Welche Arten von Stammzellen gibt es?
Embryonale, adulte oder iPS – es gibt viele Arten von Stammzellen. Sie unterscheiden sich vor allem in ihrer Herkunft und Entwicklungsfähigkeit.
Stammzellen bilden den menschlichen Körper mit all seinen Geweben. Sie sorgen auch für den Erhalt und die Regeneration vieler Organe.
Um diese unterschiedlichen Aufgaben zu erfüllen, müssen sie vielfältige Eigenschaften und Fähigkeiten aufweisen. Kein Wunder also, dass es auch viele verschiedene Arten von Stammzellen gibt1.
Forschende bringen Ordnung in diese verwirrende Vielfalt der Stammzellen, indem sie sich vor allem auf zwei wichtige Eigenschaften konzentrieren:
- Herkunft: Aus welchem Körpergewebe stammen die Zellen? In welchem Entwicklungsstadium treten sie auf?
- Entwicklungsfähigkeit: Kann sich aus den Stammzellen ein ganzer Mensch entwickeln? Oder nur einzelne Organe oder Gewebe?
Anhand dieser beiden Merkmale lassen sich ungefähr acht verschiedenen Arten von Stammzellen unterscheiden:
- Totipotente Stammzellen...
- Pluripotente Stammzellen...
- Multipotente Stammzellen...
- Embryonale Stammzellen...
- Fetale Stammzellen...
- Adulte Stammzellen...
- Kerntransfer...
- iPS-Zellen...
1. Die Entwicklungsfähigkeit der Stammzellen
Die wichtigste Aufgabe der Stammzellen besteht darin, andere Zellen hervorzubringen. Diese bilden dann die verschiedenen Gewebe des Körpers oder reparieren entstandene Schäden. Doch nicht jede Stammzelle hat die gleiche Entwicklungsfähigkeit. Forschende nutzen dieses Merkmal, um drei verschiedene Formen von Stammzellen zu unterscheiden.
1.1 Totipotente Stammzellen
Die entwicklungsfähigste Stammzelle ist das befruchtete Ei, auch Zygote genannt. Aus ihr entsteht nicht nur der Embryo, sondern auch ein Teil der Plazenta. Die Plazenta versorgt den Embryo mit allem, was er braucht – ohne sie kann sich das Kind im Mutterleib nicht entwickeln.
Aus der Eizelle kann also ein ganzer Mensch entstehen – sie gilt damit als totipotent. Diese Fähigkeit geht jedoch nach der zweiten oder dritten Zellteilung verloren.
1.2 Pluripotente Stammzellen
Bestimmte Arten von Stammzellen können noch alle menschlichen Gewebe bilden. Sie haben aber die Fähigkeit verloren, eine Plazenta zu bilden – ein ganzer Mensch kann aus ihnen nicht mehr entstehen. Diese Stammzellen werden als pluripotent bezeichnet.
Im menschlichen Embryo entstehen pluripotente Stammzellen etwa nach der dritten Teilung der Eizelle. Die Pluripotenz geht dann nach dem fünften Tag verloren, wenn sich der Embryo als Blastozyste in die Gebärmutter einnistet.
Pluripotente Stammzellen können auch im Labor erzeugt werden, zum Beispiel durch Kerntransfer oder genetische Umprogrammierung (siehe unten). Aber auch diese Zellen verlieren rasch ihre pluripotenten Eigenschaften, wenn sie nicht von Forschenden unter speziellen Kulturbedingungen gehalten werden.
1.3 Multipotente Stammzellen
In vielen Körpergeweben finden sich Stammzellen, die zu dem Erhalt oder der Reparatur der Organe beitragen. Sie entwickeln sich in der Regel nur zu Zelltypen, die auch zu diesen Geweben gehören. Diese eingeschränkte Entwicklungsfähigkeit wird Multipotenz genannt.
Ein bekanntes Beispiel für multipotente Stammzellen findet sich im Knochenmark. Dort produzieren die Blutstammzellen täglich viele hundert Milliarden neuer Zellen. Sie erneuern damit alle Bestandteile des Blutes: die roten Blutkörperchen, die Blutplättchen und die verschiedenen Arten von Immunzellen.
2. Die Herkunft der Stammzellen
Stammzellen lassen sich auch über ihre Herkunft einorden. Herkunft hat dabei eine doppelte Bedeutung: Zum einen bezieht sie sich auf das Entwicklungsstadium – kommen die Stammzellen im Embryo, im Fetus oder im Erwachsenen vor? Zum anderen kann die Herkunft aber auch das Körpergewebe bezeichnen, in dem sich die Stammzellen befinden.
2.1 Embryonale Stammzellen
Etwa fünf Tage nach der Befruchtung entwickelt sich der Embryo zu einem kugelförmigen Gebilde – der Blastozyste. Die Blastozyste enthält eine Art von Stammzellen, aus denen sich später alle Körpergewebe entwickeln. Um diese pluripotenten Stammzellen zu gewinnen, muss die Blastozyste im Labor zerteilt werden. Die Zellen werden dabei vereinzelt und in der Petrischale vermehrt.
Im Labor entstehen so pluripotente Zelllinien, die sich schnell vermehren und äußerst wandlungsfähig sind. Dass sind die embryonalen Stammzellen. Seit Ende der 1990er Jahre entstanden zahlreiche Stammzelllinien, die in der Forschung intensiv genutzt wurden. Sie boten der Wissenschaft erstmals die Möglichkeit, die Merkmale der Pluripotenz im Labor zu untersuchen.
Erste Anwendungen in der Medizin ließen nicht lange auf sich warten: Im Jahr 2010 erhielt ein Querschnittsgelähmter erstmals eine Therapie mit embryonalen Stammzellen. In der Folgezeit haben dutzende weitere Studien ihre Möglichkeiten ausgetestet.
Ihr Einsatz ist jedoch ethisch umstritten, da für ihre Herstellung ein menschlicher Embryo zerstört werden muss. Heute werden embryonale Stammzellen häufig durch im Labor hergestellte iPS-Zellen ersetzt, die ähnliche Eigenschaften und Fähigkeiten aufweisen.
2.2 Fetale Stammzellen
Fetale Zellen sind eine Übergangsform: Nicht mehr so wandlungsfähig wie embryonale, aber deutlich wachstumsfreudiger als adulte Stammzellen. Gewonnen werden sie aus älteren Embryonen oder Feten, bei denen sich die inneren Organe bereits ausgebildet haben. Auch die Stammzellen sind dann schon weiter entwickelt und bereits auf ein bestimmtes Körpergewebe festgelegt – also nur noch multipotent2.
Eine Ausnahme bilden nur die Urkeimzellen der Keimdrüsenleiste: Diese sogenannten primordialen Stammzellen haben ähnliche Eigenschaften wie ihre embryonalen Verwandten. Sie eignen sich daher ebenfalls zur Herstellung pluripotenter Stammzelllinien.
Der Einsatz von fetalen Zellen ist in ethischer Hinsicht sehr problematisch. Sie werden meist aus abgetriebenen Feten gewonnen – ihre Anwendung löst damit kaum weniger Proteste aus als die Abtreibung selbst.
Hinzu kommen erhebliche praktische Probleme: Die Zahl der Stammzellen, die aus einem Fetus isoliert werden können, ist sehr gering und die Vermehrung schwierig. Es werden daher nur selten genügend Zellen zur Verfügung stehen, um eine große Zahl von Patienten zu behandeln.
Es erscheint daher fraglich, ob fetale Stammzellen jemals eine bedeutende Rolle in der Medizin spielen werden.
2.3 Adulte Stammzellen
Nach der Geburt enthält der Körper in der Regel nur adulte Stammzellen: Diese können nur Zellen eines einzigen Organs hervorbringen3. Sie sind also multipotente Zellen. Sie kommen besonders häufig in Organen vor, die großen Belastungen ausgesetzt sind – deren Regeneration ist die Hauptaufgabe der adulten Stammzellen.
Doch nicht jedes Organ ist auf sie angewiesen. Herz, Gehirn und Bauchspeicheldrüse erneuern sich bei Erwachsenen fast überhaupt nicht mehr, und so finden sich dort keine – oder zumindest nur sehr wenige – adulte Stammzellen.
Bereits seit Jahrzehnten spielen adulte Stammzellen eine wichtige Rolle in der Medizin. Blutstammzellen werden häufig bei Knochenmarktransplantationen eingesetzt. Stammzellen aus der Haut helfen bei Verbrennungen. Und zahlreiche Studien testen den Einsatz von Nabelschnur- und mesenchymalen Stammzellen.
Die meisten anderen Arten von adulten Stammzellen lassen sich meist nur schwer in der Medizin einsetzen. Denn viele Stammzellen kommen nur in geringer Zahl vor und lassen sich nur schwer aus dem menschlichen Körper gewinnen. Außerdem ist ihre Entwicklungsfähigkeit begrenzt. Eine Ausnahme bilden hier vielleicht noch die mesenchymalen Stammzellen – ihr Einsatz wird in vielen Studien untersucht.
3. Im Labor erzeugte Stammzellen
Forscher können Stammzellen auch gezielt im Labor erzeugen. Diese künstlichen Zellen ähneln ihren natürlichen Verwandten sehr, haben aber zwei große Vorteile: Sie lassen sich in großer Zahl herstellen und lösen kaum ethische Debatten aus.
3.1 Pluripotente Stammzellen durch Kerntransfer
Im Frühjahr 1997 machte das Schaf Dolly weltweit Schlagzeilen – es war der genetisch identische Klon eines anderen Schafes. Dolly entstand durch einen somatischen Kerntransfer: Der Kern einer normalen Körperzelle wird dabei in eine Eizelle überführt, deren eigener Kern zuvor entfernt wurde4.
Mit dieser Methode lassen sich auch pluripotente Stammzelllinien herstellen. Dabei entwickelt sich die veränderte Eizelle zunächst zu einer Blastozyste. Die Zellen der Blastozyste werden dann – ähnlich wie embryonale Stammzellen – in der Petrischale vermehrt und weiter gezüchtet.
Der somatische Kerntransfer ist allerdings eine sehr aufwendige und zeitraubende Methode. Er spielt daher in Forschung und Medizin nur eine untergeordnete Rolle.
3.2 Induzierte pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen)
Im Jahr 2006 programmierte der japanische Forscher Shinya Yamanaka normale Gewebezellen um: Das Einschleusen von vier Genen genügte, um sie in Stammzellen zu verwandeln5. Diese induzierten pluripotenten Stammzellen () verhalten sich ähnlich wie embryonale Zellen – können aber theoretisch aus jedem Menschen erzeugt werden.
Die Methode wurde bald von vielen Labors weltweit übernommen. Die Grundlagenforschung machte damit in vielen Bereichen einen großen Sprung nach vorn. Zum Lohn erhielt Yamanaka für seine Entwicklung im Jahr 2012 den Nobelpreis für Medizin.
Bereits 2014 wurden die iPS-Zellen auch erstmals in der Medizin getestet: Japanische Ärzte transplantierten sie in das Auge einer erblindeten Frau. Seitdem sind viele weitere Studien angelaufen, eine offiziell zugelassene Therapie mit iPS-Zellen gibt es aber noch nicht.
2 Brumbaugh et al., Human fetal tissue is critical for biomedical research, Stem Cell Reports, Dezember 2023 (Link)
alle Referenzen anzeigen
3 Kalderon et al., Investigating Adult Stem Cells Through Lineage analyses, Stem Cell Reviews and Reports, Januar 2022 (Link)4 Gouveia et al. Lessons Learned from Somatic Cell Nuclear Transfer, International Journal of Molecular Sciences, März 2020 (Link)
5 Chen et al., The occurrence and development of induced pluripotent stem cells, Frontiers in Genetics, April 2024 (Link)
Stammzellforschung
Arten von Stammzellen
Kurz und knapp
Stammzellen unterscheiden sich in ihrer Entwicklungsfähigkeit:
- aus totipotenten Stammzellen kann sich ein ganzer Mensch entwickeln
- pluripotente Stammzellen bilden alle Körpergewebe
- multipotente Stammzellen erzeugen die Zellen eines einzelnen Organs
Stammzellen werden auch nach ihrer Herkunft unterteilt:
- embryonale Stammzellen entstehen aus Blastozysten
- fetale Stammzellen stammen meist aus abgetriebenen Feten
- adulte Stammzellen finden sich nach der Geburt in vielen Körpergeweben
- pluripotente Stammzellen können auch im Labor durch einen Kerntransfer erzeugt werden
- induzierte pluripotente Gewebezellen entstehen durch die Umprogrammierung normaler Gewebezellen