Social Freezing - ein kontroverses Verfahren?

Das Social Freezing verändert den natürlichen Ablauf der Schwanger­schaft: Reproduktive Selbst­bestimmung oder Medizinalisierung des weiblichen Körpers?

Gründe für Social Freezing

Die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft sinkt mit dem Alter
Daten gemäß Stoop et al., 2014

Eine junge Frau lagert Eizellen ein, um die Erfüllung ihres Kinderwunsches um Jahre zu verschieben. Ein Akt weiblicher Selbstbestimmung? Oder ist sie Opfer eines gesellschaftlichen Drucks, der zur Wahl zwischen Karriere und Familie zwingt?

Zwei US-Konzerne haben diese Fragen in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Die IT-Giganten Apple und Facebook gaben im Oktober 2014 bekannt, dass sie die Kosten für ein bis dahin kaum bekanntes Verfahren übernehmen - Social Freezing genannt. Ein medizinischer Eingriff, bei dem junge Frauen ihre Eizellen in flüssigem Stickstoff einfrieren lassen, um sie erst später für eine künstliche Befruchtung zu nutzen. In Deutschland löste das Angebot der Konzerne große Empörung aus: Sie gerieten in den Verdacht, die maximale Ausbeutung ihrer jungen weiblichen Mitarbeiter voranzutreiben.

Social Freezing und die Medizinalisierung des Körpers

Häufig wurde dabei die Kritik geäußert, dass der weibliche Körper zunehmend einer "Medizinalisierung" unterworfen ist1. Statt weiterhin den natürlichen Abläufen zu vertrauen, lassen Frauen ärztliche Eingriffe über sich ergehen, für die bislang keine Notwendigkeit bestanden hatte. Die mutmaßliche Folge: Die Frauen beugen sich dem Karrieredruck und verpassen den besten Zeitpunkt für eine Familiengründung.

Eine Schweizer Ethikkommission merkte zusätzlich an, dass das Aufschieben des Kinderwunsches keine Lösung darstellt - die Probleme werden nur auf einen späteren Zeitpunkt vertagt2. Auch in höherem Alter wird es Frauen schwerfallen, Beruf und Familie in Einklang zu bringen. Experten halten es daher für sinnvoller, wenn Gesellschaft und Wirtschaft in die Pflicht genommen werden: Diese sollen Bedingungen schaffen, die Frauen eine freie Karriere- und Familienplanung ermöglichen3,4.

Das Recht auf reproduktive Selbstbestimmung

Doch der Ruf nach langfristigen Veränderungen ändert wenig an der aktuellen Lage. Vielen Frauen stellt sich jetzt die Frage, wie sie Familie und Beruf unter einen Hut bekommen sollen. Und manche Ethiker weisen darauf hin, dass sie sich dabei auf eine der ersten Forderungen der feministischen Bewegung berufen können - das Recht auf reproduktive Selbstbestimmung.

Tatsächlich ähnelt die Diskussion um das Social Freezing in wichtigen Teilen denen, die bereits in den 1960er Jahren um die Antibabypille und in den 1970er Jahren um die künstliche Befruchtung geführt wurden. Diese Themen lösen mittlerweile kaum noch gesellschaftliche Kontroversen aus. Und da Antibabypille und künstliche Befruchtung inzwischen allgemein akzeptiert werden, halten es Ethiker nur für konsequent, dass auch das Social Freezing als eine Form der reproduktiven Selbstbestimmung anerkannt wird5.

Warten auf den passenden Partner

Eine bessere Planung der Karriere ist übrigens nur einer der Gründe, warum Frauen ein Social Freezing in Betracht ziehen. Eine wichtige Rolle spielt auch die Suche nach dem passenden Partner: Viele Frauen wünschen sich hierfür mehr Zeit und weniger Druck10.

Das angestrebte Familien-Ideal blieb jedoch weiterhin konventionell6, wie eine belgische Studie herausfand. Befragt nach ihren Vorstellungen zu Partnerwahl und Familienplanung, fanden sich kaum Unterschiede zwischen Frauen, die bereits ein Social Freezing durchgeführt hatten, und einer Vergleichsgruppe7.

Ethisch umstritten: Mutter mit über 50?

In ethischer Hinsicht mag das Social Freezing Bedenken auslösen, der Gesetzgeber hingegen sieht wenig Handlungsbedarf - spezielle rechtliche Einschränkungen existieren hierzulande nicht5. So gibt es auch keine Obergrenze für das Alter, in dem eine künstliche Befruchtung durchgeführt werden darf: Theoretisch könnte daher auch Frauen von deutlich über 50 Jahren noch zur Mutterschaft verholfen werden.

Diese Gesetzeslücke möchte der Verband FertiPROTEKT8, ein Verbund zahlreicher Reproduktionskliniken, durch eine freiwillige Selbstverpflichtung schließen: Bei Frauen über 50 Jahren sollte keine Schwangerschaft mehr eingeleitet werden5. Rechtlich bindend ist diese Empfehlung allerdings nicht.

Bislang hat jedes neue Verfahren der Reproduktionsmedizin zu Anfang Unbehagen und ethische Bedenken ausgelöst. Dennoch zeigt eine Umfrage, dass bereits jetzt die Mehrheit der jüngeren Deutschen dem Social Freezing gegenüber aufgeschlossen ist9. Die Frage nach dem Social Freezing ist letztlich ein sehr persönliche - die Antwort muss jede Frau für sich selbst finden.

1 Martinelli et al., Social egg freezing: a reproductive chance or smoke and mirrors?, Croatian Medical Journal 2015 (Link)
2 Nationale Ethikkommission im Bereich Humanmedizin, Die medizinisch unterstützte Fortpflanzung. Ethische Überlegungen und Vorschläge für die Zukunft, Stellungnahme Nr. 22/2013, Bern 2013 (Link)
alle Referenzen anzeigen 3 N. Wegner, Das Einfrieren von Eizellen löst keine Job-Probleme, FocusOnline 2014 (Link)
4 T. Nauber, Social Freezing ist keine Babyversicherung, Die Welt 2015 (Link)
5 von Wolff et al., Fertility Preservation for Non-Medical Reasons, Deutsches Ärzteblatt 2015 (Link)
6 Lockwood et al., Having it all? Where are we with social egg freezing today?, Reproductive BioMedicine Online 2015 (Link)
7 Stoop et al., Does oocyte banking for anticipated gamete exhaustion influence future relational and reproductive choices?, Human Reproduction 2014 (Link)
8 FertiPROTEKT ist ein Zusammenschluss von etwa 150 Zentren der Reproduktionsmedizin des deutschsprachigen Raums (Link)
9 Forsa-Umfrage im Auftrag der Zeitschrift ELTERN, Januar 2016 (Link)
10M. Inhorn, Egg freezing is driven by a lack of suitable partners, but men are still very much involved, BioNews, Januar 2020 (Link)

Gründe für Social Freezing

Die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft sinkt mit dem Alter
Pro und Contra: Eine belgische Studie fragte 140 Frauen, warum sie sich für ein Social Freezing ent­schieden haben (Mehr­fach­nennungen waren möglich). Daten gemäß Stoop et al., 2014

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