiel zeigt: Im Juli 2021 hat die US-Firma Bluebird Bio beschlossen, ihre Gentherapien Zynteglo und Skysona vom europäischen Markt zurückzuziehen8. Die Firma konnte sich mit den Krankenkassen nicht auf einen Preis einigen.

Die Kosten werden auch auf absehbare Zeit sehr hoch bleiben, da sich bislang alle Anwendungen auf seltene Erbkrankheiten und aggressive Krebsformen beschränken. An diesen Krankheiten leiden nur wenige Patienten, die dann die gesamte Last der Entwicklungskosten schultern müssen.

Günstiger werden Gentherapien wohl erst, wenn sie aus ihren Nischen herauswachsen: Mit der Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen9, Morbus Parkinson10 oder häufigen Krebsformen könnten die Therapien auch der Medizin insgesamt einen größeren Stempel aufdrücken. Doch auf diesen Gebieten steht die Entwicklung auch nach 30 Jahren intensiver Bemühungen noch am Anfang.

Teil 1/3: Gentherapie – hartnäckige Probleme gefährden den Erfolg
Teil 2/3: Warum dauert die Entwicklung so lange?
Teil 3/3: Warum sind Gentherapien so teuer?
1 C. Arnold, Record number of gene-therapy trials, despite setbacks, Nature Medicine, August 2021 (Link)
2 Deutsches Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften, Somatische Gentherapie: Medizinisch-Naturwissenschaftliche Aspekte, Stand November 2020 (Link)
alle Referenzen anzeigen 3 J. Wilson, A History Lesson for Stem Cells, Science 2009, vol. 324, pp. 727-8 (Link)
4 G. Conroy, How viruses are driving the gene-therapy renaissance, Nature, Dezember 2022 (Link)
5 N. Pagliarulo, As biotech retreats, gene therapy companies retrench and redraw plans, BioPharmaDive, März 2022 (Link)
6 Quinn et al., Estimating the Clinical Pipeline of Cell and Gene Therapies and Their Potential Economic Impact on the US Healthcare System, Value in Health, Juni 2019 (Link)
7 Gene therapies should be for all, Nature Medicine, August 2021 (Link)
8 J. Bell, Bluebird to wind down business in Europe amid gene therapy struggles, BioPharmaDive, August 2021 (Link)
9 Kim et al., Recent Advances in Gene Therapy for Cardiac Tissue Regeneration, International Journal of Molecular Sciences, August 2021 (Link)
10 Zhu et al., Gene Therapy for Neurodegenerative Disease: Clinical Potential and Directions, Frontiers in Molecular Neurosciences, Juni 2021 (Link)

Wie wirkt eine Gentherapie?

Ein Virus schleust fehlerfreie Gene in Körperzellen ein und korrigiert Fehler im Erbgut
Harmlose Viren schleusen Gene in Körperzellen ein und ermöglichen die Behandlung von Krebs und Erbkrankheiten.

Verfügbare Therapien

Seit 2012 wurden in der EU 18 Gentherapien zugelassen, drei wurden zurückgezogen
Fünfzehn Gentherapien sind aktuell in der Europäischen Union zugelassen, drei wurden bereits wieder vom Hersteller zurückgezogen.

Gentherapie

  • Gentherapie – hartnäckige Probleme gefährden den Erfolg mehr...
  • Warum sind Gentherapie so teuer? mehr...
  • Warum dauert die Entwicklung so lange? mehr...
  • Genfähren: Viren ermöglichen die Gentherapie mehr...

Zugelassene Therapien

  • Zolgensma – spinale Muskelatrophie mehr...
  • Strimvelis – tödliche Immunschwäche ADA-SCID mehr...
  • Luxturna – frühkindliche Erblindung mehr...
  • Libmeldy – metachromatische Leukodystrophie mehr...
  • Roctavian – Hämophilie A mehr...
  • Hemgenix – Hämophilie B mehr...
  • Upstaza – AADC-Mangel mehr...
  • Casgevy – Sichelzellkrankheit und ß-Thalassämie mehr...
  • Durveqtix – Hämophilie B mehr...

Mögliche Anwendungen

  • Elevidys – Duchenne Muskeldystrophie mehr...
  • Vyjuvek – Schmetterlingskrankheit mehr...
  • Lumevoq gegen erbliche Erblindung mehr...
  • Gentherapien sollen das Herz stärken mehr...
  • Gentherapie für Parkinson und Alzheimer mehr...
  • Genscheren gegen AIDS und Blutkrebs mehr...

Zurückgezogene Therapien

  • Zynteglo – ß-Thalassämie mehr...
  • Skysona – zerebrale Adrenoleukodystrophie mehr...
  • Glybera – die erste Gentherapie scheiterte rasch mehr...
Gentherapie

⇒ Allgemein

  • Gentherapie – hartnäckige Probleme gefährden den Erfolg mehr...
  • Warum sind Gentherapie so teuer? mehr...
  • Warum dauert die Entwicklung so lange? mehr...
  • Genfähren: Viren ermöglichen die Gentherapie mehr...

⇒ Zugelassene Therapien

  • Zolgensma – spinale Muskelatrophie mehr...
  • Strimvelis – tödliche Immunschwäche ADA-SCID mehr...
  • Luxturna – frühkindliche Erblindung mehr...
  • Libmeldy – metachromatische Leukodystrophie mehr...
  • Upstaza – AADC-Mangel mehr...
  • Roctavian – Hämophilie A mehr...
  • Hemgenix – Hämophilie B mehr...
  • Casgevy – Sichelzellkrankheit und ß-Thalassämie mehr...
  • Durveqtix – Hämophilie B mehr...

⇒ Mögliche Anwendungen

  • Elevidys – Duchenne Muskeldystrophie mehr...
  • Vyjuvek – Schmetterlingskrankheit mehr...
  • Lumevoq gegen erbliche Erblindung mehr...
  • Gentherapien sollen das Herz stärken mehr...
  • Gentherapie für Parkinson und Alzheimer mehr...
  • Genscheren gegen AIDS und Blutkrebs mehr...

⇒ Zurückgezogene Therapien

  • Zynteglo – ß-Thalassämie mehr...
  • Skysona – zerebrale Adrenoleukodystrophie mehr...
  • Glybera – die erste Gentherapie scheiterte rasch mehr...
CAR-T-Zellen
  • CAR-T-Zellen bekämpfen Krebs trotz Tarnung mehr...
  • Bei welchen Erkrankungen helfen CAR-T-Zelltherapien? mehr...
  • CAR - künstlicher Rezeptor aus dem Baukasten mehr...
  • CAR-T-Zellen haben schwere Nebenwirkungen mehr...
  • CAR-T-Zellen erzeugen Zytokinsturm mehr...
  • CAR-T-Zellen gegen Autoimmunerkrankungen mehr...
Zugelassene CAR-T-Zelltherapien
  • Kymriah: Erste CAR-T-Zelltherapie bekämpft Leukämie mehr...
  • Yescarta: CAR-T-Zellen bekämpfen B-Zell-Lymphome mehr...
  • Tecartus: CAR-T-Zelltherapie bei Mantelzell-Lymphom mehr...
  • Breyanzi: CAR-T-Zelltherapie gegen B-Zell-Lymphome mehr...
  • Abecma: CAR-T-Zelltherapie gegen Multiples Myelom mehr...
  • Carvykti: CAR-T-Zelltherapie gegen Multiples Myelom mehr...

Studien mit Gentherapien

Zwischen 1989 und 2020 wurden über 3000 Gentherapie-Studien durchgeführt
Zugelassene Gentherapie-Studien 1989-2020 (Quelle: The Journal of Gene Medicine)

Kurz und knapp

  • Gentherapien heilen Erbkrankheiten durch das Einschleusen einer fehlerfreien Genkopie
  • dreizehn Gentherapien sind in Europa gegen seltene Erbkrankheiten und Blutkrebs zugelassen
  • Genfähren können Entzündungsreaktionen oder Krebs auslösen
  • einige Gentherapien bringen eher Linderung als Heilung
  • hohe Kosten erschweren eine breite Anwendung
OK

Diese Webseite verwendet Cookies, die für das Bereitstellen der Seiten und ihrer Funktionen technisch notwendig sind.    Info