STAP-Zellen – vom Durchbruch zum Desaster

Stammzellen aus dem Säurebad – es klang wie der große Durchbruch. Doch von den STAP-Zellen bleibt am Ende nur ein Lehrstück, wie Forschung nicht ablaufen sollte.

Die Methode schien denkbar einfach: Eine kurze Behandlung mit Zitronensäure weckt in gewöhnlichen Gewebezellen die Fähigkeit, sich in jede andere Körperzelle zu verwandeln. Diese sogenannten STAP-Zellen waren angeblich sogar wandlungsfähiger als embryonale Stammzellen – ein Durchbruch für Forschung und Medizin1.

Erzeugung von STAP-Zellen

Eine junge japanische Wissenschaftlerin, Haruko Obokata, hatte mit dieser Behauptung weltweit für Schlagzeilen gesorgt2. Bereits wenige Monate darauf stand sie vor einem Scherbenhaufen: Niemand konnte ihre Befunde reproduzieren. Eine Untersuchung deckte spätere ein Versagen auf vielen Ebenen auf – und vielleicht sogar wissenschaftlichen Betrug.

Namhafte Unterstützung

Die Vorgeschichte zog sich schon einige Zeit hin. Obokata glaubte bereits vor Jahren, erste Hinweise auf die STAP-Zellen entdeckt zu haben. Anfangs wollte ihr keiner glauben, doch sie hielt an ihrer Überzeugung fest und forschte unbeirrt weiter3. Schließlich konnte sie einflussreiche Wissenschaftler von der Existenz der STAP-Zellen überzeugen – an der US-amerikanischen Harvard Universität und an einem renommierten RIKEN-Institut in Japan. Die Unterstützung der namhaften Kollegen ließ ihre Behauptungen glaubwürdig erscheinen.

Im Januar 2014 veröffentlichte Obokata ihre Ergebnisse im Magazin Nature, einem hoch angesehenen Wissenschaftsjournal. Es schien ein grandioser Erfolg: Medien aus aller Welt berichteten darüber, auch unabhängige Wissenschaftler zeigten sich beeindruckt. Die ersten Reaktionen waren fast durchweg positiv.

Doch schon bald kamen kritische Stimmen auf: Vertauschte Abbildungen, schlampige Protokolle, abgeschriebene Passagen traten zutage. Schlimmer noch – niemand konnte die Ergebnisse reproduzieren4-6. Nach und nach distanzierten sich ihre ehemaligen Unterstützer. Der Druck wurde so groß, dass Obokata sich in einer Klinik behandeln lassen musste.

Wer trägt die Verantwortung für dieses Desaster? Obokata selber steht sicherlich im Zentrum – sie hat erwiesenermaßen viele wissenschaftliche Regeln missachtet. Die abschließende Untersuchung des RIKEN-Instituts deutet sogar auf einen Betrug hin: Genetische Analysen der STAP-Zellen zeigen, dass sie eindeutig von embryonalen Zellen abstammen. Da sogar drei verschiedene Linien von embryonalen Stammzellen auftauchen, ist eine unabsichtliche Verwechslung unwahrscheinlich – aber auch formal nicht auszuschließen7.

Dramatischer Tod

Doch auch die Unterstützer Obokatas stehen in der Kritik: Die erfahrenen Wissenschaftler hielten es offenkundig nicht für nötig, Obokotas Methode in ihren eigenen Labors zu überprüfen. Und auch das Magazin Nature muss sich unangenehme Frage gefallen lassen: Warum wurde die Studie – trotz offenkundiger Mängel – veröffentlicht10, und warum hat Nature über Monate hinweg nicht auf die vernichtende Kritik reagiert8?

In Japan schlug die Geschichte hohe Wellen. Die Medien berichteten unablässig, japanische Forscherkollegen sparten nicht an Kritik: Da spielte wohl auch der Neid auf das erfolgreiche und gut finanzierte Institut eine große Rolle. Ein offizielle Kommission fällte ein vernichtendes Urteil – ohne dabei die meisten der Beteiligten jemals angehört zu haben. Das RIKEN-Institut wurde daraufhin umorganisiert, manche Labors wurden geschlossen oder verlegt11.

Damit wurde aus dem Desaster endgültig eine Tragödie: Yoshiki Sasai, ein hochangesehener Wissenschaftler und Betreuer Obokatas, hielt dem Druck nicht mehr stand und nahm sich Anfang August 2014 das Leben9. Der Anwalt der Familie gab den Medien und der Untersuchungs-Kommission einen Großteil der Schuld11.

STAP-Zellen – die Lehren?

Es war die Geschichte eines kompletten Versagens – keiner der Beteiligten hatte sich dabei mit Ruhm bekleckert. Und eine Einsicht in das eigene Fehlverhalten war bei vielen Hauptakteuren nicht zu erkennen.

Obokata veröffentlichte im Januar 2016 veröffentlichte sie ein Buch, in dem sie jegliche Verantwortung von sich wies12. Zwei Monate später schaltete sie eine Webseite mit Namen "STAP-Hope-page" frei. Das erklärte Ziel: Anderen Wissenschaftlern die Möglichkeit zu geben, belastbare Beweise für die Existenz der STAP-Zellen zu finden (die Seite ist nicht mehr online).

Und einer ihrer Betreuer, Charles Vacanti von der Harvard Medical School, meldete sogar noch im Januar 2017 eine Patent auf das Verfahren an13. Das war dann aber wohl auch der letzte Akt in diesem unerfreulichen Drama. Ob die Forschung daraus viel gelernt hat, darf allerdings bezweifelt werden14.

1 D. Goodyear, The Stress Test, The New Yorker, Februar 2016 (Link)
2 Obokata et al., Stimulus-triggered fate conversion of somatic cells into pluripotency, Nature 2014, vol. 505, pp. 641-7 (Link)
alle Referenzen anzeigen 3 D. Cyranowski, Acid bath offers easy path to stem cells, Nature 2014, vol. 505, p. 596 (Link)
4 D. Cyranowski, Acid-bath stem-cell study under investigation, Nature, 17. Februar 2014 (Link)
5 D. Cyranowski, Stem-cell method faces fresh questions , Nature 2014, vol. 507 p. 283 (Link)
6 Interview mit R. Jaenisch in der FAZ, 11. Mai 2014 Von den Stammzellen bleiben nur Tränen, Nature 2014, vol. 508 p. 299 (Link)
7 Heidi Ledford, Contamination created controversial acid-induced stem cells, Nature Newsblog Dezember 2014 (Link)
8 STAP retracted, Nature 2. Juli 2014 (Link)
9 Stem-cell pioneer blamed media 'bashing' in suicide note, Nature 13. August 2014 (Link)
10 Paul Knoepfler, "Magical" STAP papers were blistered by Nature's own reviewers, but then accepted just months later, September 2014 (Link)
11 D. Cyranowski, Collateral Damage, Nature April 2015 (Link)
12 Paul Knoepfler, Obokata claims she was framed for STAP cell scandal, Januar 2016 (Link)
13 Paul Knoepfler, STAP cells are real deal says new Vacanti patent declaration, Januar 2017 (Link)
14 Paul Knoepfler, Perspectives 10 years after STAP cells: the culture of science, misconduct, & hopes for progress, Januar 2024 (Link)

Erzeugung von STAP-Zellen

Ein angeblicher Durchbruch: Immunzellen einer neugeborenen Maus, kurz mit Zitronensäure behandelt, sollten zu wandlungsfähigen STAP-Zellen werden.

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Kurz und knapp

  • Haruko Obokata, eine junge japanische Forscherin, verkündet im Januar 2014 einen angeblichen Durchbruch in der Stammzellforschung
  • ihre STAP-Zellen (von stimulus-triggered acquisition of pluripotency) sollen einfach zu erzeugen und wandlungsfähiger als embryonale Stammzellen sein
  • nach anfänglicher Euphorie melden sich bald kritische Stimmen zu Wort
  • Obokata werden so viele wissenschaftliche Fehler nachgewiesen, dass ihre Ergebnisse kaum noch glaubwürdig erscheinen
  • im Juli 2014 zieht Fachmagazin Nature die Studie zurück
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