Japan treibt Stammzelltherapien voran – und ignoriert bewährte Standards

Japan will die Entwicklung von Stammzelltherapien vorantreiben, vereinfachte Gesetze sollen dabei helfen. Behandlungen werden nun bezahlt, bevor ihre Wirksamkeit bewiesen ist.

Stammzelltherapie in Japan

Stemirac und HeartSheet wurden in Japan vorläufig zugelassen, obwohl belastbare Daten zu ihrer Wirksamkeit erst in einigen Jahren vorliegen.

In Japan herrscht große Begeisterung für Stammzelltherapien – wohl nicht zuletzt dank des Nobelpreises für den Stammzellforscher Shinya Yamanaka. Die Regierung hat einen ehrgeizigen Plan: Japan soll weltweit eine Führungsposition bei der regenerativen Medizin einnehmen. Bereits 2014 erließ die japanische Regierung zwei Gesetze, die die kommerzielle Nutzung der Therapien entscheidend beschleunigen sollten1.

Wachstum dubioser Stammzellkliniken

Eines dieser Gesetze, der Act on the Safety of Regenerative Medicine, betraf Krankenhäuser und kleinere Kliniken. Sie dürfen ihren Patienten (auf deren Kosten) experimentelle Stammzelltherapien anbieten, deren Nutzen von keiner klinischen Studie bestätigt wurde. Dabei müssen sie nur zwei Bedingungen einhalten: Ihre Labore für die Erzeugung der Zelltherapien müssen von den Behörden geprüft werden, und ein unabhängiges Komitee muss ihren Therapievorschlag genehmigen.

Hunderte Kliniken bieten seitdem über 3700 verschiedene Therapien an, bis zu einem Zehntel davon könnten auf Stammzellen basieren2. Der Nutzen ist nur selten erwiesen: Japan lässt damit (wie etwa auch die USA3) Anbietern von dubiosen Stammzelltherapien weitgehend freie Hand.

Zulassung ohne Nachweis der Wirksamkeit

Die Auswirkungen des zweiten Gesetzes, des Pharmaceutical and Medical Devices Act, gehen weit über einzelne Kliniken hinaus. Experimentelle Therapien können eine vorläufige Zulassung erhalten, die auch eine landesweite Vermarktung in einer Vielzahl von Krankenhäuser erlaubt.

Und vor allem: Die Kosten werden von den öffentlichen Kassen übernommen. Firmen benötigen für die Zulassung nur eine Studie mit einer Handvoll Patienten, die erste Hinweise auf Wirkung und Sicherheit geben. Der eigentliche Nachweis der Wirksamkeit muss erst in den folgenden sieben Jahren erfolgen.

Schwerkranke werden zu Testpersonen

Der bisher weltweit akzeptierte Standard, dass Therapien erst nach dem Beweis ihrer Wirksamkeit zugelassen und bezahlt werden, wird damit ausgehebelt. Die notwendigen Daten werden nicht mehr in eigens für diesen Zweck geplanten Studien erhoben, sondern fallen als Nebenprodukt während der Vermarktung der Therapien an. Schwerkranke Menschen werden zu Testpersonen, ohne dass ihnen dies zwingend bewusst sein muss.

Dass unter diesen Umständen eine wissenschaftlich fundierte Beurteilung der Therapien möglich ist, wird von vielen Experten bezweifelt4,5.

Japan hat sich von dieser Kritik nicht beirren lassen und bereits mehrere Therapien auf dieser Grundlage zugelassen:

HeartSheet – bei ischämischer Kardiomyopathie

Eine Therapie mit Namen HeartSheet soll bei einer schweren Form der Herzschwäche helfen, der ischämischen Kardiomyopathie. Diese tritt häufig auf, wenn verengte Gefäße die Blutversorgung des Herzmuskels beeinträchtigten. Für die Behandlung züchten Ärzte im Labor eine dünne Zellschicht aus Muskelzellen, die aus dem Oberschenkel des Patienten entnommen werden. Die Zellschicht wird auf die Oberfläche des erkrankten Herzens transplantiert, wo sie durch die Freisetzung von Botenstoffen die Heilung des Organs unterstützen soll ("parakriner Effekt").

Bereits im Jahr 2015 erhielt die japanische Firma Terumo Medical eine vorläufige Zulassung für HeartSheet. In einer Studie hatte sie nur sieben Patienten untersucht: Bei dem wichtigsten Kriterium, der Leistungsfähigkeit des linken Herzventrikels, blieben fünf Patienten unverändert und zwei haben sich verschlechtert; bei keinem einzigen Patienten verbesserte sich der Zustand. Trotzdem erhielt die Therapie eine Zulassung und wird nun für etwa 120 000 US-Dollar vermarktet – ein Preis, den Experten als deutlich zu hoch einschätzen6.

Terumo Medical erhielt sieben Jahre Zeit, die Wirksamkeit nachzuweisen. Bei 60 Patienten soll die Behandlung eindeutige Verbesserungen erzielen, als Vergleich dienen 120 Kontrollpatienten. Doch die Pläne gehen bereits darüber hinaus: Eine Version von HeartSheet, die auf körperfremden iPS-Zellen statt körpereigenen Muskelzellen basiert, ging Anfang 2020 in die Testphase.

Stemirac – bei Verletzungen des Rückenmarks

Stemirac ist der Name für eine Therapie, die mesenchymale Stammzellen bei Verletzungen des Rückenmarks einsetzt. Die Zellen werden aus dem Knochenmark des Patienten gewonnen, im Labor vermehrt und 40 Tage nach der Verletzung in das Blut infundiert. Laut Angaben japanischer Forscher wandern sie in das Rückenmark, lindern Entzündungsreaktionen und schützen Nervenzellen. Stemirac erhielt Ende 2018 eine vorläufige Zulassung für den japanischen Markt.

In einer ersten Studie wurden 13 Patienten behandelt, von denen 12 nach sechs Monaten spürbare Verbesserungen erfahren haben sollen. Die Daten der Studie wurden allerdings nicht veröffentlicht. Unabhängige Experten halten es für möglich, dass diese Verbesserungen auch Teil des natürlichen Heilungsverlaufs sein könnten5.

Vyznova – bei bullöser Keratopathie

Wassereinlagerungen in der Hornhaut des Auges können das Sehvermögen stark einschränken. Die Therapie Vyznova beruht auf körperfremden Stammzellen, aus denen im Labor spezialisierte Gefäßzellen der Hornhaut gezüchtet werden. Die experimentelle Therapie wurde in drei Studien mit insgesamt 65 Teilnehmern getestet. Nach Angaben des Unternehmens hat sich das Sehvermögen deutlich verbessert. Vyznova wurde im Jahr 2023 in Japan zugelassen7.

1 Matsushita et al., Two-Track Regulatory System: Comparing Six Regenerative Medical Products, Cell Stem Cell, Oktober 2020 (Link)
2 D. Cyranoski, Stem Cells 2 Go, Scientific American, September 2019 (Link)
alle Referenzen anzeigen 3 Knoepfler, Rapid change of a cohort of 570 unproven stem cell clinics in the USA over 3 years, Regenerative Medicine, 2019 (Link)
4 Japan should put the brakes on stem-cell sales, Nature, Januar 2019 (Link)
5 D. Cyranoski, Stem-cell Therapy raise concerns., Nature, Januar 2019 (Link)
6 McCabe und Sipp, Undertested and Overpriced: Japan Issues First Conditional Approval of Stem Cell Product, Cell Stem Cell, April 2016 (Link)
7Aurion Biotech receives approval from Japan’s PMDA for new drug application, Pressemitteilung, März 2023 (Link)

Stammzelltherapie in Japan

Stemirac und HeartSheet wurden in Japan vorläufig zugelassen, obwohl belastbare Daten zu ihrer Wirksamkeit erst in einigen Jahren vorliegen.

Mehr...

  • Stammzellentherapie nach Herzinfarkt – nur teilweise erfolgreich mehr...
  • Prochymal (TemCell) – Stammzelltherapie bei Graft-versus-Host-Reaktion mehr...
  • Querschnittslähmung – Die erste Therapie mit embryonalen Zellen mehr...
  • Holoclar – Stammzelltherapie erneuert die Hornhaut der Augen mehr...
  • Alofisel – Stammzelltherapie bei Morbus Crohn mehr...

Kurz und knapp

  • Japan will eine weltweit führende Position bei regenerativen Therapien einnehmen
  • zwei Gesetze aus dem Jahr 2014 sollen diese Entwicklung fördern
  • zwei Therapien erhielten bereits eine vorläufige Zulassung, obwohl die Wirksamkeit noch nicht erwiesen ist
  • HeartSheet soll bei schwerer Herzschwäche helfen
  • Stemirac soll die Heilung von Rückenmarkverletzungen unterstützen
OK

Diese Webseite verwendet Cookies, die für das Bereitstellen der Seiten und ihrer Funktionen technisch notwendig sind.    Info