Ärzte gegen Einlagerung von Nabelschnurblut
Nabelschnurblut kann in Zukunft das eigene Kind schützen – versprechen private Nabelschnurbanken. Ärzte halten dagegen, dass es bislang kaum Anwendungen gibt.
Tausende Kinder verdanken ihr Leben gespendetem Nabelschnurblut – es ist oft die letzte Hilfe bei hartnäckigem Blutkrebs. Doch öffentliche Banken können nur einen Bruchteil des wertvollen Bluts einlagern, chronischer Geldmangel setzt ihren Möglichkeiten enge Grenzen.
Eine Alternative bieten private Nabelschnurblutbanken. Deren Kapazität ist deutlich größer, und fast jede Blutprobe kann eingelagert werden. Die Kosten müssen die Eltern jedoch selbst tragen.
Wie sinnvoll ist eine private Einlagerung von Nabelschnurblut? Die Ansichten von Anbietern und Ärzten liegen hier oft weit auseinander. Ihre Perspektive ist zu unterschiedlich: Ärzte blicken auf die Gegenwart, während private Anbieter in die Zukunft schauen. Fortschritte in der Medizin könnten die gegensätzlichen Lager jedoch in absehbarer Zeit versöhnen.
Vorteile von Nabelschnurblut
Unbestritten ist, dass Stammzellen aus dem Nabelschnurblut zahlreiche Vorteile bieten. Sie sind sehr jung, Schäden am Erbgut bleiben daher auf ein Minimum reduziert. Auch sind sie sofort einsatzbereit – bei leukämiekranken Kindern ist Nabelschnurblut daher das Mittel der ersten Wahl.
Außerdem sind die Stammzellen aus der Nabelschnur leicht zugänglich. Die Hebamme fängt das Nabelschnurblut direkt nach der Geburt in einem Behälter auf – für Mutter und Kind ist das völlig schmerzfrei. Nachteile gibt es kaum, der leichte Verlust von Blut und dem darin enthaltenen Eisen bereitet einem gesunden Baby wenig Probleme1.
Die Kosten für eine private Einlagerung sind moderat, je nach Anbieter beginnen sie bei etwa 2000 Euro. Dafür wird das Blut mindestens 20 Jahre lang aufbewahrt, gut gekühlt bei -196 °C in Behältern mit flüssigem Stickstoff.
Die Stammzellen können so Jahrzehnte überdauern, ohne ihre heilenden Fähigkeiten zu verlieren. Bei einer Erkrankung sind dann körpereigene Zellen verfügbar, die sofort helfen können – ohne die Gefahr von Unverträglichkeiten und verschleppten Infektionen.
Welche Krankheiten werden geheilt?
Doch bei welchen Krankheiten sollen diese Zellen helfen? Nach dem heutigen Stand der Medizin sind das nicht allzu viele. Denn fast alle Therapien – gegen Blutkrebs und Erbkrankheiten etwa – verwenden bislang Blut von fremden oder erwachsenen Spendern. Eigenes Nabelschnurblut wird nur in Ausnahmefällen eingesetzt.
Der Grund: Bei kleinen Kindern, die an Blutkrebs erkranken, haben sich Vorläufer der Krebszellen oft schon vor der Geburt gebildet5. Die Vorläufer wandern auch in die Nabelschnur, bei einer Transplantation würden sie wieder zurück in den Körper gebracht. Eigenes Nabelschnurblut erhöht daher in den ersten Lebensjahren die Gefahr, dass der Krebs erneut ausbricht.
Auch bei Erbkrankheiten ist das eigene Nabelschnurblut ungeeignet – die Zellen tragen den gleichen Gendefekt. Auch hier sind Stammzellen eines fremden Spenders die bislang einzige Lösung.
Die meisten Ärzte sind daher der Meinung, dass es – nach dem heutigen Stand der Medizin – keine Anwendungsmöglichkeiten für die eigenen Nabelschnur-Stammzellen gibt. Sie raten daher von einer Einlagerung in private Nabelschnurblutbanken ab2-4.
Mehr als Blutkrebs und Erbkrankheiten?
Private Nabelschnurblutbanken hingegen schauen in die Zukunft. Sie verweisen darauf, dass die Entwicklung neuer Therapien mit Nabelschnurblut rasch voranschreitet. So wird schon heute Nabelschnurblut meist bei Erwachsenen eingesetzt. Neue Methoden, mit denen die Nabelschnurzellen um ein Vielfaches vermehrt werden, könnten in einigen Jahren einsatzbereit sein und diesen Trend weiter verstärken.
Auch jenseits von Blutkrebs und Erbkrankheiten besteht Hoffnung. Kleine experimentelle Studien laufen für Typ-1-Diabetes und Autismus. Große Hoffnungen haben einzelne Erfolge bei der Behandlung von Hirnschädigungen geweckt, die durch Komplikationen während der Geburt verursacht werden. Diese Studien stecken jedoch noch in den Kinderschuhen, auf aussagekräftige Ergebnisse wird man noch einige Jahre warten müssen.
Noch spekulativer ist die Hoffnung auf Fortschritte bei der Gentherapie oder bei der iPS-Zelltechnologie. Stammzellen aus dem Nabelschnurblut sind für beide Anwendungen gut geeignet – auf lange Sicht könnten sich auch hier neue Möglichkeiten eröffnen.
Mittlerweile ist es auch möglich, Stammzellen aus dem Stützgewebe der Nabelschnur einzulagern. Diese mesenchymalen Zellen sind sehr wandlungsfähig und sollen bei der Regeneration von Organen und Behandlung von Immunstörungen helfen.
Lebensversicherung oder Hoffnung?
Ein Durchbruch bei einer dieser Studien wäre ein Wendepunkt: Viele Ärzte, die bislang von der privaten Einlagerung abrieten, müssten ihren Standpunkt überdenken7. Hirnschädigungen bei der Geburt etwa sind eine relativ häufige Komplikation, die eine vorsorgende Einlagerung von Nabelschnurblut auch medizinisch rechtfertigen könnten.
Es ist zum Glück sehr unwahrscheinlich, dass ein Kind in den ersten Lebensjahren Nabelschnurblut benötigt. Auch deshalb ist bislang nur ein Bruchteil der Eigenspenden eingesetzt worden6. Noch ist das Einfrieren dieser Stammzellen keine Lebensversicherung für das eigene Kind, sondern eine Hoffnung auf den Fortschritt der Medizin.
Wer nicht auf eigene Kosten einlagern will, hat in manchen Kliniken die Möglichkeit, das Nabelschnurblut einer öffentlichen Spenderbank zu überlassen: Das kann einem schwerkranken Kind das Leben retten – auch wenn es nicht das eigene ist.
Teil 2/4: Hoffnung auf neue Therapien mit Nabelschnurblut
Teil 3/4: Öffentliche oder private Banken – wo spenden?
Teil 4/4: Nabelschnurblut einfrieren – Pro und Contra
2 Thronley et al., Private Cord Blood Banking: Experiences and Views ..., Pediatrics (2009) (Link)
alle Referenzen anzeigen
3 Samuel et al., Umbilical cord blood banking: public good or private benefit?, MJA (2008), vol. 188, pp. 533-5 (Link)4 Reimann et al., Stammzellen aus Nabelblut in der Transplantations- und regenerativen Medizin, Dt. Ärzteblatt 2009, vol. 106 pp. 831-6 (Link)
5 M. Greaves, Pre-natal origins of childhood leukemia, Rev. Clin. Exp. Hematol. (2003), vol. 7, pp. 233-45 (Link)
6 Chou et al., Expansion of Human Cord Blood Hematopoietic Stem Cells for Transplantation, Cell Stem Cell (2010), vol. 7, pp. 427-8 (Link)
7 Ballen et al., Umbilical cord blood donation: public or private?, Bone Marrow Transplantation 2015 (Link)
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Kurz und knapp
- Stammzellen aus dem Nabelschnurblut sind leicht zu gewinnen, weitgehend frei von Umweltschäden und sehr vermehrungsfreudig
- Nabelschnurblut kann jahrzehntelang gelagert werden und Zellen aus dem Knochenmark ersetzen
- gegenwärtige Therapien basieren jedoch oft auf körperfremden Stammzellen oder auf Spenden von Erwachsenen
- trotz moderater Kosten sprechen sich daher viele Experten gegen die Einlagerung von Nabelschnurblut bei privaten Banken aus
- private Anbieter halten dagegen, dass es in Zukunft viel mehr Anwendungsmöglichkeiten für das eigene Nabelschnurblut geben könnte