Stammzelltherapien – große Herausforderungen, langsame Fortschritte

Diabetes, Herzschwäche, Parkinson – Stammzellen sollen alles heilen. Doch die Entwicklung neuer Therapien wird noch einige Jahre benötigen.

Bei vielen Erkrankungen können Ärzte nur die schwersten Symptome lindern – eine Heilung ist mit konventionellen Therapien kaum möglich. Stammzellen versprechen einen neuen Ansatz: Ihre Entwicklungsfähigkeit und Wachstumsfreude sollen erkrankte Organe von Grund auf erneuern.

Stammzellen in der Medizin

Die Stammzellentherapie verwendet embryonale, fetale, adulte und Nabelschnur-Stammzellen

Doch der Weg dahin erweist sich als mühsam. Trotz hunderter klinischer Studien ist die Ausbeute gering: Gerade einmal zwei neue Stammzelltherapien wurden in den letzten Jahrzehnten in Deutschland zugelassen.

Dennoch bleibt der Optimismus vieler Forscher ungebrochen. Vor allem eine Art von Stammzellen hat es ihnen angetan: „Das Potenzial menschlicher pluripotenter Stammzellen für Zelltherapien und andere Anwendungen ist enorm“, erklärte der japanische Forscher Shinya Yamanaka im Oktober 20201. Dieses Potenzial hat er selbst nach Kräften erweitert – für die Entwicklung der induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen) erhielt Yamanaka den Nobelpreis für Medizin.

Welche Stammzellen eignen sich für die Medizin?

1. Pluripotente Stammzellen

Neben den iPS-Zellen weisen auch embryonalen Stammzellen besondere Eigenschaften auf, die als Pluripotenz bezeichnet werden: hohe Wachstumsfreude und eine fast unbegrenzte Entwicklungsfähigkeit. Jedes Gewebe des menschlichen Körpers kann aus ihnen entstehen. Und zumindest in der Theorie könnten sie auch alle Organe und Gewebe erneuern.

Doch vor den erhofften Therapien stehen große Hürden. Die Probleme betreffen meist drei Bereiche1 (embryonale Zellen lösen zudem ethische Kontroversen aus):

  • Krebsrisiko: Die Wachstumsfreude der pluripotenten Zellen birgt auch die Gefahr, dass sie außer Kontrolle geraten und Tumore bilden.
  • Gefährliche Immunreaktionen: Viele getestete Therapien basieren auf körperfremden Zellen, die vom Immunsystem angegriffen und beseitigt werden.
  • Wechselnde Eigenschaften: Die Unterschiede zwischen den vielen notwendigen Stammzelllinien können beträchtlich sein. Dies erschwert die Entwicklung einer verlässlichen Therapie.

2. Adulte Stammzellen

Adulte Stammzellen werden aus dem Körper erwachsener Menschen gewonnen. Ihr Entwicklungspotenzial ist eingeschränkt, sie können meist nur zur Regeneration eines einzelnen Organs beitragen. Ein großer Vorteil ist jedoch, dass die Risiken bei einer medizinischen Anwendung sehr gering sind.

Schon seit vielen Jahrzehnten werden adulte Stammzellen in der Medizin verwendet. Am verbreitetsten sind Stammzellen, die das Blut- und Immunsystem erneuern können. Als Quelle dient das Knochenmark, das periphere Blut und die Nabelschnur. Etabliert ist auch die Anwendung von Haut-Stammzellen und mesenchymalen Stammzellen. Die Entwicklung neuer Therapien ist jedoch ins Stocken geraten.

Welche Stammzelltherapien sind in Deutschland verfügbar?

Alle in der Europäischen Union (EU) zugelassene oder von großen Kliniken verwendete Stammzelltherapien nutzen adulte Zellen. Ein eindeutiger Nutzen ist nur für wenige Erkrankungen nachgewiesen:
  • Hämatopoetische Stammzellen aus dem Knochenmark oder Blut können Leukämien, Lymphome und mehrere Erbkrankheiten heilen (seit 1969 erfolgreich angewendet).
  • Stammzellen der Haut ermöglichen die Behandlung von großflächigen Verbrennungen (seit 1984 angewendet).
  • Mesenchymale Stammzellen dämpfen Entzündungen und können die Symptome von chronischen Darmerkrankungen und Transplantat-gegen-Wirt Erkrankungen lindern (seit 2004 getestet).
  • Die kommerzielle Therapie Holoclar erneuert eine verletzte Augen-Hornhaut mit limbalen Stammzellen (EU-Zulassung im Jahr 2015).
  • Die kommerzielle Therapie Alofisel nutzt mesenchymale Stammzellen, um die Heilung von Fisteln im Analbereich zu unterstützen (EU-Zulassung im Jahr 2018).

Deutlich davon abzugrenzen sind Angebote, für die häufig im Internet geworben wird: Teils dubiose Kliniken bieten Stammzelltherapien für unterschiedlichste Erkrankungen an. Die Wirksamkeit der Therapien ist in der Regel nicht bewiesen, die Kosten muss der Behandelte meist selbst tragen.

Entwicklung von neuen Therapien?

Auch bei den adulte Stammzellen geht die Entwicklung von neuen Therapien weiter. Die Hoffnungen ruhen dabei meist auf hämatopoetischen und mesenchymalen Stammzellen, die bei entzündlichen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen getestet werden. Die Aussicht auf Erfolg wird von vielen Experten jedoch als gering eingeschätzt2.

Langfristig größere Erfolge versprechen Studien mit pluripotenten Stammzellen. Im Jahr 2010 startete die erste klinische Studie mit embryonalen Stammzellen, bereits im Jahr 2014 die ersten Versuche mit iPS-Zellen. Mittlerweile beläuft sich die Gesamtzahl der aktuellen oder abgeschlossen Studien auf 100, die sich mit über 20 verschiedene Krankheiten beschäftigten3.

Viele dieser experimentellen Stammzelltherapien richten sich gegen:

Fazit

Stammzelltherapien konnten bereits vielen Menschen helfen. Die Entwicklung neuer Therapien ist mühsam und wird noch viel Zeit in Anspruch nehmen. In letzten Zeit gab es aber größere Fortschritte, vor allem bei der Augenheilkunde. Auf diesem Gebiet könnte sich die geduldige Forschungsarbeit bereits in einigen Jahren auszahlen.

1 S. Yamanaka, Pluripotent Stem Cell-Based Cell Therapy—Promise and Challenges, Cell Stem Cell, Oktober 2020 (Link)
2 De Luca et al., Advances in stem cell research and therapeutic development, Nature Cell Biology, Juli 2019 (Link)
3 Kobold et al., A Manually Curated Database on Clinical Studies Involving Cell Products Derived from Human Pluripotent Stem Cells, Stem Cell Reports, August 2020 (Link)

Stammzellen in der Medizin

Die Stammzellentherapie verwendet embryonale, fetale, adulte und Nabelschnur-Stammzellen
Trotz großem Aufwand haben sich bislang nur wenige Stammzelltherapien in der Medizin durchgesetzt.

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Kurz und knapp

  • adulte Stammzellen werden seit Jahrzehnten in der Klinik genutzt
  • zugelassene adulte Stammzelltherapien behandeln vor allem Blutkrebs, Verbrennungen und manche Erbkrankheiten
  • pluripotente Stammzellen bieten langfristig bessere Aussicht auf Erfolg
  • bislang werden pluripotente Stammzellen noch in experimentellen Studien getestet
  • erste Therapien werden für wie Augenerkrankungen erwartet
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