Epigenetik: Gene haben ein Gedächtnis

Eine menschliche Zelle könnte 20 000 Gene aktivieren, doch den Großteil schaltet sie ab. Wie funktioniert das? Was sind die Folgen?

Epigenetik

Kleine Moleküle verändern die Buchstaben der RNA
Schalter im Genom: Die Sequenz bleibt unverändert, aber das Gen wird abgeschaltet.

Die DNA ist ein sehr stabiles Molekül: Es kann die Erbinformation tausende Jahre lang speichern und verlässlich von einer Generation an die nächste weitergeben. Dennoch ist die DNA nicht unveränderlich. Enzyme führen ständig kleinere Veränderungen durch und beeinflussen, ob und wie eine Zelle auf ihr Erbgut zugreifen kann. Diese Prozesse schaffen eine neue Informationsebene auf dem Genom – das Epigenom (epi: griech. auf).

Es gibt viele Möglichkeiten, epigenetische Veränderungen einzuführen. Zu den wichtigsten gehören:

  • Kleine Moleküle werden an die Buchstaben des Erbguts angehängt oder entfernt
  • Proteine falten den DNA-Strang zusammen und entwirren ihn wieder
  • RNA-Moleküle binden an die DNA und verdecken die Erbinformation

Das Epigenom bestimmt die Identität der Zelle

Die Epigenetik beantwortet eine wichtige Frage: Wie ist es möglich, dass unterschiedliche Zellen oder Lebewesen aus der identischen Erbinformationen hervorgehen? Aus einer mensch­lichen Stammzelle entstehen mehr als 200 Gewebe2, eine Bienenlarve wird entweder Arbeiterin oder Königin: In beiden Fällen ist es das Epigenom, das die Identität festlegt. Es ist eine Art Gedächtnis für Gene und zeigt an, welche verwendet und welche abgeschaltet werden.

Eine Muskelzelle verwendet daher nur die Gene, die für ihre Arbeit wichtig sind. Eine Hautzelle wiederum aktiviert einen anderen Satz von Genen. Und das gleiche gilt für die Zellen von Herz, Niere, Hirn und allen anderen Organen. So sind alle 20 000 menschlichen Gene ständig im Gebrauch – aber niemals in einer einzelnen Zelle.

Wie wird die Information im Epigenom gespeichert? Ein Mechanismus ist die DNA-Methylierung. Dabei werden kleine Moleküle an die DNA-Basen angehängt, ohne dass die Abfolge der Basen – den Buchstaben des Genoms – verändert wird. Gene können so markiert und abgeschaltet werden. Diese Art der Markierung ist chemisch sehr stabil, kann aber durch Enzyme wieder entfernt werden. Das Epigenom bleibt flexibel und kann jederzeit auf Veränderungen reagieren.

DNA-Methylierungen werden von einer Zell-Generation auf die nächste übertragen. In der Leber etwa können daher immer nur Leberzellen entstehen – das Organ bleibt stabil und erfüllt verlässlich seine Aufgaben.

Wechselspiel von Genom und Umwelt

Epigenetische Prozesse spielen eine entscheidende Rolle, wenn sich Lebewesen entwickeln oder Zellen in einem komplexen Organismus zusammenarbeiten. In beiden Fällen reicht es nicht, den grundlegenden Bauplan – das Genom – blind umzusetzen. Erforderlich ist stattdessen ein ständiges Wechselspiel von Genom und Umwelt. So wie sich die Körperzelle in ihr Gewebe eingliedert, muss sich auch der Organismus auf seinen Lebensraum einstellen.

Das Epigenom kann jedoch auch die Entstehung von Krankheiten steuern. Und so hofft die Medizin, von den Erkenntnissen der Epigenetik zu profitieren. Viele Krankheiten – vermutlich sogar die meisten – entwickeln sich in einem Wechselspiel von Genom und Umwelt1.

Epigenetische Veränderungen finden sich auch in fast allen Tumoren, und Studien deuten an, dass sie sogar an deren Entstehung beteiligt sind. Medikamente, die am Epigenom der Krebszellen angreifen, werden seit einigen Jahren bei manchen Blutkrebs-Arten eingesetzt4.

Das Genom codiert alle Möglichkeiten, die einer Zelle offen stehen. Doch die Analyse der DNA-Sequenz allein kann nicht alle Fragen beantworten – das Verständnis der Epigenetik wird entscheidend sein. Denn erst das Epigenom lässt die Möglichkeiten zur Wirklichkeit werden.

1 Cavalli und Heard, Advances in epigenetics link genetics to the environment and disease, Nature, Juli 2019 (Link)
2 Boland et al., Epigenetic Regulation of Pluripotency and Differentiation, Circulation Research, Juli 2014 (Link)
alle Referenzen anzeigen 3 Rasmussen und Amdan, Cytosine modifications in the honey bee (Apis mellifera) worker genome, Frontiers in Genetics, Februar 2015 (Link)
4 Ganesan et al., The timeline of epigenetic drug discovery: from reality to dreams, Clinical Epigenetics, Dezember 2019 (Link)

Epigenetik

Schalter im Genom: Kleine Moleküle markieren die DNA. Die Sequenz bleibt unverändert, aber das Gen wird abgeschaltet.

Definition der Epigenetik

Die Erforschung von Molekülen und Mechanismen, die alternative Zustände der Genaktivität im Kontext derselben DNA-Sequenz dauerhaft aufrechterhalten können1.

Aufbau des Erbguts

  • Chromosomen und Chromatin mehr...
  • Das Gen - ein überholtes Konzept? mehr...
  • Nicht-codierende DNA mehr...
  • Das Genom als RNA-Maschine mehr...
  • Das ENCODE-Projekt mehr...
  • Der genetische Code mehr...
  • Evolution des genetischen Codes mehr...
  • Single Nucleotide Polymorphism (SNP) mehr...

Wissenswertes

Epigenetik

Genomforschung

⇒ Aufbau des Erbguts

  • Chromosomen und Chromatin mehr...
  • Das Gen - ein überholtes Konzept? mehr...
  • Nicht-codierende DNA mehr...
  • Das Genom als RNA-Maschine mehr...
  • Das ENCODE-Projekt mehr...
  • Der genetische Code mehr...
  • Evolution des genetischen Codes mehr...
  • Single Nucleotide Polymorphism (SNP) mehr...

⇒ Wissenswertes

⇒ Epigenetik

Kurz und knapp

  • Epigenetik untersucht die Mechanismen, welche die Aktivität von Genen steuern
  • epigenetische Markierungen werden bei der Zell-Teilung weitergegeben
  • sie bilden quasi ein Gedächtnis für vergangene Ereignisse
  • die Mechanismen der Epigenetik regulieren die Aktivität von Genen, ohne die Basensequenz der DNA zu ändern
  • sie ermöglichen die Entwicklung multizellulärer Organismen
OK

Diese Webseite verwendet Cookies, die für das Bereitstellen der Seiten und ihrer Funktionen technisch notwendig sind.    Info