Social Freezing – blitzartiges Einfrieren von Eizellen
Social Freezing soll die Chance auf eine späte Schwangerschaft erhöhen. Dafür werden Verfahren genutzt, die Ärzte bereits vor Jahren etabliert haben.
Mit dem Social Freezing betritt die Reproduktionsmedizin Neuland – Frauen können ihre Eizellen einfrieren und den Kinderwunsch auf später verschieben. Neu daran ist jedoch nicht das Verfahren, es ist das Ziel: Social Freezing soll Frauen die soziale und berufliche Lebensplanung erleichtern.
Methoden mit langer Geschichte
Dabei kommen eine Reihe von Methoden zum Einsatz, die auf eine lange Geschichte zurückblicken können. Bereits 1978 wurde erstmals eine künstliche Befruchtung durchgeführt, und seitdem hat sich dieses Verfahren in vielen Arztpraxen durchgesetzt. Und im Jahr 1986 kam das erste Kind zur Welt, das mit Hilfe von eingefrorenen Eizellen gezeugt wurde.
Allerdings war die Erfolgsrate anfangs noch recht bescheiden: Höchstens 2 von 100 eingefrorenen Eizellen konnten sich im Mutterleib zu einem Fetus entwickeln1. Eine Ursache für den häufigen Misserfolg war, dass die Eizellen sehr langsam auf die Temperatur von flüssigem Stickstoff herunter gekühlt wurden. Diese Methode war gut geeignet, um überzählige Embryonen aus einer künstlichen Befruchtung einzufrieren. Doch unbefruchtete Eizellen erwiesen sich als wesentlich empfindlicher, und nur wenige überstanden diesen Prozess unbeschadet.
Blitzartiges Einfrieren
Mit Hilfe einer neuen Methode kamen Ärzte hier einen großen Schritt voran – die Eizellen wurden nun blitzartig schockgefrostet. Die Zellen werden dabei in eine spezielle Einfrierlösung überführt und direkt in flüssigen Stickstoff getaucht: Innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde fällt die Temperatur auf minus 196°C. Die Eizellen gehen dabei in einen glasartigen Zustand über, von der sich auch der Name dieser Technik ableitet – Vitrifikation (von vitrum, lateinisch für Glas).
Im Juni 1999 wurde die Vitrifikation erstmals angewendet: Eine 47jährige Frau brachte ein gesundes Mädchen zur Welt. Die Frau hatte zuvor bereits vier vergebliche Versuche mit frischen Eizellen hinter sich, bis die Verwendung von vitrifizierten Zellen einer Spenderin zum Erfolg führte1.
Medical Freezing bei Krebs
In den folgenden Jahren wurde die Methode beständig verbessert, und seit dem Jahr 2012 gilt sie als ausgereift. Eine einflussreiche US-amerikanische Organisation – die American Society for Reproductive Medicine – stellte damals eine neue Leitlinie vor, welche die Vitrifikation erstmals als etabliertes und erprobtes Verfahren einstufte2. Und in Europa kamen führende Experten zu dem Schluss, dass wenig dagegen spricht, die Vitrifikation als Vorsorge bei altersbedingter Unfruchtbarkeit zu nutzen3.
Doch bislang kam die Vitrifikation vor allem bei Krebs zum Einsatz: Wenn Frauen in jungen Jahren erkranken, können die aggressiven Krebstherapien auch die Eierstöcke schwer schädigen. Das Einfrieren der Eizellen – hier manchmal als Medical Freezing bezeichnet – gehört zu den wenigen Maßnahmen, welche die Fruchtbarkeit der betroffenen Frauen wieder herstellen kann4.
Erfolg hängt vom Alter ab
Über das Medical Freezing wurden wertvolle Erfahrungen gesammelt, die auch Rückschlüsse auf die Chancen des Social Freezing zulassen5. Die wohl wichtigste Erkenntnis: Entscheidend für den Erfolg der künstlichen Befruchtung ist das Alter, in dem Frauen sich zum Einfrieren ihrer Eizellen entschließen. Sind sie jünger als 35 Jahre, können 40 von 100 Frauen hoffen, beim ersten Befruchtungszyklus schwanger zu werden. In einem Alter von 35 bis 39 Jahren gelingt dies nur noch 30 von 100 Frauen, und zwischen 40 und 44 Jahren sinkt diese Zahl auf nur noch 15 von 100 ab.
Viele Frauen entscheiden sich nach einem Fehlschlag noch zu einem weiteren Versuch der künstlichen Befruchtung. Die Erfolgsrate nimmt jedoch bei jeder weiteren Runde deutlich ab, und etwa nach dem fünften transferierten Embryo bestehen nur noch wenig Chancen auf eine Schwangerschaft5. Die Erfahrung zeigt, dass Frauen nur dann gute Aussichten auf Erfolg haben, wenn sie ihre Eizellen so früh wie möglich einfrieren lassen.
Dennoch entscheiden sich Frauen meist zu spät für ein Social Freezing. Die Daten des Netzwerks FertiPROTEKT6 aus dem Jahr 2013 zeigen, dass im deutschsprachigen Raum 3 von 4 Frauen ihre Eizellen erst einfrieren, wenn sie ein Alter von 35 Jahren oder mehr erreicht haben5. Eine Studie aus Großbritannien kommen zu ähnlichen Ergebnissen. In diesem Alter sind die Eizellen jedoch nur noch bedingt für eine künstliche Befruchtung geeignet, und die Aussichten auf eine erfolgreiche Schwangerschaft sinken deutlich ab9.
Kaum zusätzliche Risiken
Die weitere Lehre aus dem Medical Freezing ist, dass Frauen bei diesem Verfahren kaum zusätzliche Risiken eingehen. Das Einfrieren der Eizellen erhöht die Gefahr von Chromosomendefekten, Missbildungen oder Entwicklungsstörungen nicht wesentlich2. Davon unabhängig gilt es jedoch zu beachten, dass eine Schwangerschaft im höheren Alter generell häufiger von Komplikationen betroffen ist. Zudem sind die möglichen Auswirkungen einer künstliche Befruchtung auf das Kind noch nicht geklärt (siehe auch hier).
Social Freezing ist mit hohen Kosten verbunden
Jede Frau, die ein Social Freezing in Betracht zieht, sollten sich darüber klar sein, dass erhebliche Kosten auf sie zukommen. Dazu tragen eine Reihe teurer Medikamente und aufwändiger Verfahren bei: die hormonelle Stimulation der Eierstöcke, die operative Entnahme der Eizellen, das Einfrieren und die Lagerung der Eizellen, und letztlich noch die Prozedur der künstliche Befruchtung.
Falls ein Zyklus der Hormonstimulation ausreicht, kostet ein Social Freezing inklusive der Medikamente etwa 3500 bis 4000 Euro; dazu kommen noch die Kosten für die Lagerung der Eizellen und die künstliche Befruchtung. Diese Ausgaben werden von den Krankenkassen nicht übernommen7. Sogar bei einem Medical Freezing, das nur bei jungen Krebspatientinnen in einer eindeutigen Notlage durchgeführt wird, können die Betroffenen nicht auf finanzielle Unterstützung hoffen8.
Social Freezing ist längst kein Experiment mehr: 2022 haben sich in Deutschland knapp 1700 Frauen für diesen Schritt entschieden10. Auch die Erfolgsraten lassen sich mittlerweile gut abschätzen, ebenso wie mögliche Probleme und Risiken. Die medizinische Seite scheint im wesentlichen geklärt – es sind eher die ethischen Aspekte, die weiterhin für Diskussionen sorgen.
Teil 2/3: Social Freezing – blitzartiges Einfrieren von Eizellen
Teil 3/3: Social Freezing – ein kontroverses Verfahren?
2 The Practice Committees of the ASRM and the Society for Assisted Reproductive Technology, Mature oocyte cryopreservation: a guideline. Fertil. Steril. 2013 (Link)
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3 ESHRE Task Force on Ethics and Law, Oocyte cryopreservation for age-related fertility loss, Hum Reprod 2012 (Link)4 von Wolff et al.,Fertility preservation in women with malignant tumors and gonadotoxic treatments, Deutsches Ärzteblatt 2012 (Link)
5 von Wolff et al., Fertility Preservation for Non-Medical Reasons, Deutsches Ärzteblatt 2015 (Link)
6 FertiPROTEKT ist ein Zusammenschluss von etwa 150 Zentren der Reproduktionsmedizin des deutschsprachigen Raums (Link)
7 Regierung: Social Freezing wird keine Kassenleistung, Ärzteblatt, Juni 2020 (Link)
8 Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs, Jungen Krebspatienten nicht das Recht auf ein Kind nehmen, Dezember 2015 (Link)
9 Kasaven et al., Reproductive outcomes from ten years of elective oocyte cryopreservation, Archives of Gynecology and Obstetrics, August 2022 (Link)
10 Deutsches Ärzteblatt, Warum entscheiden sich immer mehr Frauen für das Social Freezing?, September 2023 (Link)
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Kurz und knapp
- beim Social Freezing frieren Ärzte Eizellen von jungen Frauen ein, um später eine künstliche Befruchtung zu erleichtern
- die künstliche Befruchtung wurde erstmals 1978 erfolgreich durchgeführt
- 1986 wurde das erste Kind aus eingefrorenen Eizellen gezeugt
- die Vitrifikation brachte einen großen Fortschritt beim Einfrieren der Eizellen
- erste Erfahrungen wurden mit dem Medical Freezing gewonnen
- das Social Freezing birgt kaum zusätzliche Risiken, aber die meisten Frauen nutzen es zu spät
- die Kosten für das Social Freezing werden nicht von den Krankenkassen übernommen