Bavencio: Checkpoint-Hemmer gegen Merkelzellkarzinom und Nierenkrebs

Die Krebstherapie Bavencio kann bei zwei seltenen Krebsarten das Leben um einige Monate verlängern, dauerhafte Therapieerfolge bleiben aber die Ausnahme.

Checkpoint-Hemmer Bavencio

Bavencio behandelt Merkelzellkarzinom und Nierenzellkarzinom

Checkpoint-Inhibitoren lösen eine Blockade im Immunsystem, die Krebszellen errichten, um sich vor Angriffen zu schützen. Die Wirksamkeit ist schwer vorhersehbar: Bei manchen Behandelten drängen sie den Tumor dauerhaft zurück, bei anderen bleiben sie fast wirkungslos.

Der Checkpoint-Inhibitor Bavencio ist seit 2017 in der Europäischen Union zugelassen, der Wirkstoff trägt den Namen Avelumab. Sein Einsatz wurde bei etwa 15 verschiedenen Krebsarten getestet, in den meisten Fällen ohne größeren Erfolg.

Eine Zulassung erfolgte nur bei der Therapie von zwei seltenen Krebsformen: dem Merkelzellkarzinom und dem Nierenzellkarzinom. Unabhängige Experten sehen allerdings nur einen begrenzten Zusatznutzen, wenn Bavencio direkt mit herkömmlichen Therapien verglichen wird1,2.

Die Erkrankungen – metastasierendes Merkelzellkarzinom und fortgeschrittenes Nierenzellkarzinom

Das Merkelzellkarzinom ist eine seltene Form von Hautkrebs. Es tritt vor allem bei älteren Menschen auf und in Hautpartien, die stark der Sonne ausgesetzt waren. Das Karzinom ist sehr aggressiv und bildet häufig Metastasen – die langfristigen Überlebenschancen sind dann eher gering3. In Deutschland treten jährlich etwa 600–800 neue Erkrankungen mit dem Merkelzellkarzinom auf2.

Das Nierenzellkarzinom trifft ebenfalls vor allem ältere Menschen. Die Ursachen sind noch unklar, aber Vorerkrankungen und eine ungesunde Lebensführung können das Erkrankungsrisiko erhöhen. In einem frühen Stadium ist der Tumor gut behandelbar, aber in vielen Fällen bilden sich Metastasen, die die Überlebenschancen deutlich verringern.

Der Nutzen – langfristige Daten fehlen noch

Mehrere Studien haben gezeigt, dass Bavencio manche Formen von Krebs zurückdrängen kann4. Unklar bleibt jedoch, wie Bavencio im Vergleich mit anderen Therapien abschneidet.

Beim Merkelzellkarzinom wurde Bavencio in einer Studie mit etwa 200 Patienten getestet, die bereits Metastasen gebildet hatten. Vorläufige Ergebnisse zeigen, dass bei vielen Patienten der Krebs anfangs zurückgeht und die Wirkung meist länger als sechs Monate anhält5. Bis jetzt hat der Hersteller allerdings noch keine Daten zu langfristigen Überlebensraten veröffentlicht. Zudem wurde in dieser Studie kein Vergleich mit alternativen Therapien durchgeführt. Das unabhängige IQWiG-Institut kann daher bislang keinen Zusatznutzen bei der Gabe von Bavencio erkennen2.

Ähnlich unklar bleibt die Bewertung beim fortgeschrittene Nierenzellkarzinom. In einer Studie mit etwa 900 Patienten wurde Bavencio in Kombination mit dem Wirkstoff Axitinib (Handelsname Inlyta) eingesetzt, einem zielgerichteten Medikament, das die Versorgung des Tumors mit Blut verhindern soll. Vorläufige Daten deuten darauf hin, dass bei manchen Patienten eine Verlängerung der Lebenszeit erzielt werden kann. Dies gilt vor allem für eine Untergruppe, die ein ungünstiges Risikoprofil aufweist und asiatischer Abstammung ist. Das IQWiG gesteht Bavencio bei der Therapie von Nierenzellkarzinomen zwar einen Zusatznutzen zu, kann diesen aber noch nicht genau beziffern1.

Das Wirkprinzip – Hemmung von PD-L1

Der Wirkstoff Avelumab bindet an das Protein PD-L1, das auf der Zelloberfläche von Immunzellen zu finden ist. Das Protein PD-L1 gilt als Checkpoint – ein Kontrollpunkt, der die Aktivität des Immunsystems beeinflusst. Der natürliche Bindungspartner von PD-L1 wird PD-1 genannt: Krebszellen nutzen PD-1, um über PD-L1 eine Signalkette auszulösen, die eine Aktivierung von T-Zellen verhindert.

Avelumab verhindert die Übertragung von Signalen über den Checkpoint PD-L1 – daher auch die Bezeichnung Checkpoint-Hemmer oder Checkpoint-Inhibitor. Der Wirkstoff hebt die Blockade des Immunsystems auf und ermöglicht es Immunzellen, den Krebs anzugreifen und im besten Fall zurückzudrängen.

Die Alternativen – Pembrolizumab, Sunitinib und Temsirolimus

Als etablierte Therapie für metastasierendes Merkelzellkarzinom steht ein anderer Checkpoint-Inhibitor zur Verfügung: das Medikament Keytruda mit dem Wirkstoff Pembrolizumab.

Als Alternative bei fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom mit ungünstigem Risikoprofil werden die zielgerichteten Medikamente Temsirolimus und Sunitinib verwendet1. Beide Wirkstoffe gehören zur Gruppe der Kinasehemmer und verhindern die Neubildung von Gefäßen, die den Tumor mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgen. Ihre Wirkung hält meist nur begrenzte Zeit an.

Die Nebenwirkungen – Müdigkeit, Übelkeit, allergische Reaktionen

Das Medikament wird als Infusion in einem Abstand von zwei Wochen verabreicht. Bei den ersten vier Behandlungen treten häufig infusionsbedingte Nebenwirkungen auf: Hautrötung, Schüttelfrost, Fieber, Rücken- oder Bauchschmerzen, allergische Reaktionen und Atembeschwerden. Mehr als 1 von 10 Patienten ist davon betroffen6.

Weitere häufige Nebenwirkungen sind Müdigkeit, Übelkeit, Durchfall, verminderter Appetit, Verstopfung, infusionsbedingte Reaktionen, Gewichtsabnahme und Erbrechen. Einen schweren Verlauf können vor allem Anämien (geringe Zahlen roter Blutkörperchen), Atembeschwerden und Bauchschmerzen nehmen6.

Für die Behandlung von Nierenzellkarzinomen wird Bavencio mit dem Kinasehemmer Axitinib kombiniert. Die Häufigkeit der oben genannten Nebenwirkungen ist dann eher noch erhöht, zusätzlich können Bluthochdruck und eine reduzierte Schilddrüsenfunktion auftreten.

Die Entwicklung – Test an 15 Arten von Krebs

Bavencio wurde von der deutschen Firma Merck mit Sitz in Darmstadt entwickelt, seit November 2014 in Zusammenarbeit mit dem US-Konzern Pfizer4. Die klinischen Tests erfolgten im Rahmen des ehrgeizigen JAVELIN-Programms: In 30 einzelnen Studien wurden 7000 Patienten mit etwa 15 Krebsarten untersucht. Viele Studien dauern noch an, bei den meisten Krebsarten scheint Bavencio aber nur einen geringen Zusatznutzen zu bieten.

Im März 2017 erhielt Bavencio in den USA die Zulassung für die Therapie von Merkelzellkarzinomen, die Europäische Union folgte wenige Monate später nach.

Die Kosten – etwa 100 000 € jährlich als Monotherapie

Für die Behandlung des Merkelzellkarzinoms wird Bavencio als Monotherapie verabreicht – bei Kosten von etwa 100 000 € pro Jahr und Patient. Als Alternative kann auch der Checkpoint-Hemmer Pembrolizumab (Keytruda) verabreicht werden, der ähnlich teuer ist2.

Die Kombination von Bavencio mit dem Kinasehemmer Axitinib für die Therapie von Nierenzellkarzinomen kostet jährlich etwa 160 000 € pro Patient. Die Alternativen sind hier etwas günstiger: Die Kinasehemmer Sunitinib und Temsirolimus kosten etwa 60 000 € pro Jahr1.

Die Therapie wird in der Regel so lange fortgesetzt, bis die Wirkung nachlässt oder die Nebenwirkungen zu stark werden.

1 Avelumab (Nierenzellkarzinom) – Nutzenbewertung gemäß § 35a SGB V, Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), Stand Februar 2020 (Link)
2 Avelumab (metastasiertes Merkelzellkarzinom) – Bewertung gemäß § 35a SGB V, Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), Stand Juni 2020 (Link)
alle Referenzen anzeigen 3 Das Merkelzellkarzinom, ONKO-Internetportal, Stand August 2020 (Link)
4 Collins und Gulley, Product review: avelumab, an anti-PD-L1 antibody, Human Vaccines & Immunotherapeutics, 2019 (Link)
5 D'Angelo et al., Efficacy and Safety of First-line Avelumab Treatment in Patients With Stage IV Metastatic Merkel Cell Carcinoma: A Preplanned Interim Analysis of a Clinical Trial, JAMA, sEPTEMBER 2018 (Link)
6 Übersicht über Bavencio und warum es in der EU zugelassen ist, European Medicines Agency (EMA), Stand August 2020 (Link)

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Kurz und knapp

  • Bavencio enthält als Wirkstoff den Antikörper Avelumab
  • Avelumab bindet an den Checkpoint PD-L1 und löst eine Blockade des Immunsystems
  • zugelassen ist Bavencio für die Therapie von metastasiertem Merkelzellkarzinom und fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom
  • im Vergleich zu anderen Therapie ist der Zusatznutzen eher gering
  • Nebenwirkungen sind häufig, aber im Vergleich zur Schwere der Krankheit noch tolerierbar
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