Kymriah: CAR-T-Zellen bekämpfen Leukämien und Lymphome
Die Gentherapie Kymriah behandelt aggressive Formen von B-Zell-Lymphomen und der akuten lymphatischen Leukämie. Bei Leukämien hat die Hälfte der jungen Patienten eine Lebenserwartung von mindestens fünf Jahren.
Lymphome und Leukämien lassen sich oft erfolgreich behandeln, doch wenn die Standardtherapien versagen, ist die Lebenserwartung nur gering. Die Gentherapie Kymriah verlängert in schweren Fällen die Lebenszeit der meisten Patienten deutlich.
Als erste CAR-T-Zelltherapie weltweit wurde Kymriah im Jahr 2017 in den USA und ein Jahr später in der EU1 zugelassen. Hersteller ist der Schweizer Pharmakonzern Novartis.
Die Krankheit – Leukämien und Lymphome mit Beteiligung von B-Zellen
Die akute lymphatische Leukämie (ALL) ist eine eher seltene Form von Blutkrebs, die vor allem im jungen Jahren auftritt. Deutschland verzeichnet etwa 900 Neuerkrankungen pro Jahr2. Die Ursache ist meist eine unkontrollierte Vermehrung der B-Lymphozyten des Immunsystems, die unbehandelt rasch zum Tode führt3.
Die Aussichten für das Überleben sind mittlerweile recht gut, etwa 9 von 10 jüngeren ALL-Patienten können mit Standardtherapien geheilt werden. Bei besonders aggressiven Formen sind Erfolgsraten allerdings wesentlich geringer. Kymriah ist für diese schweren Fälle gedacht: Die Zulassung gilt nur für Kinder und junge Erwachsene bis 25 Jahren, die auf Standardtherapien nicht ansprechen oder bereits zwei Rückfälle erlitten haben.
Als zweite Indikation kann Kymriah auch für die Behandlung eines diffusen großzelligen B-Zell-Lymphoms (DLBCL) bei Erwachsenen eingesetzt werden. Dabei handelt es sich um eine der häufigsten Formen des Non-Hodgkin-Lymphoms, die meist in einem Alter von etwa 70 Jahren auftritt. In Deutschland treten jährlich etwa 9000 Neuerkrankungen auf4.
Seit Mai 2022 darf Kymriah auch für die Therapie von follikulären Lymphomen bei Erwachsenen eingesetzt werden, wenn mindestens zwei Vorbehandlungen erfolglos blieben.
Der Nutzen – viele Behandelten überleben mehrere Jahre
Kymriah wurde bislang nur an einer begrenzten Zahl von Menschen getestet, die bisherigen Daten sind daher noch vorläufig. Bei der Behandlung von Kindern und jungen Erwachsenen hat eine klinische Studie5 jedoch beeindruckende Erfolge erzielt. Insgesamt wurden 79 Patienten behandelt, und bei 8 von 10 Behandelten waren nach drei Monaten alle Anzeichen von Krebs verschwunden. War Kymriah anfangs erfolgreich, blieben 4 von 10 Patienten auch nach fünf Jahren weiterhin frei von Krebszellen. Da Rückfälle zu diesem Zeitpunkt unwahrscheinlich sind, könnte Kymriah eine heilende Wirkung haben.
Bei der Behandlung von B-Zell-Lymphomen in erwachsenen Patienten war der Nutzen nicht ganz so hoch, aber immer noch beeindruckend im Vergleich zu Standardtherapien. Eine klinische Studie mit knapp 100 Teilnehmern zeigte nach 19 Monaten, dass vier von zehn Patienten frei von Krebszellen waren.
Für B-Zell-Lymphome liegen auch die ersten Langzeitdaten vor, eine kleine Gruppe von 40 Patienten wurde durchschnittlich fünf Jahre lang nachverfolgt6. 3 von 10 Patienten mit DLBCL blieben nach dieser Zeit frei von Krebszellen, bei einem follikulärem Lymphom waren es 4 von 10.
Die Therapie – Immunzellen mit künstlichem Rezeptor
Kymriah (tisagenlecleucel) ist eine Kombination aus Zell- und Gentherapie. Ausgangspunkt der Therapie sind körpereigene Immunzellen, zu deren Aufgaben auch der Kampf gegen Krebs gehört. Diese T-Zellen werden aus dem Körper des Patienten isoliert und im Labor mit einem künstlichen Rezeptor ausgestattet, dem chimeric antigen receptor (CAR).
Wie die Chimäre aus der griechischen Mythologie ist der CAR aus verschiedenen Teilen zusammengesetzt, die von natürlichen Proteinen stammen. Bei Kymriah ist der CAR gegen das Molekül CD19 gerichtet, das auf allen Krebszellen der ALL-Patienten zu finden ist. Mit Hilfe ihres künstlichen Rezeptors können die CAR-T-Zellen alle CD19-tragenden Zellen identifizieren und beseitigen.
Die Nebenwirkungen – ein gefährlicher Zytokinsturm
Eine Behandlung von Kymriah wird von einer Vielzahl schwerer Nebenwirkungen begleitet, von denen hier nur auf zwei eingegangen werden soll. Die CAR-T-Zellen beseitigen zusammen mit den Krebszellen auch eine wichtige Gruppe von Immunzellen (B-Lymphozyten), da diese auch das Molekül CD19 aufweisen. Die Folge ist ein Immundefekt, der allerdings durch die regelmäßige Transfusion von Antikörper-Präparaten ausgeglichen werden kann.
Erheblich dramatischer verläuft der Zytokinsturm – eine schwere Entzündungsreaktion, die den ganzen Körper in Mitleidenschaft zieht. Ausgelöst wird er durch Signalmoleküle, die von den aktivierten Immunzellen in großen Mengen ausgestoßen werden. In schweren Fällen werden die Auswirkungen lebensbedrohlich, und die Betroffenen müssen auf der Intensivstation versorgt werden. Die Hälfte der ALL-Patienten und 2 von 10 Lymphom-Patienten müssen mit einem schweren Zytokinsturm rechnen3. Beim Einsatz von Kymriah kam es bislang noch nicht zu Todesfällen, aber grundsätzlich kann auch dieses Risiko nicht ausgeschlossen werden.
Die Entwicklung – vom Forschungslabor zum Weltkonzern
Entstanden sind die CAR-T-Zellen im Labor von Carl June an der Universität von Philadelphia. June gehört zu den Pionieren auf diesem Gebiet und war schon an den ersten klinischen Studien im Jahr 2010 beteiligt.
Der Schweizer Pharmakonzern Novartis erwarb die Rechte an den CAR-T-Zellen und beteiligte sich seitdem an der klinischen Entwicklung. Novartis führte auch die entscheidende ELIANA-Studie aus, die im August 2017 zur Zulassung von Kymriah in den USA führte.
Ein Patent auf Kymriah musste allerdings im Dezember 2019 zurückgezogen werden, da es sich um eine Anwendung und nicht um ein Medikament handelt. Auswirkungen auf die Vermarktung der CAR-T-Zelltherapie wird dieser Rückzug jedoch vermutlich nicht haben7.
Die Kosten – 320 000 €
In Deutschland kostet eine Behandlung mit Kymriah 320 000 € für die Behandlung von ALL8 und Non-Hodgkin-Lymphomen9. Sollte die Therapie aber nicht erfolgreich sein, wird ein Teil der Kosten zurückerstattet 10.
In den USA gelten zwei unterschiedliche Preise. Für die Behandlung von ALL werden 475 000 US-Dollar verlangt, für die Behandlung von Non-Hodgkin-Lymphomen jedoch nur 373 000 US-Dollar. Der niedrigere Preis orientiert sich an dem Konkurrenzprodukt von Gilead, der CAR-T-Zelltherapie Yescarta.
2 Zentrum für Krebsregisterdaten am Robert Koch-Institut, Leukämien Stand November 2021 (Link)
alle Referenzen anzeigen
3 Gökbuget et al., Die akute lymphatische Leukämie (ALL) des Erwachsenen, Kompetenznetz "Akute und chronische Leukämien" (Link)4 Kompetenznetz Maligne Lymphome e.V., Diffus großzelliges B-Zell-Lymphom (DLBCL) Stand Dezember 2021 (Link)
5 Pressemitteilung von Novartis, Novartis five-year Kymriah® data show durable remission and long-term survival maintained in children and young adults with advanced B-cell ALL, Juni 2022 (Link)
6 Chong et al., Five-Year Outcomes for Refractory B-Cell Lymphomas with CAR T-Cell Therapy, New England Journal of Medicine, Februar 2021 (Link)
7 Telebasel, Nach Druck von NGOs – Novartis zieht Kymriah-Patent zurück, Dezember 2019 (Link)
8 IQWiG, Tisagenlecleucel (akute lymphatische B- Zell-Leukämie), Dezember 2018 (Link)
9 IQWiG, Tisagenlecleucel (diffus großzelligen B-Zell-Lymphom), Dezember 2018 (Link)
10 E. Tebroke, Neues Vertragsmodell bei CAR-T-Zelltherapie: Erstattung bei Erfolg, Pharmazeutische Zeitung, März 2019 (Link)
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Kurz und knapp
- die akute lymphatischen Leukämie (ALL) ist ein Blutkrebs, der vor allem junge Menschen trifft
- in 9 von 10 Fällen lässt sich ALL gut behandeln, aber in besonders aggressiven Fällen sind die Aussichten schlecht
- Kymriah (tisagenlecleucel) ist eine Kombination von Zell- und Gentherapie, die seit 2018 in der EU für die Behandlung von aggressivem ALL zugelassen ist
- weitere Anwendungsmöglichkeiten sind das diffuse großzellige B-Zell-Lymphom (DLBCL) und follikuläre Lymphome
- Kymriah beruht auf CAR-T-Zellen, die mit einem künstlichen Rezeptor ausgestattet werden
- bei aggressivem ALL überleben 5 von 10 Patienten mindestens fünf Jahre
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