Krebs - ein Versagen des Immunsystems?

Nicht jede Krebszelle ist tödlich - viele werden rechtzeitig vom Immunsystem erkannt und beseitigt. Doch manche Tumore überlisten die Abwehrkräfte und breiten sich ungehindert aus.

Mutationen im Erbgut lassen Krebs entstehen: Sie lösen das unkontrollierte Wachstum einzelner Zellen aus. Aber wie wird aus einer einzelnen Krebszelle ein Tumor? Forscher suchten die Antwort lange in der Aktivität der Krebsgene - das Immun­systems wurde dabei meist übersehen.

Krebs und Immunsystem

Tumore hemmen die Aktivität von Immunzellen
Neue Immuntherapien nutzen die Widerstandskraft von Immunzellen.

Dabei war schon länger bekannt, dass Immunzellen wirksam gegen Krebs schützen. So leiden Patienten, die bei einer Transplantation ein neues Organ erhalten, bis zu dreimal häufiger an Tumoren1. Eine Ursache: Ihr Immun­system wird mit Medikamenten gehemmt, da sonst das Spender-Organs abgestoßen wird. Auch das AIDS-Virus schwächt Immunzellen, wodurch sich eine seltene Krebsart, das Kaposi-Sarkom, ungehindert ausbreiten kann.

Bei manchen Tumoren ist das Immun­system jedoch machtlos. Dies führte zu der irrigen Vorstellung, dass Immunzellen grundsätzlich nicht in der Lage sind, Krebs wirkungsvoll zu bekämpfen. Ein wesent­licher Punkt wurde dabei übersehen: Tumore, die das Immun­system erfolgreich beseitigt, tauchen in keiner Diagnose und keiner Statistik auf. Das Immunsystem arbeitet oft so effizient im Hintergrund, dass die Erfolge unsichtbar bleiben.

Unsichtbare Krebszellen

Viele Immunzellen sind am Kampf gegen Krebs beteiligt. Natürliche Killerzellen und T-Zellen überwachen ständig die Gewebe und suchen nach Anzeichen für krankhafte Veränderungen2. Wenn sie Hinweise für gefährliche Mutationen finden, werden die veränderten Zellen sofort beseitigt - und der Tumor im Keim erstickt.

Doch ein Tumor kann das Immun­system auch zu seinem Vorteil missbrauchen. Krebszellen werden von Killer- und T-Zellen schnell eliminiert, wenn sie leicht erkennbar sind. Wächst und mutiert der Krebs jedoch schnell genug, überleben am Ende nur Krebszellen, die für Immunzellen unsichtbar sind. Dieser Prozess - Immun-Editing genannt - ähnelt dem "Überleben des Stärkeren", wie es Darwin in seiner Evolutionstheorie beschrieben hat. Das Immun-Editing erzeugt auf diese Weise gefährliche und oftmals tödliche Tumore.

Doch es bietet auch einen Ansatzpunkt für neue Immuntherapien. Das Ziel: Die Krebszellen wieder für das Immunsystem sichtbar zu machen. Eine der Möglichkeiten besteht darin, Immunzellen mit neuen Rezeptoren auszustatten, die gezielt gegen bestimmte Formen von Krebs vorgehen können. Diese sogenannten CAR-T-Zellen können manchmal fast hoffnungslose Fälle von Blutkrebs heilen.

Das gehemmte Immunsystem

Noch eine zweite gefährliche Eigenschaft kann ein Krebs erlernen - das Immun­system aktiv abzuschalten. Dazu schüttet der Tumor Botenstoffe aus, welche die Aktivierung von Immunzellen hemmen. Oder er programmiert diese Zellen so um, dass sie ihn schützen und nicht bekämpfen. Diese Prozesse nennen Forscher Immunevasion2. Nicht selten finden sich in Tumoren große Zahlen von T-Zellen, die nicht aktiv sind und den Tumor unbehelligt lassen.

Der Krebs macht sich dabei zu Nutze, dass es unter­schiedliche Arten von T-Zellen gibt. Effektor-T-Zellen verrichten die eigentliche Arbeit: Sie produzieren Substanzen, die den Tumor zum Absterben bringen. Regulatorische T-Zellen jedoch setzen Botenstoffe frei, die das Gegenteil bewirken - sie schalten die Immunantwort ab. Dies soll den Körper vor Autoimmunerkrankungen bewahren, doch in diesem Fall schützt es vor allem den Tumor.

Auch hier sind seit kurzem neue Therapieformen zugelassen, die an diesem Punkt ansetzen. Neuartige Medikamente, die sogenannten Checkpoint-Inhibitoren, heben die Immun­suppression durch den Tumor auf und bringen das Immun­system wieder in Gang - die Erfolge sind beachtlich3.

Immunzellen erlauben Prognose

Auch in anderer Hinsicht kann das Immunsystem hilfreich sein. Die Art der T-Zellen in einem Tumor erlaubt Vorhersagen über den Krankheitsverlauf: Ist die Zahl der regulatorischen T-Zellen höher als die der Effektor-T-Zellen, deutet dies auf ein schweren Verlauf hin. Bei vielen Krebs­arten gehört das Verhältnis der regulatorischen und Effektor-T-Zellen zu den besten prognostischen Markern, die Ärzte kennen.

Und sogar traditionelle Methoden wie die Chemotherapie scheinen dann besonders wirksam zu sein, wenn gleich­zeitig das Immun­system auf die massiv absterbenden Krebszellen aufmerksam wird4.

Die Rolle des Immunsystems bei Bekämpfung von Krebs wurde lange ignoriert. Die Forschung hat jetzt aber die Bedeutung der Immunzellen erkannt, und weitere Erkenntnisse werden auch die Entwicklung von Immuntherapien voran treiben.

1 Vajdic et al., Cancer incidence and risk factors after solid organ transplantation, Int.J.Cancer 2009, vol. 125, pp. 1747-54 (Link)
2 Mellman et al., Cancer immunotherapy comes of age, Nature 2011, vol. 480, pp. 480-9 (Link)
alle Referenzen anzeigen 3 Chen et al., Oncology meets immunology: the cancer-immunity cycle, Immunity 2013, vol. 39, pp. 1-10 (Link)
4 Zitvogel et al., Mechanism of Action of Conventional and Targeted Anticancer Therapies: Reinstating Immunosurveillance Laurence, Immunity 2013, vol. 39, pp. 74-88 (Link)

Krebs und Immunsystem

Tumore hemmen die Aktivität von Immunzellen
Neue Immuntherapien machen sich die Widerstandskraft von Immunzellen zu Nutze.

Immunüberwachung

Drei Phasen kennzeichnen die Interaktion von Krebs und Immunsystem5:

  • Eliminierung: Neu entstandene Krebszellen werden vom Immunsystem erkannt, als gefährlich eingestuft und beseitigt.
  • Gleichgewicht: Überstehen Krebszellen die Eliminierungsphase, bilden sie kleinere Tumore, die noch vom Immunsystem kontrolliert werden können. Es bildet sich ein Gleichgewicht aus: Das Immunsystem kann den Tumor nicht beseitigen, aber dieser kann auch nicht größer werden.
  • Immunevasion: Manche Tumore entwickeln die Fähigkeit, sich vor dem Immunsystem zu verbergen oder es aktiv zu hemmen. Sie entkommen der Gleichgewichtsphase (Evasion: lat. Entkommen), wachsen unkontrolliert weiter und werden zur lebensgefährlichen Bedrohung.

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Kurz und knapp

  • Onkogene - mutierte Wachstumsgene - sind für die Entstehung von Krebszellen verantwortlich
  • die Entwicklung eines Tumors aus einzelnen Krebszellen wird vom Immunsystem beeinflusst
  • manche Tumore können das Immunsystem hemmen
  • neuartige Immuntherapien bauen auf diesen Erkenntnissen auf
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