Gentest aus dem Internet: Was nützt das Wissen?

Das Erbgut beeinflusst die Entwicklung von Krankheiten. Wer sein persönliches Risiko kennt, kann gezielt vorbeugen – behaupten zumindest Firmen, die Gentests im Internet anbieten.

Relatives und absolutes Risiko

Seit 2006 werden frei verkäufliche Gentests angeboten, die einen Einblick in das eigene Erbgut gewähren. Manche dieser direct-to-consumer (DTC)-Tests locken mit einem konkreten Versprechen: Sie sollen das Risiko mancher Krankheiten bestimmen und so eine gezielte Vorbeugung ermöglichen.

In Deutschland sind derartige Gentests eigentlich nur zugelassen, wenn ein Arzt sie offiziell anfordert. Doch diese Vorschrift lässt sich leicht umgehen: Die Firmen bieten ihre Dienste über das Internet an – Analyse und Auswertung erfolgen im Ausland und somit außerhalb des deutschen Rechts1. Ob die frei verkäuflichen DTC-Gentests von Nutzen sind, bleibt jedoch offen2.

Wie aussagekräftig sind die Gentests?

Schwere Erbkrankheiten beruhen in der Regel auf Mutationen in einzelnen Genen: Die Betroffenen werden meist unweigerlich krank. Viele andere Erkrankungen entstehen jedoch durch ein Zusammenspiel von Umwelt und Erbgut. Erbliche Veranlagungen erhöhen dann die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung – sie können deren Ausbruch aber nicht mit Sicherheit vorhersagen.

Technische Grenzen

DTC-Gentests suchen nach erblichen Risikofaktoren, die zur Entwicklung einer Krankheit beitragen. Sie sind nur für Erkrankungen gedacht, bei denen auch die Umwelt einen großen Einfluss hat. Die Analyse des Erbguts erfolgt mit Hilfe von Genchips, auch DNA-Chips oder Microarrays genannt.

Die Ergebnisse von Genchips sind meist recht zuverlässig. Es gibt allerdingsbedeutende Einschränkungen: So erfasst die Analyse oft nicht alle Genvarianten, die zum Risiko für eine Erkrankung beitragen. Dies gilt selbst für gut untersuchte Risikofaktoren wie die BRCA-Varianten, die bei Brustkrebs eine wichtige Rolle spielen3. Zudem gibt es technische Grenzen, da Genchips bei sehr seltenen Risikofaktoren sehr unzuverlässig arbeiten4.

Schwierige Interpretation

Auch die Interpretation der Ergebnisse ist oft schwierig. Ein einzelner genetischer Risikofaktor hat meist nur einen geringen Einfluss auf eine Erkrankung – in absoluten Zahlen sind es meist nur Bruchteile von Prozenten. Dargestellt werden diese Werte aber oft in relativer Form: Die Zahlenwerte sind dann deutlich höher.

Ein Beispiel macht dies deutlich. Die Erkrankung xy trifft im Durchschnitt 4 von 100 Menschen, in Gegenwart des Risikofaktors yz jedoch 5 von 100 Menschen. Das relative Risiko steigt also um 25 Prozent, das absolute Risiko aber nur um 1 Prozent. Der erste Wert klingt dramatisch und erschreckend – der zweite eher nicht.

Die Aussagen können sich mit der Zeit ändern

Kompliziert wird es, wenn mehrere Risikofaktoren die gleiche Krankheit beeinflussen. Drei bedrohliche und zwei schützende Genvarianten – was ergibt das in der Summe? Forscher versuchen dieses Problem mit einem neuen Konzept zu lösen, dem polygenic risk score. Dessen Nutzen für die Risikoabschätzung ist allerdings oft noch unklar5.

Zudem entwickelt sich das Wissen ständig weiter. Jede neue medizinische Studie kann die Gleichung verschieben, weshalb manche Gentest-Anbieter ihre Risikobewertungen regelmäßig aktualisieren. Die Folge: Jemand, der zuvor noch ein scheinbar verringertes Risiko hatte, könnte nach der Aktualisierung mit einem erhöhten Risiko konfrontiert sein.

Welchen Nutzen hat das Wissen?

Jeder Mensch lebt mit dem Risiko, im Alter einen Herzinfarkt zu erleiden. Und im Grunde weiß jeder auch, wie er sich davor schützen kann: Mit ausgewogener Ernährung und regelmäßiger Bewegung. Aber nur ein Teil zieht daraus die notwendigen Konsequenzen. Viele nehmen lieber das Risiko eines Infarkts in Kauf, als ihren Lebensstil zu ändern.

Kaum anders sieht es bei einem Gentest aus. Angenommen, ein Test zeigt, dass das absolute Erkrankungsrisiko von 0,4 auf 0,6 Prozent steigt. Wie viele Menschen würden ihren Lebensstil ändern, nur um ihr Erkrankungsrisiko um 0,2 Prozentpunkte zu senken?

Oder nehmen wir einen anderen Fall: Jemand erfährt, dass er ein deutlich erhöhtes Risiko für Alzheimer hat. Nach dem heutigen Stand der Medizin kann er nur warten und hoffen – eine Therapie gibt es noch nicht. Auch hier kann ein Gentest nicht dazu beitragen, eine sinnvolle Vorsorge einzuleiten.

Wie reagieren Menschen auf die Testergebnisse?

Wie reagiert ein Mensch auf die Nachricht, dass er ein erhöhtes Risiko für eine ernste Krankheit hat? Verfällt er in Sorgen und Resignation? Oder bemüht er sich nach Kräften, sein Leben zu ändern und das Risiko zu verringern?

Auch auf diese Fragen geben Studien noch keine eindeutige Antwort. Manches deutet jedoch darauf hin, dass die meisten Menschen nach einer kurzen Phase der Anspannung wieder zu ihrem normalen Gemütszustand zurückkehren3. Allerdings gibt es hier eine große Bandbreite: Bei einzelnen Personen können sich Sorgen und Depressionen deutlich verschlimmern.

Es gibt auch Hinweise darauf, dass sich Menschen nach beunruhigenden Testergebnissen eher unnötigen Behandlungen unterziehen. Oder sie vermeiden bestimmte Aktivitäten, weil sie ihnen aufgrund des Gentests zu riskant erscheinen2,3.

Umgekehrt kann ein scheinbar geringes Risiko zu riskanter Sorglosigkeit führen. Es gibt Berichte, dass Frauen eher auf Früherkennungsuntersuchungen verzichten, wenn ihnen ein Gentest ein scheinbar geringes Brustkrebsrisiko bescheinigt.

Die Studien zeigen kein einheitliches Bild. Es gibt daher weiterhin keine Belege dafür, dass die breite Anwendung von Gentests positive Auswirkungen auf die Gesundheit hat.

1 Deutsches Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften, Prädiktive genetische Testverfahren, Stand März 2022 (Link)
2 Science and Technology Committee, Direct-to-consumer genomic testing, House of Commons, UK, Juni 2021(Link)
alle Referenzen anzeigen 3 Majumder et al., Direct-to-Consumer Genetic Testing: Value and Risk, Annual Review of Medicine, Januar 2021 (Link)
4 Weedon et al., Use of SNP chips to detect rare pathogenic variants: retrospective, population based diagnostic evaluation, Britisch Medical Journal, Februar 2021 (Link)
5 Park und Lu, Polygenic Scores in the Direct-to-Consumer Setting: Challenges and Opportunities for a New Era in Consumer Genetic Testing, Journal of Personalized Medicine, März 2023 (Link)

Relatives und absolutes Risiko

Ein erhöhtes Risiko für Erkrankungen kann in relativen oder absoluten Werten angegeben werden. Relative Werte sind oftmals um ein Vielfaches größer und wirken bedrohlicher.

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Kurz und knapp

  • frei verkäufliche Gentests schätzen Krankheitsrisiken ab
  • sie decken oft nur einen Teil der bekannten Risikofaktoren ab
  • die Interpretation der Ergebnisse ist nicht ganz einfach
  • neue Forschungsergebnisse können die Aussagen verändern
  • ein Nutzen der DTC-Gentests ist nicht wissenschaftlich belegt
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