Embryonale Stammzellen: Religionen uneins über Lebensrecht des Embryos

Was sagt Gott - oder wenigstens seine irdischen Vertreter - zur Stammzellforschung? Da Grundfragen des Lebens aufgeworfen werden, haben Religionen einiges beizutragen.

Christliche Auffassungen prägen die westliche Ethik, und gerade im Streit um embryonale Stammzellen ist der Einfluss der Kirchen immens: Die katholische Kirche und evangelikale Gemeinden in den USA nutzen all ihren Einfluss, um die Forschung auf diesem Gebiet zu stoppen.

Bibel aus dem 19. Jahrhundert
Die Bibel wusste noch nichts von Stammzellen, aber ihre Ethik bestimmt die aktuelle Debatte.

Aber auch bei anderen Religionen stellt sich die Frage, ob die Stammzell­forschung mit ihren Glaubenssätzen vereinbar ist. Im Zentrum steht die Zerstörung von Embryonen, für viele ein großes moralisches Dilemma.

Eine der zentralen Frage lautet: Ist der frühe Embryo schon ein vollwertiger Mensch? Die katholische Kirche beant­wortet dies mit einem klaren Ja, islamische und jüdische Religionen hingegen sagen eindeutig Nein.

Protestantische Christen, Hindus und Buddhisten tendieren ebenfalls dazu, einen fünf Tage alten Embryo als Mensch zu betrachten. Aber sie stellen zusätzlich eine zweite Frage: Können wir kranken Menschen die Chance auf Heilung verwehren? Ihr moralisches Dilemma ist ungleich komplizierter - und weit davon entfernt, aufgelöst zu sein.

Katholische und orthodoxe Kirchen, evangelikale Christen

Die Bibel macht keine eindeutige Aussage darüber, ab wann der Embryo als Mensch zu betrachten ist. Doch die Dogmen dieser Kirchen sind eindeutig: Das menschliche Leben beginnt mit der Befruchtung. Und genau wie Abtreibung und Empfängnisverhütung vehement abgelehnt werden, ist auch die Forschung mit embryonalen Stammzellen in ihren Augen eine Sünde. mehr...

Protestantische Christen

Gemäßigte protestantische Christen - darunter auch die deutsche Evangelische Kirche - nehmen einen abwägenden Standpunkt ein: Zwar beginnt auch für sie das menschliche Leben mit der befruchteten Eizelle, und dessen Schutzwürdigkeit wird eindeutig bejaht. Aber sie verschließen sich nicht dem Argument, dass aus der Forschung an embryonalen Zellen in Zukunft neue Heilmethoden entstehen könnten, die wiederum viel Leid lindern. So ist die deutsche Evangelische Kirche zu Kompromissen bereit: Die Forschung an embryonalen Stammzellen wird unter bestimmten Voraussetzung und für einen begrenzten Zeitraum unterstützt. mehr...

Die jüdische Religion

Die jüdischen religiösen Schriften sind eindeutig: Erst an Tag 40 nach der Befruchtung erhält der Embryo eine Seele. Davor gilt er zwar als lebendig, aber noch nicht als Person. Noch geringer ist der Status von Embryonen, die in der Petrischale für eine künstliche Befruchtung erzeugt wurden: Ohne Verbindung zum Mutterleib haben sie auch keinen schützenswerten moralischen Status. Da die jüdische Bioethik gleichzeitig den Schutz des Lebens betont, sieht man die embryonale Stammzellforschung vor allem als Möglichkeit, in Zukunft Krankheiten zu heilen1. Daher wird die Forschung mit embryonalen Stammzellen weitgehend unterstützt - solange die Embryonen nicht extra dafür geschaffen werden.

Der Islam

In der islamischen Vorstellung betritt die Seele erst zwischen Tag 40 und 120 den Fötus. Davor ist der Embryo zwar nicht grundsätzlich schutzlos, hat aber einen relativ geringen moralischen Status - auch wenn die Meinungen der muslimischen Gelehrten da weit auseinander gehen. Bei Embryonen, die in der Petrischale erzeugt wurden, ist die Einigkeit allerdings deutlich größer: Außerhalb des Mutterleibs gelten sie nicht als Leben im religiösen Sinn2. Für viele Muslime ist daher die Forschung an embryonalen Stammzellen mit ihrem Glauben vereinbar.

Im Jahr 2014 war Jordanien das erste arabische Land, das die Forschung und medizinische Anwendung von embryonalen Stammzellen erlaubte3. Ein entsprechendes Gesetz erhielt die ausdrückliche Zustimmung von islamischen Gelehrten. Voraussetzung ist, dass das Endziel die Verbesserung der menschlichen Gesundheit ist. Die Forschung bleibt jedoch öffentlichen Instituten vorbehalten, da diese strengeren Kontrollen unterliegen. Das Gesetz zielt allerdings auf die Zukunft - noch gibt es in Jordanien keine Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen.

Hinduismus

Der Anfang des menschlichen Leben ist für Hindus eindeutig festgelegt: Wenn Eizelle und Samen verschmelzen, betritt auch die Seele den entstehenden Embryo4. Da auch der Schutz des Lebens hohen Stellenwert hat, scheint eine Ablehnung der embryonalen Stammzellforschung die logische Folge. Doch das Problem ist vertrackter: Anders als im Westen kreist die Debatte nicht nur um das Lebensrecht des Embryos, sondern auch um die Absichten der handelnden Personen - wenn sie damit aufrichtig Gutes anstreben, könnte es auch moralisch akzeptabel sein. Jedoch ist diese Debatte weit davon entfernt, abgeschlossen zu sein.

Buddhismus

Auch Buddhisten neigen zu der Auffassung, dass die Seele zu einem sehr frühen Zeitpunkt den Körper betritt. Wann genau, bleibt allerdings offen, wie der Dalai Lama selbst formuliert5: "Für die Entstehung von Leben, damit etwas tatsächlich ein Mensch wird, wird etwas mehr benötigt als nur eine befruchtete Eizelle."

Die Haltung zur embryonalen Stammzellforschung ist daher gespalten. Während die Deutsche Buddhistische Union eine eindeutig ablehnende Erklärung formulierte6, wies eine Umfrage unter malaysischen Buddhisten auf eine überwältigende Zustimmung hin4. Auch im Buddhismus ist diese Frage daher noch nicht endgültig geklärt7.

Allgemeine Quellen:

Testimony before the National Bioethics Advisory Commission, USA (1999) Ethical Issues in Human Stem Cell Research: Religious Perspectives (Link)
Fundamentals of the Stem Cell Debate, University of California Press (2007), ISBN 0520252128
William Neaves, The status of the human embryo in various religions, Development 2017 (Link)

Referenzen

1 Dorff, Ethical Issues in Human Stem Cell Research (1999), vol. 3, pp. C1-5
2 Al-Sayyari, Ethical Aspects of Stem Cells Research, Saudi J Kidney Dis Transpl (2005), vol. 16, pp. 606-11
alle Referenzen anzeigen 3 R. Dajani, Jordan's stem-cell law can guide the Middle East, Nature 2014, vol. 510, p. 189 (Link)
4 Sivaraman und Noor, Ethics of embryonic stem cell research according to Buddhist, Hindu, Catholic, and Islamic religions: Perspective from Malaysia, Asian Biomed. 2014 (Link)
5 Dalai Lama, When does a stem cell become a human being?, Mandala March/May 2003 (Link)
6 Deutsche Buddhistische Union, Buddhisten und die Gentechnik, Tibet und Buddhismus, Heft 58, 2001 (Link)
7 J. Schlieter, Die buddhistische Haltung zum Klonen des Menschen, Zeitschr. f. Religionswiss.,12, 2004 (Link)
Bibel aus dem 19. Jahrhundert
Die Bibel wusste noch nichts von Stammzellen, aber ihre Ethik bestimmt die aktuelle Debatte.

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