Präimplantationsdiagnostik: Gentest für Embryonen

Künstlich befruchtete Embryonen werden auf Erbkrankheiten untersucht, wenn das Risiko einer Behinderung hoch ist. Seit 2011 ist die Präimplantationsdiagnostik auch in Deutschland erlaubt.

Noch nicht im Mutterleib, aber den ersten Test schon hinter sich: Vier kleine Mädchen haben diese Erfahrung im Jahr 1990 als erste gemacht. Nach einer künstlichen Befruchtung hatten britische Ärzte gezielt nach weiblichen Embryonen gesucht, da auf den X-Chromosomen der Mütter ein Krankheits-Gen zu finden war. Männliche Babys wären wahrscheinlich schwer behindert zur Welt gekommen. Die Maßnahme hatte Erfolg, und so konnten sich zwei Paare sich über gesunde Zwillingstöchter freuen1.

Petrischale mit Zellen
Bei der künstlichen Befruchtung werden viele Embryonen erzeugt; die Präimplantationsdiagnostik testet deren Gene.

Die Präimplantationsdiagnostik (PID) ermöglichte bald den nächsten Schritt. Zwei Jahre nach den Zwillingen gelang es den gleichen Ärzten, erstmals ein Krankheits-Gen direkt auszuschließen: Wieder war es ein Mädchen, das unbelastet von der schweren Stoffwechselkrankheit Mukoviszidose geboren wurde2.

Hunderte Kliniken für Präimplantationsdiagnostik

Mittlerweile führen hunderte Kliniken weltweit eine PID durch. Ärzte entnehmen dabei ursprünglich drei Tage nach der künstlichen Befruchtung ein bis zwei Zellen, neuere Methoden warten dazu bis zum Tag fünf oder sechs.3. Mit einer speziellen Färbetechnik können die Ärzte dann unter dem Mikroskop beurteilen, ob die Chromosomen normal erscheinen und in der korrekten Anzahl vorliegen. Oder sie weisen die krankheitsauslösenden Gen-Varianten mit molekularbiologischen Methoden nach; so erkennt man auch, ob die Varianten einfach oder doppelt (also von beiden Elternteilen vererbt) vorliegen.

Bei schweren Krankheiten ist die PID kaum umstritten. Doch sie kann viel mehr erkennen - Geschlecht, Veranlagungen und die Eignung als Gewebespender. In manchen Länder werden diese Möglichkeiten bereits rege genutzt. In Deutschland ist sie nur bei manchen Erbkrankheiten zugelassen.

Einzelne Gene oder das ganze Erbgut

Mit der PID kann theoretisch jede genetische Änderung erkannt werden, wenn ein zuverlässiger Test verfügbar ist. Für sichere Aussagen ist pro Embryo allerdings kaum mehr als ein Test möglich. Mit den neuesten DNA-Sequenzierungsmethoden kann auch das gesamte Erbgut analysiert werden, allerdings mit einer relativ hohen Fehlerrate3. Designer-Babys, nach einem ganzen Katalog von Wunscheigenschaften sortiert, sind daher noch fernab jeder Realität.

Doch Realität ist, dass Kinder nach ihrer Eignung als Organspender ausgesucht werden. Im Jahr 2000 erregte der Fall der kleinen Molly Nash großes Aufsehen4: Sie litt an einer seltenen Blutkrankheit, die ihre Lebenserwartung auf kaum mehr als sieben Jahre begrenzte. Diese Krankheit kann leicht durch eine Knochenmark-Transplantation geheilt werden, doch trotz langer Suche fand sich kein geeigneter Spender.

Ein Kind rettet das andere

Die Eltern entschlossen sich in ihrer Verzweiflung zu einem Schritt, der viel Empörung auslöste: Sie wollten ein Kind zeugen, dass alle Voraussetzungen an einen passenden Spender erfüllt. Die Ärzte unterstützten das Vorhaben, und mit Hilfe der PID fand sich ein geeigneter Embryo: Stammzellen aus seinem Nabelschnurblut retteten Molly schließlich das Leben.

Der nächste umstrittene Schritt folgte 2009: Weibliche Embryonen wurden danach ausgesucht, ob sie Träger des Brustkrebs-Gens BRCA-1 sind5. Damit wurde erstmals nicht eine unheilbare, von Geburt an wirkende Behinderung vermieden, sondern eine Krankheit (eigentlich sogar nur eine Veranlagung), die erst bei Erwachsenen auftritt und für die es wirksame Therapien gibt.

Und was in Europa undenkbar wäre, ist in den USA gängige Praxis: Embryonen werden nach Geschlecht sortiert. Kliniken werben offen damit, dass sie nach Wunsch einen Sohn oder eine Tochter einpflanzen. Die PID ist in den USA kaum vom Gesetzgeber reguliert, und die Kliniken entscheiden fast in Eigenregie, was sie testen. In England hingegen hat man sich schon 1990, sofort nach der ersten PID, Gedanken gemacht: Ergebnis ist ein Regelwerk, das zwar vieles erlaubt, aber doch klare Grenzen setzt.

Kontroverse Debatte in Deutschland

In Deutschland war man lange der Meinung, dass das Embryonenschutzgesetz die PID verbietet. Doch ein überraschendes Urteil des Bundesgerichtshof vom Juli 2010 stellt dies auf den Kopf: Einem deutschen Arzt, der eine PID durchgeführt und sich dann selbst angezeigt hatte, wurde Recht gegeben. Faktisch war damit die PID erlaubt - und eine breite Diskussion über deren Pro und Contra eröffnet.

Im Juli 2011 legte der Bundestag eine gesetzliche Regelung nach. Es war eine emotionale Debatte, die jenseits aller Fraktionszwänge geführt wurde. Am Ende überwogen die Befürworter: Die PID ist seitdem zulässig, wenn das Risiko einer schweren Erbkrankheit vorliegt. Voraussetzung ist eine vorherige Beratung der Eltern, und eine unabhängige Ethikkommission muss ihre Zustimmung geben6.

Schon Ende Januar 2012 war es soweit: In Lübeck kam ein gesundes Mädchen zur Welt, bei dem - mit Hilfe der PID - die schwere Erbkrankheit Desbuquois-Syndrom ausgeschlossen wurde7. Die Eltern hatten zuvor drei Schwangerschaften durchlebt, bei denen das Kind im Mutterleib verstarb. Mittlerweile kann eine PID bundesweit in etwa 10 Zentren durchgeführt werden, im 2018 wurden 315 Untersuchungen durchgeführt.8

Auch wenn es in diesem Fall nicht kontrovers war: Die "Schwere" einer Erbkrankheit ist kaum zu definieren. Wann ist eine PID gerechtfertigt - und wann nicht? Die endgültige gesetzliche Regelung vom Juli 2012 vermeidet es bewusst, eine verbindliche Indikationsliste zu formulieren9. Das erklärte Ziel: Die Debatte soll weitergehen, und der Endpunkt offen bleiben.

1 Handyside et al., Pregnancies from biopsied human preimplantation embryos sexed by Y-specific DNA amplification, Nature 1990, vol. 344, pp. 768-70 (Link)
2 Handyside et al., Birth of a normal girl after in vitro fertilization and preimplantation diagnostic testing for cystic fibrosis, N.Engl.J.Med. 1992, vol. 3327, pp. 905-9 (Link)
alle Referenzen anzeigen 3 Sullivan-Pyke und Dokras, Preimplantation Genetic Screening and Preimplantation Genetic Diagnosis, Obstet Gynecol Clin North Am, März 2018 (Link)
4 K. Blumer, Der neue Fluch der Erkenntnis, Die Welt vom 26.10.2000 (Link)
5 Designerbaby ohne Gen für Brustkrebs geboren, Die Welt vom 9.1.2009 (Link)
6 Deutsches Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften, Präimplantationsdiagnostik: Rechtliche Aspekte , Stand Mai 2020 (Link)
7 Pressemitteilung der UKSH, Erstes Baby nach Präimplantationsdiagnostik einer monogenetischen Erkrankung in Deutschland geboren, 27.11.2012 (Link)
8 Deutscher Bundestag, Zweiter Bericht der Bundesregierung über die Erfahrungen mit der Präimplantationsdiagnostik, Drucksache 19/16925, Januar 2020 (Link)
9 K. Tichomirowa, Strittige Suche nach Erbkrankheiten, Frankfurter Rundschau vom 14.10.2012 (Link)
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Kurz und knapp

  • die Präimplantationsdiagnostik untersucht das Erbgut von künstlich befruchteten Embryonen, bevor diese in die Gebärmutter eingepflanzt werden
  • analysiert werden auffällige Chromosomen oder einzelne Genmutationen
  • mit der Präimplantationsdiagnostik kann das Geschlecht, die Veranlagung zu Krankheiten und die Eignung als Gewebespender getestet werden
  • seit 2011 ist die Präimplantationsdiagnostik auch in Deutschland erlaubt, aber nur bei schweren Erbkrankheiten
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