Nabelschnurblut bei Zerebralparese – nur wenig Fortschritte
Nabelschnurblut soll Kindern mit frühkindlicher Hirnschädigung helfen. Doch es ist unklar, ob die Behandlung wirkt.
Etwa eines von 500 Kindern kommt mit einer Hirnschädigung zur Welt. Die Folge können Bewegungsstörungen sein, die als Zerebralparesen bezeichnet werden. Da es kaum wirksame Therapien gibt, erproben Forschende seit etwa 20 Jahren den Einsatz von Nabelschnurblut. In manchen Studien schienen die Symptome der Zerebralparese etwas abzunehmen. Eindeutig belegt ist die Wirkung aber noch nicht1.
Was ist eine Zerebralparese?
Die Zerebralparese ist eine Bewegungsstörung, die durch eine Schädigung des frühkindlichen Gehirns verursacht wird. Sie kann sehr unterschiedlich ausgeprägt sein: In leichten Fällen bewegen sich die Kinder etwas unbeholfen und steif, in schweren Fällen kommt es zu krampfartigen Anfällen und Lähmungen. Oft ist auch die geistige Entwicklung beeinträchtigt.
Was die Schädigung des Gehirns ausgelöst hat, lässt sich oft nicht feststellen. Mögliche Ursachen sind Infektionen während der Schwangerschaft oder Sauerstoffmangel während der Entbindung. In schweren Fällen zeigen sich die ersten Anzeichen direkt nach der Geburt, die endgültige Diagnose wird jedoch meist erst nach dem ersten Lebensjahr gestellt.
Eine wirksame Behandlung der Zerebralparese gibt es nicht. Ziel ist es daher vor allem, die Folgen und Symptome der Erkrankung zu lindern.
Wie sollen Zellen aus dem Nabelschnurblut helfen?
Die Anwendung von Zelltherapien bei der Zerebralparese hat eine lange Geschichte: Bereits 2005 wurde ein einjähriges Mädchen mit ihrem eigenen Nabelschnurblut behandelt2. Doch was erhofften sich die Forschenden von dieser Behandlung?
Tatsächlich ist bis heute unklar, wie eine Zelltherapie wirken könnte. Eine theoretische Möglichkeit wäre, dass Stammzellen ins Gehirn eindringen und sich dort in Nervenzellen umwandeln. Dies gilt jedoch als sehr unwahrscheinlich.
Vielmehr vermuten Forschende, dass die Nabelschnurzellen verschiedene Wachstumsfaktoren freisetzen, die die Heilung des Gehirns unterstützen. Der Fachbegriff für diesen Vorgang lautet parakriner Effekt. Er könnte
- die Entwicklung des Gehirns fördern
- über das Immunsystem eine heilende Wirkung haben
- die Bildung von Blutgefäßen anregen
Indirekt könnten diese Prozesse dazu beitragen, dass das Gehirn eine bessere Kontrolle über die Motorik erlangt. Bewiesen ist diese Vermutung jedoch nicht.
Studien und Ergebnisse
In den letzten Jahren wurden zahlreiche Studien zur Zelltherapie und Zerebralparese durchgeführt. Diese Studien sind jedoch kaum miteinander vergleichbar, da unterschiedliche Zellpopulationen und Behandlungsprotokolle verwendet wurden. Häufig hatten sie auch nur sehr wenige Teilnehmer und sind daher nur begrenzt aussagekräftig3.
Systematische und zuverlässige Studien mit Nabelschnurblut wurden vor allem in drei Kliniken in den USA, Korea und China durchgeführt.
USA – drei Studien mit 218 Kindern
Der erste Einsatz von Nabelschnurblut erfolgte an der Duke Universität in North Carolina durch Joanne Kurtzberg, die als Pionierin auf diesem Gebiet gilt. Die Behandlung mit eigene Blutproben erfolgte im Rahmen einer klinischen Studie, an der 140 Kinder mit Zerebralparese teilnahmen und die bis 2009 lief2. Das wichtigste Ergebnis: Die Behandlung mit eigenem Nabelschnurblut war sicher und ohne schwerwiegende Nebenwirkungen. Ob sie aber auch wirksam war, blieb unklar.
Eine Folgestudie mit 63 Kindern sollte diese Frage klären – doch auch ihre Ergebnisse waren nicht eindeutig 4. Betrachteten die Forscher alle Kinder, verbesserte die Transplantation des eigenen Nabelschnurbluts die Symptome der Zerebralparese nicht signifikant. Allerdings schien es dem Teil der Kinder, der höhere Dosen Nabelschnurblut erhalten hatte, danach deutlich besser zu gehen.
In einer dritten Studie wurde gespendetes Nabelschnurblut verwendet. Auch hier zeigte sich bei 15 behandelten Kindern ein ähnliches Bild: Ein Test der motorischen Fähigkeiten zeigte leichte Verbesserungen, ein eindeutiger Erfolg wurde jedoch nicht erzielt5.
Südkorea – drei Studien mit 156 Kindern
Der südkoreanische Forscher MinYoung Kim führte an der Universität Bundang drei Studien durch. Im Jahr 2013 verwendete er Nabelschnurblut von Fremdspendern, um 31 Kinder mit Zerebralparese zu behandeln6. Die körperliche und geistige Entwicklung der behandelten Kinder schien danach besser zu verlaufen als bei einer unbehandelten Kontrollgruppe.
Eine Folgestudie mit 36 Kindern aus dem Jahr 2015 deutete zudem darauf hin, dass die Wirkung der Therapie über das Immunsystem vermittelt sein könnte. Die Forschenden stellten fest, dass Entzündungsreaktionen im Gehirn eingedämmt wurden7.
Eine dritte Studie aus dem Jahr 2020 testete eine Kombination aus Nabelschnurblut und dem Botenstoff Erythopoetin8. Sie gab Hinweise darauf, dass die Kombination der beiden Behandlungen zu besseren Ergebnissen führt. Allerdings lieferte auch diese Studie keinen eindeutigen Beweis für die Wirksamkeit der Nabelschnurblut-Therapie.
China – eine Studie mit 54 Kindern
Forschende in der chinesischen Stand Xi’an führten 2018 eine Studie mit 54 Kindern durch, bei der mesenchymale Stammzellen aus dem Nabelschnurblut eingesetzt wurden9. Bis zu zwei Jahre nach der Behandlung schienen sich die motorischen Fähigkeiten der Kinder zu verbessern (im Vergleich zu einer Kontrollgruppe). Allerdings sind auch hier weitere Studien erforderlich, um die Wirksamkeit der Behandlung zu bestätigen.
Fazit
Der Einsatz von Nabelschnurblut könnte bei manchen Kinder dazu beigetragen haben, die Folgen der Zerebralparese zu lindern. Sicher ist dies jedoch nicht. Offensichtlich ist hingegen, dass in den letzten Jahren keine großen Fortschritte erzielt wurden. Selbst wenn sich Nabelschnurblut als wirksam erweisen sollte, wird es wohl noch viele Jahre dauern, bis es allgemein verfügbar ist.
Die mögliche Therapie der Zerebralparese wird oft als Grund angeführt, warum eine private Einlagerung von Nabelschnurblut sinnvoll sein könnte. Dabei wird meist nicht erwähnt, dass Zeit ein kritischer Faktor ist. Eine Studie deutete an, dass eine Behandlung vor allem in den ersten drei Lebensjahren sinnvoll erscheint. Für Kinder, die jetzt oder in absehbarer Zukunft geboren werden, ist die Behandlung mit Nabelschnurblut daher wahrscheinlich keine realistische Option.
2 Sun et al., Differences in quality between privately and publicly banked umbilical cord blood units: a pilot study of autologous cord blood infusion in children with acquired neurologic disorders., Transfusion, 2010 (Link)
alle Referenzen anzeigen
3 Qu et al., Efficacy and safety of stem cell therapy in cerebral palsy: A systematic review and meta-analysis, Frontiers in Bioengineering and Biotechnology, Dezember 2022 (Link)4 Sun et al., Effect of Autologous Cord Blood Infusion on Motor Function and Brain Connectivity in Young Children with Cerebral Palsy: A Randomized, Placebo-Controlled Trial, Stem Cells Translational Medicine, 2017 (Link)
5 Sun et al., Sibling Umbilical Cord Blood Infusion is Safe in Young Children with Cerebral Palsy, Stem Cells Translational Medicine, September 2021 (Link)
6 Min et al., Umbilical cord blood therapy potentiated with erythropoietin for children with cerebral palsy: a double-blind, randomized, placebo-controlled trial., Stem Cells 2013 (Link)
7 Kang et al., Involvement of Immune Responses in the Efficacy of Cord Blood Cell Therapy for Cerebral Palsy, Stem Cells and Development, 2015 (Link)
8 Min et al., Potentiation of cord blood cell therapy with erythropoietin for children with CP: a 2 × 2 factorial randomized placebo-controlled trial, Stem Cell Research & Therapy, November 2020 (Link)
9 Huang et al., A Randomized, Placebo-Controlled Trial of Human Umbilical Cord Blood Mesenchymal Stem Cell Infusion for Children With Cerebral Palsy, Cell Transplantation, Februar 2018 (Link)
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Kurz und knapp
- mehrere Studien testen, ob Nabelschnurblut die Symptome einer Zerebralparese lindern kann
- es besteht die Möglichkeit, dass Botenstoffe aus den Nabelschnurzellen die Funktion der Nervenzellen unterstützen
- in 7 Studien mit etwa 430 Kindern konnten Nabelschnurtherapien leichte Verbesserungen erzielen
- ein endgültiger Beleg für die Wirksamkeit ist noch nicht erbracht