Mesenchymale Stammzellen – heilkräftig und wandlungsfähig
Mesenchymale Stammzellen unterstützen die Heilung und Erneuerung von Körpergewebe. Die Hoffnung auf neue Therapien hat sich bislang jedoch kaum erfüllt.
Ende der 1960er Jahre entdeckten Forscher im Knochenmark einen Zelltyp, der sich im Labor als äußerst wandlungsfähig erwies. Er erhielten den Namen „mesenchymale Stammzelle‟ oder kurz MSC1. Bald wurde klar, dass MSC in fast allen Organen des Körpers zu finden sind. Dort produzieren sie Botenstoffe, die verletztes Gewebe bei der Heilung unterstützen.
Seitdem versuchen Mediziner, diese Heilkraft für die Medizin zu nutzen. In mehr als 1000 klinischen Studien haben sie MSC getestet. Durchgesetzt hat sich ihr Einsatz jedoch nur in wenigen Fällen.
1. Was sind MSC?
Im Labor zeigen MSC charakteristische Eigenschaften, die sie von anderen Zellen unterscheiden. Wahrscheinlich ist es die künstliche Umgebung, die den Zellen eine einheitliche Entwicklung aufzwingt. Im Körper hingegen sind die Eigenschaften und Aufgaben der MSC deutlich vielfältiger: Sie hängen stark davon ab, in welchem Gewebe sich die Zellen befinden.
Unter der Bezeichnung MSC versammeln sich daher wahrscheinlich viele unterschiedliche Zelltypen. Es ist eher ein Sammelbegriff als eine exakte Definition. Dennoch haben Forscher versucht, eine einheitliche Klassifizierung der Zellen festzulegen.
Wenn sie im Labor vermehrt werden, sollten MSC
- sich an die Plastikoberfläche der Zellkulturgefäße anheften können
- unter dem Mikroskop ähnlich aussehen wie bestimmte Gewebezellen (Fibroblasten )
- bestimmte Kombinationen von Markern auf ihrer Oberfläche aufweisen
- im Labor spezialisierte Zellen aus dem Knochen-, Knorpel- und Fettgewebe hervorbringen
Das typische Verhalten von Stammzellen – also das Erzeugen unterschiedlicher Zellarten – zeigen MSC vor allem im Labor. Im Körper scheint ihre Hauptaufgabe jedoch die Produktion von Botenstoffen zu sein. Der Name „mesenchymale Stammzelle‟ führt daher in die Irre.
Viele Forscher bevorzugen heute Bezeichnungen wie Mesenchymale Stromazellen, Mesenchymale Stamm/Stromazellen oder Medicinal Signaling Cells. In der englischen Form verträgt sich das jeweils mit der Abkürzung MSC – das Kürzel hat sich daher auch als einheitliche Bezeichnung durchgesetzt1.
2. Was können MSC?
MSC zeigen im Labor eine erstaunliche Wandlungsfähigkeit. Wenn Forscher die richtigen Bedingungen wählen, entstehen aus ihnen viele verschiedene Zellarten, vor allem solche aus Muskeln, Knochen und Knorpel. In der Theorie wären MSC daher in der Lage, Verletzungen in all diesen Geweben zu heilen.
In Hunderten von klinischen Studien hat sich diese Hoffnung jedoch in einem wichtigen Punkt nicht erfüllt: MSC siedeln sich nur in Ausnahmefällen dauerhaft in verletzten Organen an, um deren Gewebe wieder aufzubauen. Dennoch haben sie oft eine positive Wirkung, die aber auf einem anderen Mechanismus beruht – dem parakrinen Effekt.
Hinter diesem Begriff verbirgt sich die Eigenschaft von MSC, Botenstoffe freizusetzen, die direkt auf die umliegenden Gewebe einwirken. Dazu zählen Wachstumsfaktoren, die verletzte Gewebe bei der Regeneration unterstützen. Oder die Zytokine des Immunsystems, die chronische Entzündungen lindern können. Es ist wohl vor allem dem parakrinen Effekt zu verdanken, dass MSC viele Erkrankungen lindern können.
3. Woher kommen MSC?
Fast jedes menschliche Organ enthält eine Variante der MSC, meist in unmittelbarer Nähe der Blutgefäße. Um sie medizinisch nutzen zu können, müssen sie aber auch leicht zugänglich sein. Größere Mengen an MSC werden vor allem aus drei Geweben gewonnen: Fettgewebe, Knochenmark und Nabelschnur.
Diese Zellen sind jedoch nicht immer austauschbar: Je nach Herkunft haben MSC unterschiedliche Eigenschaften und könnten für die Therapie anderer Krankheiten geeignet sein.
3.1 Millionen mesenchymale Zellen im Fettgewebe
Die größte Zahl von MSC findet sich im Fettgewebe. Bei kosmetischen Operationen fällt Körperfett als Abfallprodukt an und kann für medizinische Anwendungen weiterverarbeitet werden.
Das Absaugen von überschüssigem Fettgewebe gehört in vielen Arztpraxen zur täglichen Routine. Der Eingriff, in der Fachsprache Liposuktion genannt, verläuft meist ohne Komplikationen. Er entfernt bis zu drei Liter einer zähflüssigen Fettmasse, die aus Zellen und Geweberesten besteht. Eine Behandlung mit Enzymen trennt das entfernte Fett in seine Bestandteile auf, wobei eine der Komponenten – die stromal-vaskuläre Fraktion (SVF) – für die Medizin von großem Interesse ist.
Die SVF ist anfangs ein Gemisch aus unterschiedlichen Zellen. Um das Gemisch weiter aufzutrennen, wird es in Plastikgefäße überführt: MSC bleiben am Boden der Gefäße haften, während andere Zellen leicht abgewaschen werden können. Mit diesem einfachen Verfahren lassen sich aus einer einzigen Liposuktion oft hunderte Millionen mesenchymaler Zellen gewinnen – ein Vielfaches dessen, was aus Knochenmark oder Nabelschnur gewonnen werden kann.
3.2 MSC aus dem Knochenmark – eine schmerzhafte Prozedur
Auch das Knochenmark wird heute noch häufig als Quelle für MSC genutzt. Die Ausbeute ist jedoch vergleichsweise gering, da MSC höchstens eine von 10 000 kernhaltigen Knochenmarkzellen stellen. Zudem ist die Entnahme von Knochenmark eine schmerzhafte Prozedur, die mit einem Krankenhausaufenthalt verbunden ist. Zudem besteht das Risiko einer gefährlichen Infektion.
3.3 Nabelschnur – junge und wachstumsfreudige Zellen
Das Gewebe der Nabelschnur enthält mesenchymale Zellen, die kaum durch Umwelteinflüsse oder Infektionen vorbelastet sind. Diese MSC gelten als besonders wachstumsfreudig und wandlungsfähig. Sie wurden in zahlreichen Studien eingesetzt, um die Behandlung verschiedenster Erkrankungen zu testen.
Die Nabelschnur bietet zusätzliche Vorteile: Das Gewebe enthält eine hohe Dichte von Stammzellen. Und es ist nach der Geburt verfügbar, ohne dass ein zusätzlicher Eingriff nötig ist.
4. Bei welchen Erkrankungen könnten MSC helfen?
Im Körper helfen MSC, beschädigtes Gewebe zu erneuern. Diese Aufgabe sollen sie auch in zahlreichen klinischen Studien erfüllen: Sie werden vor allem bei chronischen Gewebeschäden getestet, die mit herkömmlichen Therapien nur schwer zu behandeln sind.
4.1 Folgen eines Herzinfarkts
Ein akuter Herzinfarkt kann das Herzgewebe schwer schädigen. Das Herz selbst hat nur eine sehr begrenzte Fähigkeit zur Regeneration: Verminderte Muskelmasse und starke Narbenbildung sind daher häufige Folgen eines Herzinfarkts.
MSC könnten den Heilungsprozess positiv beeinflussen. Sie setzen Botenstoffe frei, die Entzündungen lindern, die Narbenbildung hemmen und die Bildung von Blutgefäßen fördern2.
In den letzten Jahren wurden mindestens 36 Studien durchgeführt, an denen fast 2500 Herzinfarktpatienten teilnahmen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Injektion von MSC zumindest kurzfristig die Pumpleistung des Herzens verbessern kann. Die Häufigkeit nachfolgender Krankenhausaufenthalte blieb jedoch unverändert3.
Experten werten diese Ergebnisse als hoffnungsvollen ersten Schritt2. Von einer offiziellen Zulassung als Infarkttherapie sind MSC jedoch noch weit entfernt.
4.2 Akutes Leberversagen und Leberzirrhose
Falsche Ernährung, Infektionen und Giftstoffe können die Funktionsfähigkeit der Leber stark beeinträchtigen. Im chronischen Fall kann sich eine Leberzirrhose entwickeln. In seltenen Fällen kann es auch zu akutem Leberversagen kommen, häufig ausgelöst durch Hepatitis-Viren oder eine Überdosierung des Schmerzmittels Paracetamol.
Die Gabe von MSC bei schweren Leberschäden soll die Entzündungsprozesse stoppen und die Narbenbildung verhindern. In den letzten Jahren wurden mehr als 20 Studien durchgeführt, an denen über 500 Menschen mit verschiedenen Lebererkrankungen teilnahmen4. Die Ergebnisse waren jedoch sehr uneinheitlich – von einer allgemeinen Anwendung ist der Ansatz noch weit entfernt.
4.3 Graft-versus-Host-Reaktion
Offiziell als Medikament zugelassen – zumindest in einigen Ländern – ist dagegen die Therapie einer Komplikation, die häufig bei der Transplantation von Blutstammzellen auftritt. Die Graft-versus-Host-Reaktion (GvHR) kann lebensbedrohliche Ausmaße annehmen: Immunzellen des Spenders greifen das körpereigene Gewebe des Empfängers an. Nur etwa die Hälfte der Betroffenen kann wirksam behandelt werden.
Die Transplantation allogener MSC aus dem Knochenmark scheint den Krankheitsverlauf deutlich zu verbessern5. Trotz zahlreicher Studien ist der Nutzen jedoch nicht abschließend belegt. Vor allem ist es noch sehr schwierig, im Voraus zu bestimmen, welche Patienten am ehesten von einer MSC-Therapie profitieren.
5. Welche Therapien sind bereits zugelassen?
Weltweit sind 11 Therapien mit MSC zugelassen6. Die meisten dieser Therapien sind nur in asiatischen Ländern verfügbar, insbesondere in Südkorea und Japan. In westlichen Ländern sind nur 2 Therapien zugelassen – Alofisel und Prochymal.
5.1 Alofisel bei Morbus Crohn
Die MSC-Therapie Alofisel wird bei Komplikationen der entzündlichen Darmkrankheit Morbus Crohn eingesetzt. Die Therapie unterstützt die Heilung von Fisteln im Analbereich, wirkt aber nur bei einem Teil der Behandelten. Die mesenchymalen Stammzellen werden aus dem Fettgewebe fremder Spender gewonnen.
Alofisel ist seit 2018 in der Europäischen Union zugelassen.
5.2 Prochymal bei GvHR
Die MSC-Therapie Prochymal kann Komplikationen bei der Transplantation von Blutzellen verringern. Sie wird vor allem bei schweren Fällen einer Graft-versus-Host-Reaktion (GvHR) eingesetzt. Die verwendeten mesenchymalen Stammzellen stammen aus dem Knochenmark fremder Spender. Der Nutzen der Therapie ist noch nicht eindeutig belegt.
Prochymal ist in Kanada, Neuseeland und Japan (unter dem Namen TemCell) zugelassen.
6. Fazit
MSC unterstützen die Erneuerung von Gewebe und können relativ einfach aus dem menschlichen Körper gewonnen werden. Im Labor vermehren sie sich gut. Aufgrund dieser Eigenschaften sollten sich MSC gut für medizinische Anwendungen eignen.
Doch bislang bleiben die Erfolge überschaubar: Trotz vieler hoffnungsvoller Ansätze fehlen in der Regel eindeutige Belege, dass die MSC ihre heilende Wirkung auch für die Medizin entfalten. Die Forschung geht jedoch weiter und könnte in Zukunft den Weg für weitere Anwendungen ebnen.
2 Clavellina et al., Stem cell therapy for acute myocardial infarction: Mesenchymal Stem Cells and induced Pluripotent Stem Cells, Expert Opinion on Biological Therapy, August 2023 (Link)
alle Referenzen anzeigen
3 Hosseinpour et al., Comparing the effect of bone marrow mono-nuclear cells with mesenchymal stem cells after acute myocardial infarction on improvement of left ventricular function: a meta-analysis of clinical trials, Stem Cell Research & Therapy, Mai 2022 (Link)4 Shokravi et al., Mesenchymal stromal cells (MSCs) and their exosome in acute liver failure (ALF): a comprehensive review, Stem Cell Research & Therapy, Mai 2022 (Link)
5 Kadri al., Current perspectives on mesenchymal stromal cell therapy for graft versus host disease, Cellular & Molecular Immunology, Mai 2023 (Link)
6 Fernández et al., Mesenchymal Stem Cell Therapies Approved by Regulatory Agencies around the World, Pharmaceuticals, September 2023 (Link)
Stammzellforschung
Arten von Stammzellen
Kurz und knapp
- mesenchymale Stammzellen (MSC) unterstützen die Regeneration von Geweben
- im Körper schütten sie zahlreiche Botenstoffe aus
- im Labor entwickeln sie sich zu Zellen aus dem Knochen, Knorpel und Fettgewebe
- häufig genutzte Quellen für mesenchymale Stammzellen sind Knochenmark, Fettgewebe und Nabelschnur
- viele Studien testen ihre Anwendung in der Medizin