Die Blastozyste – Hohlkugel mit potenten Zellen
Knapp 200 Zellen und nur den Bruchteil eines Millimeters groß: Die Blastozyste ist winzig, enthält aber bereits drei Arten von Geweben.
Fünf Tage nach der Befruchtung entsteht die Blastozyste. Diese unscheinbare, hohle Kugel steht vor einem wichtigen Schritt: Sie wird sich bald in die Gebärmutter einnisten1. Ihre Zellen haben sich bereits in drei Arten aufgeteilt, die bei der Einnistung unterschiedliche Aufgaben übernehmen.
Von der Eizelle zum Zellhaufen
Die Vereinigung von Eizelle und männlicher Samenzelle erzeugt die Zygote, das befruchtete Ei. Die Zygote beginnt bald, sich zu teilen und neue Zellen zu erzeugen. Die Entwicklung zehrt anfangs von den Ressourcen des Eis: Die Zellen werden mit jeder Teilung kleiner, die Größe des Embryo bleibt jedoch konstant. In den ersten Tagen ist der Zellhaufen nur etwa 0,1 bis 0,2 mm groß.
Die ersten vier Zellteilungen haben einen kugeligen Haufen erzeugt, die Morula. Unterm Mikroskop sind die Zellen in diesem Stadium nicht zu unterscheiden, doch der Schein trügt. Während die Zygote noch totipotent war – aus ihr entsteht ein ganzer Mensch – haben die Morulazellen diese Eigenschaft verloren2. Nach der zweiten oder dritten Teilung ist ihre Entwicklungsfähigkeit so eingeschränkt, dass aus einer einzelnen Zelle keine lebensfähiger Embryo entstehen kann.
Die drei Zelltypen der Blastozyste
Wenn sich 100 bis 200 Zellen gebildet haben, geht der Embryo in die nächste Stufe über: Aus dem ungeordneten Zellhaufen bilden sich erste Strukturen heraus. Die Blastozyste ist eine mit Flüssigkeit gefüllte Blase, in der sich eine winzige Zellmasse befindet. Ihre dünne Außenwand wird weiterhin von der Zona pellucida umschlossen, der ursprünglichen Hülle der Eizelle3.
Die äußere Schicht der Blastozyste besteht nur aus einer einzelnen Lage von Zellen, den Trophoblasten. Diese vereinigen sich mit dem mütterlichen Gewebe und bilden gemeinsam die Plazenta, die den Embryo mit Nährstoffen versorgen wird.
Die innere Zellmasse besteht anfangs aus einem einzigen Zelltyp, den Embryoblasten. Doch bald entwickeln sich zwei unterschiedliche Gewebe: Am inneren Rand bildet sich das primitive Endoderm, das zum Dottersack wird. Dieses embryonale Organ erfüllt in den ersten Wochen wichtige Stoffwechselfunktionen, die später von der Leber übernommen werde.
Quelle für pluripotente Stammzellen
Der Epiblast ist die zweite Art von Gewebe in der inneren Zellmasse – aus ihm entwickelt sich der Fetus. Sämtliche menschlichen Gewebe entstehen aus den Epiblasten, doch im Gegensatz zur totipotenten Zygote kann er sich nicht in die Gebärmutter einnisten. Seine Zellen gelten als pluripotent: Sie können keine Plazenta und damit keinen lebensfähigen Embryo erzeugen.
Die Epiblasten verlieren ihr pluripotentes Potenzial bereits nach wenigen Tagen. Mit der Einnistung in die Gebärmutter, der Nidation, entwickelt sich die Blastozyste zur Gastrula, und aus den Embryoblasten gehen die drei Keimblätter hervor: Dünne Schichten von Zellen, aus denen später die Körperorgane hervorgehen. Die Stammzellen der Keimblätter sind nur noch multipotent: Ihr Entwicklungspotenzial ist noch weiter eingeschränkt, sie sind auf bestimmte Organe festgelegt.
Wenn Forscher die natürliche Entwicklung der Blastozyste stoppen und die innere Zellmasse im Labor weiterzüchten, entsteht ein besonderer Zelltyp: die embryonale Stammzelle. Diese Zelllinien sind weiterhin pluripotent, können also jedes menschliche Gewebe erzeugen4. Zudem lassen sie sich leicht vermehren. Beides sind Eigenschaften, die für die Medizin sehr nützlich sind.
Die Blastozyste in der Medizin
Viele Ärzte hoffen, dass Stammzelltherapien bislang unheilbaren Krankheiten lindern oder sogar heilen können. Die embryonalen Stammzellen aus der Blastozyste wären dazu gut geeignet, da sie entwicklungsfähiger und wachstumsfreudiger sind als adulte Stammzellen. Doch es gibt ein Dilemma: Die Blastozyste, ein werdender Mensch, muss für ihre Gewinnung zerstört werden.
Ob die medizinische Anwendung von embryonalen Stammzellen vertretbar ist, hängt von einer grundsätzlichen Frage ab: Ist die Blastozyste ein Mensch oder ein Zellhaufen? Die Antwort fällt jedoch schwer – Naturwissenschaften, Philosophie und Religionen finden keinen gemeinsamen Nenner.
Teil 2/2: Blastozyste - Zellhaufen oder Mensch?
2 Riveiro und Brickman, From pluripotency to totipotency: an experimentalist’s guide to cellular potency, Development, August 2020 (Link)
Stammzellforschung
Arten von Stammzellen
Kurz und knapp
- die Blastozyste entsteht etwa an Tag 5 der menschlichen Entwicklung
- sie besteht aus drei Sorten von Zellen
- Trophoblasten verschmelzen mit der Gebärmutter und werden Teil der Plazenta
- aus den Embryoblasten entsteht der Fetus
- die Blastozyste ist Quelle der pluripotenten embryonalen Stammzellen