Adulte Stammzellen erneuern den Körper
Adulte Stammzellen heilen Wunden und erneuern Körpergewebe. Doch einige Organe kommen ohne sie aus.
Adulte Stammzellen im Körper
Die Haut erneuert sich einmal im Monat. Die Darmschleimhaut in weniger als einer Woche. Das Knochenmark bildet täglich 300 Milliarden Blutzellen. Muskeln bauen sich – je nach Training – in wenigen Wochen auf und wieder ab.
Der menschliche Körper ist eine permanente Baustelle, seine Gewebe und Organe sind beständig im Wandel. Er benötigt daher einen ständigen Nachschub an Körperzellen. Diese Aufgabe übernehmen adulte Stammzellen: Sie können sich nahezu unbegrenzt teilen und in viele Gewebe umwandeln.
Die wichtigsten Merkmale der adulten Stammzellen
Als „adult“ gelten alle Stammzellen, die nach der Geburt im menschlichen Körper zu finden sind. Unter dem Mikroskop betrachtet unterscheiden sie sich kaum von anderen Zellen. Doch in ihrem Inneren schlummert großes Potenzial – eine erstaunliche Wandlungs- und Wachstumsfähigkeit.
Eine weitere Besonderheit: Einige adulte Stammzellen beherrschen zwei Arten der Zellteilung. Wie alle anderen Zellen können sie sich symmetrisch teilen. Dies erzeugt zwei Stammzellen und stellt sicher, dass die Population niemals verloren geht. Jeder menschliche Körper kann so bis zu seinem Lebensende auf Stammzellen zurückgreifen.
Bei der asymmetrischen Teilung hingegen entstehen eine Stammzelle und eine weitere Zelle, die sich zu verschiedenen Körperzellen entwickeln können. Diese gereiften Zellen können Gewebe erneuern und Wunden heilen.
Die Wandlungsfähigkeit adulter Stammzellen hat jedoch Grenzen: Sie können nur ein einziges Körpergewebe erneuern – also entweder Blut oder Haut oder Darm. Diese Form der Wandlungsfähigkeit nennt man multipotent. Sie ist eine der wichtigsten Merkmale adulter Stammzellen1.
Sehr aktive Stammzellen in Haut, Darm und Blut
Einige Körpergewebe sind ständig hohen Belastungen ausgesetzt. Dazu gehören die Haut und die Darmschleimhaut: Beide müssen eine feste Barriere bilden, die das Eindringen von Krankheitserregern verhindert. Um diese Schutzfunktion lückenlos aufrechtzuerhalten, müssen sich Stammzellen schnell teilen. Gehen dabei Stammzellen in einzelnen Regionen verloren, werden sie rasch regeneriert2: Gewebezellen aus der näheren Umgebung können sich zurückverwandeln und die Rolle der Stammzellen wieder einnehmen.
Auch das Blut muss ständig erneuert werden, einige Immunzellen und die Blutplättchen überleben nur wenige Tage. Die Produktion der Blutzellen erfolgt im Knochenmark: Die Blutstammzellen überdauern dort ein Leben lang, manche von ihnen in einer Art Winterschlaf3. Im Gegensatz zu den Stammzellen der Haut können sie bei Verlust nicht ersetzt werden: Werden sie durch radioaktive Strahlung zerstört, kann ein Mensch nicht lange überleben.
Vermutlich weiß jeder aus eigener Erfahrung, wie schnell sich die Muskulatur der Gliedmaßen auf- und wieder abbauen kann. Auch dafür sind besondere Stammzellen verantwortlich: Die Satellitenzellen der Skelettmuskulatur vermehren sich und verbinden sich zu den einzelnen Muskelfasern. Ihre Regenerationsfähigkeit lässt jedoch mit den Jahren nach – deshalb wird die Muskulatur im hohen Alter schwächer.
Kaum Stammzellen in Herz, Hirn und Leber
Einige Organe kommen jedoch ohne Stammzellen aus. Dazu gehört auch die Leber – obwohl kaum ein menschliches Organ eine größere Regenerationsfähigkeit besitzt. Ärzte können die Hälfte der Leber für eine Organspende entnehmen, und trotzdem wächst sie schnell wieder zur vollen Größe heran. In diesem Fall sind es die Leberzellen selbst, die sich unermüdlich teilen und für Nachschub sorgen.
Das Gehirn kann sich hingegen kaum noch selbst erneuern. Lange Zeit ging die Forschung deshalb davon aus, dass es im Gehirn keine Stammzellen gibt. Erst vor wenigen Jahren wurden zwei Bereiche des Gehirns gefunden, in denen Stammzellen bis ins Kindesalter aktiv sind. Die Funktion dieser neu gebildeten Nervenzellen ist jedoch noch nicht vollständig geklärt4.
Auch das Herz eines Erwachsenen enthält vermutlich keine Stammzellen. Es kann zwar in begrenztem Umfang neues Gewebe bilden, aber dabei teilen sich die Herzmuskelzellen wahrscheinlich selbst. Und womöglich gehört auch die Bauchspeicheldrüse zu den Organen, die ohne adulte Stammzellen auskommen müssen.
Entwicklung in der Nische
Um langfristig überleben zu können, sind adulte Stammzellen auf Hilfe angewiesen – auf die sogenannte Stammzellnische5. In dieser Nische befinden sich verschiedene Zellen, die Wachstumsfaktoren und andere Botenstoffe freisetzen. Sie helfen den Stammzellen, ihre multipotenten Fähigkeiten zu erhalten. Sie kann aber auch eine Art Ruhezustand ermöglichen, der die Lebensdauer der Stammzellen verlängert6.
Wenn Stammzellen ihre Nische verlassen, verlieren sie ihre besonderen Eigenschaften. Die Ausreifung zu Gewebezellen setzt unwiderruflich ein, das Ende der Entwicklung ist erreicht. Manchmal tritt eine Übergangsform auf: die Vorläuferzellen oder Progenitoren. Diese haben ähnliche Eigenschaften wie adulte Stammzellen, aber ein vermindertes Teilungspotenzial und eine kürzere Lebensdauer.
In der Regel ist der Unterschied zwischen Vorläuferzellen und Stammzellen jedoch so gering, dass beide unter dem Begriff Stammzellen zusammengefasst werden.
Adulte Stammzellen in der Medizin
Zwei adulte Stammzellarten werden bereits seit Jahrzehnten in der Medizin eingesetzt. So helfen Blutstammzellen aus dem Knochenmark gegen Krebs und manche Erbkrankheiten. Und Stammzellen aus der Haut werden eingesetzt, um Wunden nach Verbrennungen zu verschließen.
In den letzten Jahren sind jedoch nur wenige neue Therapien hinzugekommen:
- Holoclar kann das Sehvermögen wiederherstellen, wenn Verbrennungen oder Verätzungen die Hornhaut des Auges schwer geschädigt haben.
- Alofisel kann Komplikationen lindern, die bei der entzündlichen Darmerkrankung Morbus Crohn auftreten.
- Prochymal ist in einigen Ländern zur Behandlung von Abstoßungsreaktionen zugelassen, die bei der Transplantation von Blutstammzellen auftreten können.
Zahlreiche weitere Studien testen die Fähigkeiten der adulten Stammzellen. Zellen aus dem Knochenmark werden bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen eingesetzt, mesenchymale Stammzellen zur Linderung von Entzündungsreaktionen. Größere Erfolge blieben bisher jedoch aus.
In den letzten Jahren werden zunehmend auch embryonale Stammzellen und iPS-Zellen für experimentelle Therapien eingesetzt. Es bleibt abzuwarten, ob adulte Stammzellen gegen diese Konkurrenz bestehen können.
Teil 2/2: Neue Therapien – Stillstand bei adulten Zellen
2 Shivdasani et al., Tissue regeneration: Reserve or reverse?, Science, Februar 2021 (Link)
alle Referenzen anzeigen
3 Urban und Cheung, Stem cell quiescence: the challenging path to activation, Development, Februar 2021 (Link)4 S. F. Sorrells, Which neurodevelopmental processes continue in humans after birth?, Frontiers in Neuroscience, September 2024 (Link)
5 Hicks und Pyle, The emergence of the stem cell niche, Trends in Cell Biology, Februar 2023 (Link)
6 de Morree und Rando, Regulation of adult stem cell quiescence and its functions in the maintenance of tissue integrity, Nature Reviews Molecular Cell Biology, Mai 2023 (Link)
Adulte Stammzellen im Körper
Definition Adulte Stammzellen
Adulte Stammzellen regenerieren fast alle Gewebe eines Körpers, beginnend mit der Geburt. Sie können unterschiedliche Zelltypen hervorbringen, sind dabei aber auf ein Gewebe festgelegt.
Stammzellforschung
Arten von Stammzellen
Kurz und knapp
- adulte Stammzellen sind multipotent – sie bilden die unterschiedlichen Zellen eines bestimmten Gewebes
- schwer beanspruchte Organe wie Darm, Haut und Blut werden ständig von adulten Stammzellen erneuert
- Organe wie Herz, Gehirn, Leber oder Bauchspeicheldrüse haben nur wenige oder gar keine adulten Stammzellen
- Stammzellen besiedeln eine Stammzellnische, die sie bei ihren Aufgaben unterstützt
- in der Medizin werden vor allem adulte Stammzellen aus dem Blut und der Haut eingesetzt