Adulte Stammzellen – bewährte und neue Anwendungen in der Medizin

Seit Jahrzehnten werden adulte Stammzellen bei schweren Erkrankungen eingesetzt. Die Entwicklung neuer Therapien kommt jedoch nur langsam voran.

Stammzellentherapie mit Knochenmark

Knochenmark enthält unterschiedliche Stammzell-Typen, die sich zu unterschiedlichen Geweben entwickeln.

Verbrennungen, Krebs und Erbkrankheiten: Vor allem Stammzellen aus Haut und Knochenmark haben in den vergangenen Jahrzehnten unzählige Leben gerettet. Diese Stammzellen sind leicht zugänglich und wachstumsfreudig – und damit für die Medizin bestens geeignet.

Schon lange versuchen Forschende, Stammzellen auch bei anderen Erkrankungen einzusetzen. Im Fokus stehen Herzkrankheiten und Entzündungsreaktionen. Doch trotz großer Anstrengungen blieben die Erfolge meist aus – nur wenige Therapien wurden neu zugelassen.

Inhalte

Vorteile – Regeneration mit körpereigenen Zellen

Stammzelltherapien können Verletzungen auf natürliche Weise heilen. Die Regenerationsfähigkeit des menschlichen Körpers wird gezielt gestärkt: Bei der Heilung entsteht gesundes Gewebe, das seine Aufgaben nahezu uneingeschränkt erfüllen kann.

Adulte Stammzellen haben einen besonderen Vorteil: Erkrankte können mit ihren eigenen Zellen behandelt werden. Eine unbeabsichtigte Übertragung von Bakterien und Viren ist damit nahezu ausgeschlossen. Auch ist es sehr unwahrscheinlich, dass adulte Stammzellen die Entstehung von Krebs fördern – bei embryonalen und iPS-Zellen ist das Risiko deutlich höher.

Zusätzlich werden körpereigene Zellen nicht vom Immunsystem angegriffen. Damit entfällt eine lebenslange Behandlung mit Medikamenten, wie sie häufig bei Herz- oder Nierentransplantationen notwendig ist.

Adulte Stammzellen aus Haut und Blut haben noch einen weiteren Vorteil: Sie sind vergleichsweise leicht zugänglich und in großer Zahl zu gewinnen. Außerdem vermehren sie sich sehr gut, sowohl innerhalb als auch außerhalb des Körpers.

Nachteile – oft zu wenige Zellen für die Therapie

Abgesehen von Haut und Blut sind adulte Stammzellen meist schwer zugänglich. Sie sind tief im Körpergewebe verborgen und bei einer Operation schlecht zu erreichen. Zudem kommen sie oft nur in sehr geringer Zahl im Körper vor und lassen sich im Labor kaum vermehren. Für eine medizinische Anwendung sind diese Zellen schlecht geeignet.

Im Gehirn eines Erwachsenen sind Stammzellen fast gar nicht zu finden. Deshalb sind adulte Stammzelltherapien bei neurologische Erkrankungen kaum möglich. Experimentelle Studien, z.B. zur Parkinson-Krankheit, werden daher mit anderen Stammzelltypen durchgeführt.

Bewährte Therapien mit adulten Stammzellen

Stammzellen aus Blut und Haut werden seit vielen Jahrzehnten in der Medizin eingesetzt. Sie können jedoch nur bei einer begrenzten Anzahl von Krankheiten eingesetzt werden.

Transplanation von Blutstammzellen

Die Stammzellen des Blutes haben ihren Sitz im Knochenmark. Dort bilden sie alle Bestandteile des Blutes: rote Blutkörperchen, weiße Immunzellen und die Blutplättchen. Die Stammzellen sind sehr vermehrungsfreudig und finden nach einer Infusion über das Blut selbständig in das Knochenmark zurück. Je nach Erkrankung können körpereigene Zellen (autologe Transplantation) oder Zellen eines fremden Spenders (allogene Transplantation) verabreicht werden.

Ein weiterer großer Vorteil: Blutstammzellen sind leicht zugänglich und können aus drei Quellen gewonnen werden1:

  • Knochenmark: Dies erfordert eine Operation am Hüftknochen, die für den Spender sehr belastend ist. Dieser Eingriff wird heute seltener durchgeführt.
  • Blut: Botenstoffe locken die Stammzellen aus dem Knochenmark ins Blut, wo sie leichter zugänglich sind. Heute die häufigste Quelle für Blutstammzellen.
  • Nabelschnur: Das Ausbluten der Nabelschnur ermöglicht den Zugriff auf junge und kaum vorbelastete Zellen. Das Verfahren stellt weder für das Neugeborene noch für die Mutter ein Risiko dar. Allerdings ist die Zahl der gewonnenen Blutstammzellen gering.

Die Transplantation von Blutstammzellen ist ein schwerwiegender Eingriff. Das Knochenmark des Empfängers muss dabei zerstört werden. Stammt das Transplantat von einem fremden Spender, kann es zu Abstoßungsreaktionen kommen. Diese sind zwar meist mit Medikamenten beherrschbar, können aber auch einen lebensbedrohlichen Verlauf nehmen.

Verläuft der Eingriff jedoch wie geplant, können die transplantierten Stammzellen das Blut- und Immunsystem des Empfängers vollständig wiederherstellen. Da sich die Immunzellen im ganzen Körper ausbreiten, können sie auch einige Stoffwechselerkrankungen lindern.

Am häufigsten werden Blutstammzellen eingesetzt bei

  • Leukämien, Lymphome und Myelome
  • Erbkrankheiten des blutbildenden Systems wie Sichelzellanämie oder ß-Thalassämie
  • erbliche Immunschwächen
  • erbliche Stoffwechselkranheiten wie Mukopolysaccharidosen

Transplantation von Haut

Schwere Verbrennungen können die Haut so stark schädigen, dass eine natürliche Selbstheilung kaum mehr möglich ist. Seit einigen Jahrzehnten werden solche Wunden mit der Transplantation eigener Haut behandelt. Dabei entnehmen Ärzte kleine Hautstücke aus gesunden Bereichen und bringen sie auf die Wunde auf. Gesunde Hautstücke können sich um ein Vielfaches ausdehnen und große Flächen bedecken.

Die oberste Hautschicht enthält zahlreiche Arten von Stammzellen, die zusammen eine funktionsfähige Haut bilden2. Diese Stammzellen werden zusammen mit den Hautstücken transplantiert und ermöglichen die Wundheilung.

Bei sehr großflächigen Verbrennungen ist eine Behandlung mit Hautstücken nicht mehr möglich. Spezialisierte Firmen können jedoch einzelne Zellen aus der Haut gewinnen, aus denen im Labor größere Gewebestücke hergestellt werden. Dieses Verfahren ist jedoch teuer und wird nur von Spezialkliniken angewendet. Außerdem enthalten die im Labor hergestellten Hautstücke keine Haarfollikel, Schweiß- und Talgdrüsen.

Neuere adulte Stammzelltherapien

Holoclar – bei Trübung der Augen-Hornhaut

Schwere Verbrennungen und Verätzungen des Auges können dazu führen, dass limbale Stammzellen in der Hornhaut verloren gehen. Die Regenerationskraft der Hornhaut reicht dann nicht mehr aus, um die äußere Schicht des Auges durchsichtig zu halten. Die Hornhaut trübt sich ein und das Sehvermögen geht allmählich verloren.

In einigen Fällen kann eine kleine Restmenge an limbalen Stammzellen im Auge verbleiben. Die italienische Firma Holostem kann diese Stammzellen im Labor vermehren und ein Gewebestück von etwa zwei Zentimetern Durchmesser herstellen. Dieses Gewebestück kann dann die getrübte Hornhaut des geschädigten Auges ersetzen. Etwa 3 von 4 Patienten können nach diesem Eingriff wieder sehen.

Die Therapie wurde 2015 unter dem Namen Holoclar in der Europäischen Union zugelassen.

Alofisel bei Komplikationen von Morbus Crohn

Morbus Crohn ist eine entzündliche Darmerkrankung, die mit zahlreichen Komplikationen einhergeht. Eine davon sind Fisteln im Analbereich. Dabei handelt es sich um unnatürliche Verbindungen zwischen dem Enddarm und der Körperoberfläche, die sehr schmerzhaft sein können.

Die Stammzelltherapie Alofisel kann die Heilung der Fisteln unterstützen. Dazu werden mesenchymale Stammzellen aus dem Fettgewebe fremder Spender verwendet. Allerdings schlägt die Therapie nur bei einem Teil der Behandelten an.

In der Europäischen Union ist Alofisel seit 2018 zugelassen.

Prochymal bei Transplantatabstoßung

Die Transplantation von Blutstammzellen kann eine Abstoßungsreaktion auslösen: Die neu gebildeten Immunzellen greifen dann das Körpergewebe des Empfängers an. In schweren Fällen kann diese Graft-versus-Host-Reaktion (GvHR) lebensbedrohlich sein.

Die Stammzelltherapie Prochymal soll diese Entzündungsreaktion lindern. Sie basiert auf mesenchymalen Stammzellen aus dem Knochenmark fremder Spender. Der Nutzen der Therapie ist jedoch nicht eindeutig belegt.

Prochymal ist in Kanada, Neuseeland und Japan (unter dem Namen TemCell) zugelassen.

Experimentelle Studien

Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Das Herz besitzt keine Stammzellen und kann sich daher kaum selbst erneuern. Schwere Schäden am Herzmuskel und den versorgenden Blutgefäßen lassen sich nur selten wirksam behandeln. Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind auch deshalb die häufigste Todesursache in der westlichen Welt.

Bei einem Infarkt sterben bis zu einer Milliarde Herzmuskelzellen ab. Zahreiche Studien haben versucht, mit adulten Stammzelltherapien die Folgen eines Herzinfarktes zu lindern. Die Therapien können die verlorenen Zellen zwar nicht ersetzen, sollen aber die Funktion des Herzgewebes unterstützen.

Ein Übersichtsartikel hat die Ergebnisse von Studien zusammengestellt, die körpereigene Stammzellen aus dem Knochenmark nach einem Herzinfarkt getestet haben3. Berücksichtigt wurden 53 Studien mit insgesamt rund 4200 Teilnehmern.

Die Ergebnisse gaben allerdings wenig Anlass zur Hoffnung. Zwar stieg die Pumpleistung des Herzens im Durchschnitt um knapp 2 Prozent. Klinisch relevante oder für den Behandelten spürbare Verbesserungen blieben jedoch aus: Die Stammzelltherapien hatten keinen Einfluss auf die Zahl der Todesfälle, Folgeinfarkte oder Krankenhausaufenthalte. Auch die Lebensqualität der Studienteilnehmer erhöhte sich nicht signifikant.

Leberversagen und -zirrhose

Die Leber kann durch Fehlernährung, Infektionen und Giftstoffe schwer geschädigt werden. Als Folge kann sich eine Leberzirrhose entwickeln. Seltener ist ein akutes Leberversagen, das oft durch Viren oder eine Überdosierung von Schmerzmitteln ausgelöst wird.

Einige Studien versuchen, die Entzündungsreaktion bei schweren Leberschäden mit mesenchymalen Stammzellen zu stoppen. Dies soll eine Narbenbildung verhindern und die Funktion der Leber erhalten. Insgesamt nahmen etwa 500 Personen mit verschiedenen Lebererkrankungen an mehr als 20 Studien teil4. Eindeutige Verbesserungen wurden bislang jedoch nicht erzielt.

Fazit

Adulte Stammzellen sind in der Medizin fest verankert und werden auch in Zukunft viele Leben retten. Doch die Entwicklung neuer Therapien steht vor großen Hürden.

Gleichzeitig haben adulte Stammzellen Konkurrenz bekommen: Ihre pluripotenten Verwandten – embryonale und iPS-Zellen – sind deutlich wandlungsfähiger und wachstumsfreudiger. Diese Fähigkeiten werden derzeit in vielen Studien getestet – und könnten langfristig adulte Stammzelltherapien in den Hintergrund drängen.

Teil 1/2: Adulte Stammzellen – Selbstheilung des Körpers
Teil 2/2: Neue Therapien – Stillstand bei adulten Zellen
1 Snowden et al., Indications for haematopoietic cell transplantation for haematological diseases, solid tumours and immune disorders: current practice in Europe, 2022, Bone Marrow Transplantation, August 2022 (Link)
2 Lecomte et al., Cell death as an architect of adult skin stem cell niches, Cell Death and Differentiation, August 2024 (Link)
alle Referenzen anzeigen 3 Zwetsloot et al., Stem cell treatment for acute myocardial infarction, Cochrane Database Systematic Reviews, August 2024 (Link)
4 Shokravi et al., Mesenchymal stromal cells (MSCs) and their exosome in acute liver failure (ALF): a comprehensive review, Stem Cell Research & Therapy, Mai 2022 (Link)

Stammzellentherapie mit Knochenmark

Knochenmark enthält unterschiedliche Stammzell-Typen, die sich zu unterschiedlichen Geweben entwickeln.
Die Entwicklung neuer Stammzelltherapien setzt häufig auf das altbewährte Knochenmark.

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Definition: Adulte Stammzellen

Adulte Stammzellen regenerieren fast alle Gewebe eines Körpers, beginnend mit der Geburt. Sie können unterschiedliche Zelltypen hervorbringen, sind dabei aber auf ein Gewebe festgelegt.

Kurz und knapp

  • Stammzellen aus dem Blut und der Haut haben sich in der Medizin bewährt
  • neuere adulte Therapien werden bei Hornhautrübungen, Transplantatabstoßungen und Darmerkrankungen eingesetzt
  • viele andere adulte Stammzellarten eignen sich weniger für die Therapie
  • experimentelle Studien bei Herz- und Lebererkrankung waren bislang wenig erfolgreich
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