Varianten des Gene Drive – von der Daisy Chain zum X-Shredder
Forscher haben verschiedene Möglichkeiten, die Idee des Gene Drives zu verwirklichen. Viele basieren auf der Genschere CRISPR/Cas, aber es gibt auch Alternativen: Daisy Chain Drive, X-Shredder oder Medea Drive.
Ein Gene Drive soll die Regeln der Mendelschen Vererbung überwinden und sich rasch in freilebenden Populationen ausbreiten1. Dieses Ziel kann auf verschiedenen Wegen erreicht werden. Eine der wichtigsten Varianten nutzt die Genschere CRISPR/Cas9, um ein egoistisches genetisches Element im Erbgut zu verbreiten. In einer abgeschwächten Form, dem Daisy Chain Drive, soll die Ausbreitung von allein zum Stillstand kommen und so eine bessere Kontrolle ermöglichen.
Andere Formen des Gene Drive beeinträchtigen die Lebensfähigkeit der Nachkommen. Der X-Shredder verhindert die Entwicklung von weiblichen Nachkommen, indem er das X-Chromosom zerschneidet und funktionsfähig macht. Und der Medea Drive der Cleave-and-Rescue-Drive nutzen das Prinzip von Gift und Gegengift, um alle Embryonen abzutöten, die noch das natürliche Erbgut in sich tragen.
Der Daisy Chain Drive existiert bislang nur in der Theorie, die anderen Varianten wurden bereits im Labor oder in Käfigen getestet.
Der CRISPR-basierte Drive – aggressive Ausbreitung
Die Entdeckung der Genschere CRISPR/Cas9 eröffnete auch der Entwicklung der Gene Drives neue Möglichkeiten. Der britische Forscher Austin Burt hatte zwar bereits 2003 die Idee formuliert, dass ein egoistisches genetisches Element andere Genvarianten überschreiben kann, doch mit der praktischen Umsetzung taten sich Forscher lange Zeit schwer. Erst 2012 stand mit CRISPR/Cas9 das passende Werkzeug zur Verfügung.
In Deutschland wird der Begriff Gene Drive meist mit dem CRISPR/Cas-basierten Ansatz gleichgesetzt. Die englischen Fachliteratur unterscheidet etwas feiner und nennt diese Variante häufig conventional oder homing Gene Drive. Sie enthält meist drei Komponenten: Erstens die Genschere CRISPR/Cas, die den DNA-Strang des Erbguts durchschneidet. Zweitens ein RNA-Botenmolekül, das die Genschere zu der gewählten Schnittstelle leitet. Und letztlich ein verändertes oder neues Gen, das über den Gene Drive verbreitet werden soll.
Wenn dieser Gene Drive auf eine konkurrierende Genvariante trifft, kann er sie überschreiben und vollständig aus dem Erbgut verdrängen. Dieser Prozess beginnt damit, dass das Botenmolekül seine Zielsequenz erkennt und die Genschere an diese Stelle leitet. CRISPR/Cas trennt das Erbgut an dieser Stelle auf und erzeugt eine Lücke im DNA-Strang. Körperzellen verfügen über Reparaturmechanismen, die derartige Lücken schließen können – allerdings benötigen sie dazu eine Vorlage. Als Vorlage dient der Gene Drive selbst: Er wird auf das andere Chromosom kopiert und ersetzt die natürliche Genvariante.
Der Gene Drive soll vor allem in der Keimbahn aktiv werden und dort alle entstehenden Ei- und Samenzellen verändern. Alle Nachkommen werden daher ebenfalls die veränderten Gene tragen. Wenn er nicht durch Resistenzen aufgehalten wird, kann sich der CRISPR-basierte Gene Drive explosionsartig ausbreiten und innerhalb weniger Generationen in der freien Natur durchsetzen.
Daisy Chain Drives – mit eingebauter Bremse
Der ursprüngliche CRISPR-Drive wäre in der Natur kaum zu kontrollieren: Er könnte sich in Regionen und Populationen ausbreiten, wo seine Aktivität unerwünscht oder schädlich ist. Um eine bessere Kontrolle über die Ausbreitung zu gewährleisten, haben Forscher im Jahr 2019 das Konzept des Daisy Chain Drive vorgestellt2.
Dabei werden die einzelnen Komponenten eines Gene Drive nicht in einem einzigen genetischen Element zusammengefasst, sondern als eigenständige Elemente im Erbgut verteilt. Zusätzlich sind die Komponenten wie in einem Gänseblümchenkranz (engl. daisy chain) in Reihe geschaltet – jedes Element kontrolliert die Aktivität des nachfolgenden. Da eines der Element an die Mendelsche Vererbung gekoppelt ist, sollte es sich in der Population bald ausdünnen und die Kette zum Abbruch kommen.
Ersten Modellrechnungen wiesen daraufhin, dass die Ausbreitung eines Daisy Chain Drive räumlich und zeitlich begrenzt bleibt. Andere Forscher haben hier allerdings Zweifel angemeldet: Ihre Berechnungen zeigen eher, dass auch hier die Gefahr einer unkontrollierbaren Ausbreitung sehr hoch bleibt3. Der Daisy Chain Drive ist bislang nur ein Gedankenspiel und wurde noch nicht im Labor getestet – Aussagen über seine Eigenschaften bleiben daher weitgehend Spekulation.
Der X-Shredder zerstört das weibliche Geschlechtschromosom
Eine weitere Variante des Gene Drive, die die Überlebensfähigkeit der Nachkommen beeinflusst, ist der X-Shredder. Er verursacht eine extreme Verschiebung der Geschlechterverteilung – bis zu 95 % aller überlebenden Nachkommen sind männlich4. Die natürliche Vermehrung gerät dabei in eine Sackgasse, im Extremfall kann eine Population sogar in die Ausrottung getrieben werden.
Der X-Shredder schaltet in der männlichen Keimbahn ein Enzym an, das das weibliche X-Chromosom zerstört. Alle zeugungsfähigen Spermien bringen daher männliche Nachkommen hervor. Wenn der X-Shredder auf dem männlichen Y-Chromosom sitzt, kann er sich vermutlich ähnlich aggressiv ausbreiten wie CRISPR-basierte Gene Drives. Auf autosomalen Chromosomen hingegen wird seine Wirkung mit der Zeit deutlich nachlassen.
Medea Drive – vergiftete Eier
Einige Jahre vor den CRISPR-Varianten hatten Forscher bereits einen Gene Drive entwickelt, der sein Ziel auf einem anderen Weg erreicht5. Statt das Erbgut aktiv zu überschreiben, manipuliert dieser Medea Drive die Lebensfähigkeit der Nachkommen. Er nutzt dazu das Prinzip von Gift und Gegengift: Die Mutter verhindert so die Entwicklung von Embryonen, die nicht ebenfalls den Medea Drive tragen.
Bei einem häufigen Schädling, der Kirschessigfliege, ist dieser Ansatz bereits weit fortgeschritten. Der Medea Drive bringt die weiblichen Fliegen dazu, ein kleines Molekül (miRNA) in ihren Eiern zu deponieren. Die miRNA wirkt wie ein „Gift“ und verhindert die Aktivierung des Gens myd88, das für die normale Entwicklung der Embryonen unverzichtbar ist. Der Medea Drive enthält zusätzlich ein „Gegengift“: Eine Variante von myd88, die nicht von der miRNA gehemmt wird und eine normale Entwicklung erlaubt.
Eine weibliche Kirschessigfliege, die nur eine Kopie des Medea Drives in ihrem Erbgut trägt, wird diese nur an eine Hälfte ihrer Nachkommen weitergeben. Da aber alle Eier „vergiftet“ sind, wird die andere Hälfte absterben: Alle überlebenden Nachkommen tragen den Medea Drive. Als dritte Komponente (neben Gift und Gegengift) kann das Medea Element noch ein verändertes Gen enthalten, das sich im Huckepack-Prinzip rasch in der gesamten Fliegenpopulation ausbreitet.
Die ersten Versuche in Käfigen deuten darauf hin, dass sich das Medea Element weniger aggressiv ausbreitet als CRISPR-basierte Drives6. So sind anfangs deutlich höhere Zahlen von genmanipulierten Tieren nötig, um den Drive in der freien Natur zu starten. Und auch später müssen wohl immer wieder neue Tiere ausgesetzt werden, damit die Wirkung nicht verloren geht. Der Medea Drive könnte also unter Umständen auch kontrollierte Freisetzungen ermöglichen.
Cleave and Rescue – auch bei Pflanzen erfolgreich
Das Prinzip von Gift und Gegengift lässt sich auch mit der Genschere CRISPR/Cas verwirklichen. Die Genschere wirkt als Gift: Sie zerstört ein zentrales Gen, das für die Fortpflanzung oder das Überleben unverzichtbar ist. Der Gene Drive enthält auch das Gegengift – eine funktionsfähige Variante des lebenswichtigen Gens. Die Nachkommen überleben nur, wenn der Gene Drive vollständig und funktionsfähig im Erbgut vorhanden ist. Der Gene Drive kann weitere Gene enthalten, die neue Eigenschaften in das Erbgut einschleusen. Damit besteht theoretisch die Möglichkeit, Organismen gezielt zu verändern.
Dieser Ansatz – von einer Forschergruppe Cleave and Rescue genannt – ist im Labor auch bei Pflanzen erfolgreich7. Er könnte langfristig dazu dienen, Resistenzen gegen Herbizide zurückzudrängen oder die Vermehrung unerwünschter Wildkräuter einzudämmen. Ob dies gelingt, ist jedoch noch unklar: Pflanzen können sich auf unterschiedliche Weise fortpflanzen, was die Ausbreitung eines Gene Drives stark behindern kann.
2 Noble et al., Daisy-chain gene drives for the alteration of local populations, PNAS, April 2019 (Link)
alle Referenzen anzeigen
3 Dhole et al., Invasion and migration of spatially self-limiting gene drives: A comparative analysis, Evol Appl, Januar 2018 (Link)4 Galizi et al., A synthetic sex ratio distortion system for the control of the human malaria mosquito, Nat Commun, Juni 2014 (Link)
5 Chen et al., A Synthetic Maternal-Effect Selfish Genetic Element Drives Population Replacement in Drosophila, Science, April 2007 (Link)
6 Buchman et al., Synthetically engineered Medea gene drive system in the worldwide crop pest Drosophila suzukii, PNAS, Mai 2018 (Link)
7 Oberhofer et al., Cleave and Rescue gamete killers create conditions for gene drive in plants, Nature Plants, Juni 2024 (Link)
Gene Drives
Kurz und knapp
- Gene Drives sollen die Regeln der Mendelschen Vererbung überwinden
- eine häufige Variante verwendet die Genschere CRISPR/Cas, um ein egoistisches genetisches Element im Erbgut zu verbreiten
- der Daisy Chain Drive beruht ebenfalls auf CRISPR/Cas, soll aber von allein abbrechen und sich nicht so stark verbreiten
- der X-Shredder beschädigt das weibliche X-Chromosom und erzeugt überwiegend männliche Nachkommen
- der Medea Drive nutzt das Prinzip von Gift und Gegengift, um nicht manipulierte Embryonen abzutöten
- der Cleave and Rescue Drive inaktiviert ein lebensnotwendiges Gen, bietet aber zugleich eine rettende Variante an