Künstliche Befruchtung - Vorläufer der Stammzell-Diskussion
Die künstliche Befruchtung löste vor etwa 30 Jahren ethische Kontroversen aus. Heute ist sie zur Normalität geworden - was lässt sich daraus über die aktuelle Stammzelldiskussion lernen?
Im Sommer 1978 war das "Retortenbaby" Louise Brown auf allen Titelseiten zu sehen - noch etwas zerknautscht von der Geburt, aber offenkundig gesund. Doch nicht jeder hatte uneingeschränkte Freude an dem Foto. "Wenn wir der neuen Biologie nicht Grenzen setzen und das Tempo ihrer Entwicklung verlangsamen, so wird sie die Gesellschaft und die Menschheit, wie wir sie kennen, womöglich schon in der nächsten Generation zerstören", zitierte der Spiegel damals einen amerikanischen Wissenschaftler1.
Viele der damaligen Ängste erscheinen uns heute übertrieben. Doch noch immer lehnt die katholische Kirche die künstliche Befruchtung mit deutlichen Worten ab: "Die verschiedenen Techniken künstlicher Fortpflanzung, die sich scheinbar in den Dienst am Leben stellen und die auch nicht selten mit dieser Absicht gehandhabt werden, öffnen in Wirklichkeit neuen Anschlägen gegen das Leben Tür und Tor"2. Aber mit dieser Haltung steht der Vatikan fast alleine da.
Knackpunkt Gesetzgebung?
Die künstliche Befruchtung ist seit langem zur Normalität geworden, etwa 5 Millionen Kinder kamen dank dieser Technik schon zur Welt. Angesichts des offenkundigen Erfolgs traten ethische Bedenken in den Hintergrund. Doch auch die umsichtige Arbeit einer Regierung trug wesentlich zu der allgemeinen Akzeptanz bei.
In England, dem Geburtsort von Louise Brown, wurde man sich der möglichen Probleme schon früh bewusst3. Experten wurden angehört, sorgfältig erarbeitete Gesetze in Kraft gesetzt und eine Instanz ins Leben gerufen, die sofort und verbindlich auf neue Entwicklungen reagieren kann. Private Kliniken haben sich an eindeutige Regeln zu halten, die öffentliche Forschung konnte sich auf sicherer Grundlage weiter entwickeln. England spielte auf diesem Gebiet eine unumstrittene und bewunderte Vorreiterrolle.
Anders die Situation in den USA: Verbindliche Gesetze wurden bis zum heutigen Tag nicht erlassen, die Tätigkeit der kommerziellen Kliniken wird kaum kontrolliert3. Kunden dürfen etwa das Geschlecht des Kindes frei bestimmen - in Europa undenkbar. Die Forschung an nationalen Instituten hingegen ist stark eingeschränkt und von öffentlichen Gelder abgeschnitten.
Aktuelle Stammzelldebatte
Ähnlich ist heute die Lage bei den embryonalen Stammzellen. In den Medien ist das Thema kaum noch präsent, wohl weil in den letzten Jahren die großen Sensationen ausblieben - in positiver wie in negativer Hinsicht. Die öffentliche Diskussion scheint eingeschlafen, selbst die anfangs stark engagierte katholische Kirche meldet sich kaum noch zu Wort.
Die öffentliche Forschung wurde stark reglementiert und finanziell nur halbherzig gefördert. Die Folge: Kommerzielle Anbieter haben die Initiative übernommen und treiben die medizinische Entwicklung voran. Die Ergebnisse der ersten Studien werden als Erfolg verkauft, was die Stimmung offenkundig langsam zu ihren Gunsten kippen lässt.
Man gewinnt den Eindruck, dass die ethische Debatte um Stammzellen beendet ist. Dabei ist die Vernichtung von Embryonen nur ein Teil des Problems. Die scheinbar unproblematischen iPS-Zellen werden schon bald den Eingriff in die Keimbahn des Menschen erlauben. Das wird Fragen aufwerfen, die die heutige Stammzelldiskussion harmlos erscheinen lassen. Das Beispiel künstliche Befruchtung zeigt: Wenn Politik und Gesellschaft sich nicht um Antworten bemühen, dann wird der freie Markt sie geben.
Teil 2/3: Präimplantationsdiagnostik: Gentest für Embryonen
Teil 3/3: Mitochondrien-Spende: Drei Eltern, ein Kind und viele offene Fragen
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