Evangelische Kirche – kein einheitlicher Standpunkt zu embryonalen Zellen

Die Evangelischen Kirche wollte keine einheitliche Position diktieren, sondern die Diskussion fördern – auch in den eigenen Reihen. Die Haltung zu embryonalen Stammzellen war daher zwiespältig.

Ungefähr im Jahr 2001 startete eine weltweite Debatte über embryonale Stammzellen. Befürworter sahen neue Möglichkeiten für die Medizin, Gegner kritisierten die Art der Herstellung.

Martin-Luther-Denkmal vor der Frauenkirche Dresden
Schon Martin Luther wehrte sich gegen kirchliche Dogmen (Denkmal vor der Frauenkirche in Dresden).

Auch die evangelische Kirche in Deutschland arbeitete sich lange an dieser Frage ab. Doch im Gegensatz zur dogmatischen Haltung der katholischen Kirche setzte sie auf eine offene Diskussion und eine differenzierte Betrachtung.

Auf der einen Seite erklärte sie im November 2007: "Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bekräftigt, dass die EKD die Zerstörung von Embryonen zur Gewinnung von Stammzell-Linien für die Forschung ablehnt"1. Doch andererseits war damit die Forschung an bereits bestehenden Stammzell-Linien nicht zwingend ausgeschlossen.

Diese Erklärung stellte wohl einen Kompromiss zwischen den weit abweichenden Meinungen der einzelnen Bischöfe dar. Während manche für ein vollständiges Verbot eintraten, wollten andere den Fortschritt in Richtung Therapie mit adulten Stammzellen nicht gefährden. Im Gegensatz zur katholischen Kirche wurde die moralische Wertung letztlich den Gläubigen selbst überlassen.

Ja, aber...

Gegen ein grundsätzliches Verbot, aber für eine enge zeitliche Begrenzung plädierte Bischof Wolfgang Huber aus Berlin. Die Forschung an embryonalen Zellen sei solange zulässig, wie sie den Fortschritt bei der medizinischen Anwendung von adulten Stammzellen vorantreibt. Den möglichen Heilerfolgen bei schwerkranken Menschen wurde zumindest zeitweise eine höhere Priorität eingeräumt als dem Lebensrecht eines fünf Tage alten Embryos.2

Somit akzeptierte Bischof Huber auch die Verwendung von Zell-Linien, die aus überzähligen Embryonen bei der künstlichen Befruchtung stammten – da diese sowieso vernichtet werden. Doch auch er sagte: "Kein Embryo [darf] zu Forschungszwecken hergestellt und dann getötet werden."

Andere fürchteten jedoch die langfristigen Folgen, sollte die Verwendung von embryonalen Zellen gesellschaftlich akzeptiert werden. Der württembergische Bischof Frank Otfried July formulierte das so: "Eine Instrumentalisierung und Verwendung menschlichen Lebens auch im Anfangszustand bereitet auch den Weg zu immer weiter gehenden Verfügbarkeitsansprüchen."

Kein Dekret

Die ehemalige Bischöfin Margot Käßmann führte diesen Punkt weiter aus3. Aus der Debatte um die künstliche Befruchtung zog sie die Lehre, dass anfangs sinnvoll erscheinende Maßnahmen in falsche Bahnen gelangen können. Und im Falle von embryonalen Stammzellen hieße dies, dass alle vorhandenen Möglichkeiten ausgeschöpft werden: Der Mensch würde letztlich die Stellung Gottes anstreben, um Tod und Krankheit zu besiegen und den perfekten Menschen zu schaffen.

Diese Positionen stellten ausdrücklich die persönlichen Meinungen der jeweiligen Bischöfe dar. Die evangelische Kirche als Ganzes wollte zwar zur ethischen Debatte um embryonale Stammzellen beitragen, aber nicht deren Ausgang per Dekret bestimmen.

Zwar waren die Eckpunkte klar vorgegeben: Eine Stammzelltherapie wurde letztendlich nur mit adulten Zellen akzeptiert und der menschliche Embryo sollte davor bewahrt werden, eine Verbrauchsware zu werden. Doch eine zeitlich begrenzte Forschung an embryonalen Zellen wurde nicht grundsätzlich als unvereinbar mit dem christlichen Glauben gesehen. Auch damit grenzte sie sich deutlich von der Position der katholischen Kirche ab.

In den letzten Jahren haben wissenschaftliche Fortschritte diese Debatte offenkundig beruhigt. Die Fähigkeiten der embryonalen Stammzellen sind nicht mehr einzigartig – die ethisch akzeptierten iPS-Zellen haben ihnen in Forschung und Medizin den Rang abgelaufen. Auch die evangelische Kirche hat sich seitdem kaum noch zu diesem Thema geäußert – der ethische Streit um die embryonalen Stammzellen ist wohl endgültig eingeschlafen.

1 Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, Beschluss zur Stammzellforschung, November 2007 (Link)
2 Pressemitteilung der EKD, Lockerung der Stammzellforschung von Bischof Huber befürwortet Februar 2008 (Link)
3 M. Käßmann, Was hat die Bibel mit Gentechnik zu tun?, Mai 2002 (Link)
Martin-Luther-Denkmal vor der Frauenkirche Dresden
Schon Martin Luther wehrte sich gegen kirchliche Dogmen (Denkmal vor der Frauenkirche in Dresden).

Mehr zum Thema Ethik

  • Die katholische Kirche: Schärfste Verurteilung mehr...
  • Was sagen die Weltreligionen? mehr...
  • Die Blastozyste: Ab wann ist der Mensch ein Mensch? mehr...
  • iPS-Zellen: Zugriff auf die Keimbahn mehr...
  • Künstliche Befruchtung: Vorläufer der Stammzell-Diskussion mehr...
  • Präimplantationsdiagnostik: Der Weg zum perfekten Baby? mehr...

Kunstdrucke- Anzeige -

Kunstdrucke und Naturfotografie von Jens Rosbach

Naturfotografie auf jensrosbach.de

Kurz und knapp

  • die evangelische Kirche verzichtet auf eine einheitliche und bindende Stellungnahme zur Forschung mit embryonalen Stammzellen
  • das Lebensrecht und die Würde des Embryos werden betont
  • eine Stammzelltherapie wird nur bei Verwendung von adulten Zellen akzeptiert
  • die Forschung an embryonalen Stammzellen ist (wenn überhaupt) nur zeitlich begrenzt zulässig, und nur wenn sie die medizinische Anwendung von adulten Zellen vorantreibt
OK

Diese Webseite verwendet Cookies, die für das Bereitstellen der Seiten und ihrer Funktionen technisch notwendig sind.    Info