iPS-Zellen und Ethik: Zugriff auf die Keimbahn

Induzierte pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen) gelten meist als ethisch unbedenklich. Nur wenigen ist bewusst, dass aus ihnen menschlicher Keimbahnzellen entstehen könnten.

Chimären aus iPS-Zellen

iPS-Zellen erlauben die Herstellung von menschlichen Chimären

Bereits im Jahr 2008 erkannte Shinya Yamanaka, Nobelpreisträger und Pionier der iPS-Zellen, das ethische Problem1: Die künstlichen Befruchtung stößt in eine neue Dimension vor, wenn Keimbahnzellen aus menschlichen iPS-Zellen erschaffen werden. Keine zehn Jahre später waren die technischen Grundlagen gelegt, wenn auch für den Menschen vorerst nur theoretisch2.

Frei verfügbare Keimzellen

Bei Mäusen ist der Beweis schon erbracht: Ei- und Spermazellen aus dem Labor erzeugen gesunde und fruchtbare Nachkommen3,4. Gelingt dies auch beim Menschen, können kinderlose Paare neue Hoffnung schöpfen5. Doch die Kehrseite ist, dass das eigene Erbgut frei verfügbar wird: Ohne seine Zustimmung, sogar ohne sein Wissen könnten Eizellen oder Spermien eines jeden Menschen erzeugt werden. Egal wie alt er ist – einen Tag, hundert Jahre oder bereits verstorben.

Folgende Szenarien könnten Realität werden: Eine Ehefrau, deren Mann bei einem Unfall das Leben verlor, möchte noch von ihm schwanger werden. Oder Eltern, deren einziges Kind früh verstarb, wünschen sich posthum einen Enkel6.

Mischwesen aus Mensch und Tier

Robert Lanza, ein weiterer prominenter Stammzellforscher, warnt vor einer weiteren Gefahr. Da iPS-Zellen vergleichsweise einfach herzustellen sind, ist eine Kontrolle fast unmöglich. Jedes halbwegs gut ausgestattete Labor dieser Welt kann sie produzieren und in ethische Graubereiche vorstoßen: Etwa iPS-Zellen in einen Embryo einbauen und eine menschliche Chimäre erzeugen – ein Zwitterwesen aus zwei unterschiedlichen Individuen7. Auch dies ist in der Maus das seit Jahren problemlos möglich8.

Einfache Erzeugung von Klonen

Das Klonschaf Dolly weckte die Angst davor, dass menschliche Individuen bald beliebig vervielfältigt werden könnten. Doch die zugrunde liegende Technik war so aufwendig, dass selbst ihr Erfinder sie nicht mehr anwendet. Jetzt ist dieses Thema – von der Öffentlichkeit unbemerkt – wieder brandaktuell: Die Klonierung von Mäusen mithilfe von iPS-Zellen ist bereits seit Jahren kein technisches Problem mehr.

Grundsätzlich wäre diese Technik auch beim Menschen anwendbar. Die Gesetzgebung vieler Länder hat aber auf diese Entwicklung noch nicht reagiert9: Das reproduktive Klonen von Menschen wäre im Augenblick noch nicht einmal illegal.

Und was noch dazu kommt: Die moderne Gentechnik erlaubt es, das Genom von Zellen auf vielerlei Weise zu manipulieren. Und wenn eine manipulierte iPS-Zelle Teil der Keimbahn wird, werden die veränderten Erbinformationen an die nächsten Generationen weiter gegeben. Der Genpool der Menschheit könnte so um beliebige Varianten erweitert werden.

Die öffentliche Debatte konzentrierte sich lange auf die Vernichtung von menschlichen Embryonen. Doch die Stammzell-Technologie wird unsere ethischen Grenzen noch weiter verschieben10. Gesellschaft und Politik sollten auf die Appelle der Wissenschaftler hören und rasch verbindliche Regeln aufstellen, um medizinischen Fortschritt durch eine ethisch verantwortungsvolle Forschung zu ermöglichen.

1 S. Yamanaka im Interview mit dem ORF, 21.8.08 (Link)
2 Ilic et al., Human embryos from induced pluripotent stem cell-derived gametes: ethical and quality considerations, Regenerative Medicine, Oktober 2017 (Link)
alle Referenzen anzeigen 3 Yoshino et al., Generation of ovarian follicles from mouse pluripotent stem cells Science, Juli 2021 (Link)
4 Zhou et al., Complete Meiosis from Embryonic Stem Cell-Derived Germ Cells In Vitro, Cell Stem Cell, März 2016 (Link)
5 Gell et al., Restoring Fertility with Human Induced Pluripotent Stem Cells: Are We There Yet? Cell Stem Cell, Dezember 2018 (Link)
6 A. Heng, Is Singapore ready for mass production of eggs and sperm from stem cells? BioEdge, Juli 2022 (Link)
7 R. Lanza, Stem Cell Breakthrough: Don't Forget Ethics, Science, Dezember 2007 (Link)
8 Maherali et al., Cell Stem Cell (2007) vol. 1, pp. 55-70 (Link)
9 Lo et al., Cell Stem Cell (2010), vol. 6, pp. 16-20 (Link)
10 Rolfes et al., Diskurse über induzierte pluripotente Stammzellforschung und ihre Auswirkungen auf die Gestaltung sozialkompatibler Lösungen, Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik 2017 (Link)

Chimären aus iPS-Zellen

iPS-Zellen erlauben die Herstellung von menschlichen Chimären
iPS-Zellen machen es möglich, Mensch-Mensch Chimären zu erschaffen oder Kinder aus im Labor produzierten Keimbahnzellen zu erzeugen.

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